Sonntag, 1. Juli 2018

La Gioconda (DOB) am 28.6. - Weltkulturerbe auf der Opernbühne


Steuerliche Subventionen für Theater und Opernhäuser sind in Deutschland meistens Fehlinvestitionen, da sie verwendet werden, um vor leeren oder halbleeren Reihen öffentliche Therapiesitzungen für „Regisseure“ und „Intendanten“ zu finanzieren.

Für das meiste, was man als Opernalltag auch an der Deuschen Oper Berlin so erlebt, sollte also eher das Publikum bezahlt werden, wenn es seine Lebenszeit investiert, um mal wieder den üblichen Regietheater-Müll und unzureichenden Gesang zu durchleiden.

In all dieses Elend platzte am 28.6. eine wahre Explosion des Wahren, Guten und Schönen. Die überaus selten aufgeführte „La Gioconda“ von Amilare Ponchielli in der Inszenierung von Filippo Sanjust und den geradezu märchenhaften Bühnenbildern von Camillo Parravicini erschien wie eine Offenbarung, wie eine Zeitreise in eine Vergangenheit, die eigentlich keine sein sollte.

Das Gesamtkunstwerk, als das die Oper schon von Jacopo Peri konzipiert worden ist, wurde hier nun endlich einmal wieder packende Realität, und dies auf einem Niveau, welches durchaus auf den großen Bühnen der Welt seinesgleichen sucht.

Unter der musikalischen Leitung des erfahrenden Operndirigenten Pinchas Steinberg spielte das Orchester der Deuschen Oper Berlin mit berückender Italianità und begleitete das durchweg hervorragende Sängerensemble und den souveränen Opernchor auf höchstem musikalischen Niveau.

Die Chinesin Hui He in der Rolle der schönen Straßensängerin La Gioconda überzeugte stimmlich und darstellerisch auf ganzer Linie. Gerade im Duett mit Laura im 2. Akt konnte sie die Möglichkeiten ihres üppigen und klangschönen Soprans voll ausschöpfen, aber auch das berühmte Suicidio im 4. Akt gelang ihr immer noch vortrefflich. Der Gewissenskonflikt, in dem sich Gioconda durch ihre Liebe zu Enzo, aber auch durch ihre Dankbarkeit Laura gegenüber befindet, wurde von Hui He sehr anrührend dargeboten.

Der südkoreanische Tenor Alfred Kim in der Rolle des dalmatischen Seefahrers Enzo Grimaldo lieferte mit seinem kraftvoll-metallischem Tenor wie aus einem Guss dem Publikum endlich einmal eine angemessene Rollenbesetzung. Was selbstverständlich sein sollte, ist es heute sehr oft leider nicht, da gerade im Tenorbereich an den großen Bühnen der Welt Fehl-und Unterbesetzungen fast die Regel sind. Es mag ihm bisweilen am berühmten italienischen Schmelz fehlen, aber den haben viele der sogenannten „Stars“ erst recht nicht, bieten aber auch sonst nicht viel. Jubelnder Beifall belohnte völlig zu Recht seine großartige Leistung, insbesondere nach „Cielo e mar“.


Der in Tiflis geborene George Gagnidze in der Rolle des teuflischen Spitzels Barnabà trug durch seinen schwarzen, kraftvollen Bariton und sein realistisches Spiel ebenfalls zum Gelingen des Opernabends bei. Sein „O Monumento“ am Ende des 1. Akts offenbarte die gesamte Brutalität und Perfidie der Inquisition, die den Verrat als eine der niedrigsten menschlichen Handlungsweisen zur Tugend erhebt. Beeindruckend war Gagnidze auch im 4. Akt, wo er sich Gioconda als „Belohnung“ holen möchte, aber zuletzt nur noch ihren leblosen Körper in den Armen hält. Ob dies als Strafe für Barnabà angemessen ist, darüber könnte man diskutieren, aber man ist schon froh, dass diese abartige Kreuzung aus Jago, Scarpia und Incroyable zumindest am Ende nicht noch triumphiert.

Die italienische Mezzosopranistin Daniela Barcellona verkörperte die Rolle der unglücklichen Laura gerade im Duett mit Enzo und später mit Gioconda ganz hervorragend. Ihr möglicherweise etwas heller, aber dennoch warmer und volltönender Gesang bildete den perfekten Gegensatz zur „Tigerin“ La Gioconda, deren Hass sich in Dankbarkeit wandelt.

Als blinde Mutter Giocondas überzeugte die Rumänin Judit Kutasi mit ihrem pastosen Mezzosopran, dessen Wärme die durchweg positive Rolle absolut glaubhaft machte.


Alvise Badoero, der finstere Chef der Inquisition, der seine vermeintlich tote Frau stolz dem Festpublikum präsentiert, wurde von Nicolas Testé zwar stimmlich schön, aber etwas zu bieder dargeboten.

Ein besonderes Highlight war zudem noch der Auftritt des Staatsballetts, welches den berühmten Tanz der Stunden durch einen faszinierenden Pas de Trois mit Ensemble zu einem ganz eigenen Erlebnis machte.

Was für eine Aufführung! Keine Sekunde der Langeweile, dafür aber Faszination und Begeisterung pur. Ja, ihr albernen Regietheater-Fuzzis: Das kann Oper sein. Das ist etwas von bleibendem Wert, das immerhin seit 1974 besteht. Dazu werdet ihr euch mit eurem Unrat nie erheben können.

Also nehmt eure Waschmaschinen, eure Klos und euren sonstigen Sperrmüll, eure Inkompetenz, eure Hybris, euren Opernhass und eure widerliche Arroganz und verduftet endlich. Keiner wird euch eine Träne nachweinen!

Montag, 28. Mai 2018

Barbiere di Siviglia an der Berliner Staatsoper - 18.5.2018 - Rossini lebt! :-)

Die von Ruth Berghaus schon im Jahr 1968 für die Staatsoper Unter den Linden konzipierte Inszenierung des “Barbiere di Siviglia” (damals noch in deutscher Sprache) erinnert stark (bisweilen auch durch die Kostüme) an die Commedia dell'arte – die ja als Basis für die bekannte Handlungskonstellation auch absolute Berechtigung hat. Insofern stört das bewusst einfach gehaltene Bühnenbild von Achim Freyer absolut nicht, denn die Inszenierung kommt ohne überflüssige Aktualisierungsmätzchen aus und belässt die Oper in ihrer Zeit. Leider ist aber von der ursprünglich sehr witzigen und fein-durchdachten Personenregie nicht mehr viel übriggeblieben. Dies kann nach 50 Jahren durchaus vorkommen, sollte aber dann nicht durch plump-derben Klamauk ersetzt werden.
Angesichts dessen, was allerdings heutige “Neuinszenierungen” aus dem Barbiere machen, ist das etwas, womit man als leidgeprüfter Opernbesucher durchaus leben kann.
Unter Daniel Cohens leichtfüßigem, aber teilweise zu gehetztem Dirigat brillierte Dmitry Korchak in der Rolle des verliebten Grafen Almaviva. Seine lockerer und zugleich metallisch-kräftiger Tenor, der sowohl mit Koloraturen als auch mit bezaubernden Piani und lebhaftem Forte aufwarten kann, ist für den Grafen schon fast zu groß. Allerdings nur fast – es ist eine Freude, einen Sänger mit ein wenig Überhang zu erleben und man stellt ihn sich sehr gern als Duca di Mantova oder Alfredo Germont vor.
Tassis Christoyannis in der Titelrolle des schlauen Barbiers erweckte seinen Part ebenfalls durch flinkes Spiel und kräftig-männlichen Gesang zum Leben, allerdings hätte man sich stellenweise mehr Eleganz in der musikalischen Gestaltung gewünscht.
Tara Erraughts wunderschöner, voll tönender Mezzo wird der schwierigen Rolle der gewitzten Rosina mehr als nur gerecht. Die Koloraturen kommen so spielerisch wie ihr natürliches, fröhliches Spiel. Wenn es gute Laune auf der Bühne gibt, dann in Gestalt der wohlgeformten Irin, die die Freude an ihrer Rolle vollends auf das Publikum überträgt. Schlimm genug, dass sie gerade als Nicht-Kleidergröße 36 üble Häme und “Kritik” seitens irgendwelcher Medienaffen einstecken musste, aber das ist in Zeiten des Regietheaters, in dem tolle Stimmen nicht mehr zählen, dafür aber der Bodymass-Index eines Sängers umso wichtiger ist, wohl leider trauriger Alltag.
Renato Girolami war ein großartiger Bartolo, dessen gewaltige Stimme bisweilen einige Problemchen mit dem Parlando hatte, aber dies wäre angesichts seiner Gesamtgestaltung der Rolle getrost zu vernachlässigen.
Jan Martinik hatte als intriganter Musiklehrer Basilio bisweilen ein wenig mit der Höhe zu kämpfen, seine berühmte Verleumdungsarie war weniger überzeugend.
(Männer)chor und Orchester erklangen in gewohnt guter Qualität.
Insgesamt gesehen eine von wenigen erhaltenen alten Inszenierungen, die wie Inseln der Kunst in einem Meer aus Regietheater-Müll herausragen. In der nach einer umfangreichen Sanierung im neuen Glanze erstrahlenden Staatsoper konnte man so einen schönen und erfüllenden Opernabend erleben und das gute Gefühl haben, dass in Berlin wenigstens mal etwas zu Ende gebracht wurde....:-)

Donnerstag, 15. Februar 2018

Idomeneo in Zürich - So kann man seine Lebenszeit auch verschwenden!

Was für eine verquirlte Ka**e! So enttäuscht wie gestern war ich, glaube ich, noch nie nach einer Opernaufführung, es war für mich das erste Mal, dass ich eine Opernaufführung in der Pause verlassen habe. Aber nun mal der Reihe nach: Mit zwei Arbeitskollegen wollte ich an der Züricher Oper einen netten Abend verbringen. Schlimmer als manch andere Sauerei an diesem Haus in den letzten Jahren wird es schon nicht werden. Dachte ich zumindest. Aber erneut wurde man eines Besseren belehrt. Bereits die Premierenkritiken waren diesmal sogar in den zahlreichen Regietheater-freundlichen Online-Portalen recht bescheiden gewesen, man ging mit gemischten Gefühlen in diesen Idomeneo.
Ein schmuddeliger Zwischenvorhang bedeckte zunächst die Szene, der sich nach der Ouvertüre hob. Prinzessin Ilia im modernen Sekretärinnen-Look trauerte in einem schmuddeligen Holz-Einheitsraum an der Särgen ihrer Familie. Hach, wie ergreifend. Klar, macht ja großen Sinn, dass der König Idomeneo erst die trojanische Königsfamilie ermorden  und dann die Särge wohl in einem Staatsakt nach Kreta überführen ließ. Dann kam Idamante hinzu, ebenfalls im schmuddeligen Business-Look. Hatte man gehofft, Hanna-Elisabeth Müllers schrill intoniertes «Padre, germani, addio…» sei in dieser Form der Anfangsnervosität geschuldet, wurde man beim Auftritt von Anna Stephany als Idamante eines Besseren belehrt. Da hatte sich wirklich ein Paar gefunden, das nicht sang, sondern für den Rest des Abends jaulte. Kaum eine Hand rührte sich nach den Arien zum Applaus.
Dann kam ein schmuddelig kostümierter Chor hinzu, die Kostümabteilung hatte offenbar den nächsten Kleider-Entsorgungscontainer geplündert. Man sah aus wie auf der Akutstation der nächsten Wald-und-Wiesen-Psychiatrie. Nur Elettra trug einen eleganten Hosenanzug. Während ihrer ersten Arie musste man mit ansehen, wie sich im Hintergrund ihre Eltern Klytämnestra und Agamemnon grausam massakrierten. Die gute Guanqun Song mühte sich dabei stimmlich halbwegs erfolgreich um etwas stimmliche Authentizität, wirkte aber in dem runtergekommenen Setting wie verloren. Und weiter ging's.
Idomeneo wurde an Land gespült, die Rezitative, die seine Rettung aus Seenot und seinen inneren Konflikt verdeutlichten,  wurden auf völlig willkürliche und unmusikalische Weise gestrichen. Seine Begegnung mit Idamante war vollkommen unmotiviert und von der inkompetenten Regisseuse Jetske Mijnssen total kaputt inszeniert worden. Dann schleppte der Chor runde Tische auf die Bühne und sang das stark gekürzte Chor- Intermezzo. Der Marsch des Intermezzos war……gestrichen.
Sodann sang Ayram Hernandez mit wunderbar strahlendem Tenor die Arie des Arbace, die erste Arie an diesem Abend, die wirklich glücklich machte. Während er sang, zog sich der Idomeneo um. Natürlich durfte man ihn oben ohne und in Unterwäsche anschauen, kein noch so billiges Regietheater-Klischee wurde in dieser Inszenierung ausgespart. Ilia zeigte daraufhin ihrem Schwiegerpapi in spe die Fotos ihrer ermordeten Familie. Immerhin konnte Frau Müller ihren lyrischen Sopran in dieser zweiten Arie ungehindert strömen lassen, es kam so etwas wie Atmosphäre auf sehr niedrigem Niveau auf.
Dann sang Joseph Kaiser mit rauem, unflexiblem und in der Höhe engem Tenor «Fuor del Mar», einfach nur grausam. Um seinen Zorn zu verdeutlichen fegte er dabei die verbliebenen Fotos von einem der Tische. Toll. Man wusste nicht, ob man lachen oder weinen sollte. Elettra erschien zu ihrer Abfahrt mit einem Koffer (aha: Wir sind beim Regietheater) und packte daraus ein Brautkleid aus. Schließlich kamen aus dem Hintergrund andere Bräute diversen Alters und standen auf den Tischen herum, beglotzt vom Chor, die Bräute begannen zu bluten, alles sah aus, als wäre man in einer Lucia di Lammermoor-Parodie gelandet. Der Abschied von Idomeneo, Idamante und Elettra fand im Sitzen um einen runden Tisch statt, die Grimassen, die die drei schneiden durften, wären zum Lachen gewesen, wäre es nicht so traurig.
Bei der Erscheinung des Seemonsters nahm Idomeneo eine Knarre und fuchtelte damit psychotisch grinsend herum, während sich der hölzerne Bühnenraum über ihm hob.
Zum ersten Mal an diesem Abend wurde die musikalische Wucht dieser Mozartoper aus dem Orchestergraben spürbar. Denn was der Dirigent Giovanni Antonini mit dem tiefgestimmten Orchester in pseudo-historischer Aufführungpraxis geboten hatte, war lauter, verwaschener Einheitsbrei in breiten Tempi. Endlich Pause. Meine Kollegen waren sichtlich ermattet. Für die eine war es der erste Opernbesuch, höchstwahrscheinlich auch der letzte. Um den Abend zu retten, beschlossenen wir, auf den Rest der Oper zu verzichten und den Abend in der benachbarten Belcanto-Bar bei einem Bierchen ausklingen zu lassen, wir plauderten und lachten gut gelaunt, fast war die versaute Oper vergessen. Als wir gingen, war auch die Oper beendet. Man beobachtete, wie sich das sichtlich ermüdete Publikum zur Trambahn schleppte.
Fazit: Wie tief kann ein Opernhaus noch sinken, bevor endlich jemand die Notbremse zieht?


Samstag, 3. Februar 2018

Largo al factotum - Platz da für diesen Barbiere an der Bayerischen Staatsoper!


Fast 30 Jahre gibt es sie nun schon: Ferruccio Soleri's grandiose Inszenierung des Klassikers „Il Barbiere di Siviglia“, und dennoch ist sie frisch und spritzig wie am ersten Tag. Woran das wohl liegt? Vielleicht daran, dass Soleri Rossini's wunderbares Werk seine Wirkung entfalten lässt und auf Zeitverlegungen, scheußliche Farben, hässliche (bzw. nicht vorhandene) Bühnenbilder, Rollstühle, Waschmaschinen und sonstige Standardrequisiten des ach so möchtegern-innovativen „aktuellen“ Regietheaters verzichtet. Das Ergebnis? Ein Dauerbrenner an der Bayerischen Staatsoper, der Jung und Alt fasziniert, zum Lachen bringt und die bekannte Geschichte mit Tempo und Witz erzählt. Bühnenbildner Carlo Tommasi hat die Drehbühne optimal genutzt und lässt ein imposantes Wohnhaus mit typisch barockem Portal von außen und innen erscheinen. Rosinas doppelt vergitterter Balkon (ja, die überflüssige Vorsicht!) fehlt genauso wenig wie eine feinsinnige Lichtregie, die den Wandel vom Morgengrauen, in dem der liebeskranke Graf Almaviva mit extra angeheuerter Kapelle sein Ecco ridente il cielo darbringt, zum strahlenden mediterranen Tag sehr gut nachvollzieht. Die Personenregie steht ganz im Zeichen der Commedia dell'arte, auf deren Stereotypen wiederum auch Rossinis Oper fußt. Den Sängern wird Raum zur Improvisation gegeben, und genau dies tut der Oper sehr gut.

Unter der musikalischen Leitung von Keri-Lynn Wilson, die das Bayerische Staatsorchester leicht und unaufdringlich sowie ohne Tempokapriolen dirigierte, konnte ein beeindruckendes Sängerensemble seine Kunst entfalten. Edgardo Rocha, der als Graf Almaviva wirklich alles daran setzte, seine geliebte Rosina zu gewinnen, sang die schwierige Partie mit lockeren Koloraturen und viel Eleganz, konnte jedoch auch mit durchdringenden Spitzentönen überzeugen. Ebenso konnte er sein komisches Talent in der herrlichen Szene Pace e gioia sia con voi wunderbar zeigen. Schade, dass „Cessa di più resistere“, jene berühmt-berüchtige Bravourarie am Schluss der Oper, nicht auch von Rocha gesungen wurde. Es wäre mit Sicherheit ein Genuss geworden.

Lilly Jørstad als ebenso spielfreudige wie stimmlich brilliante Rosina war eine wirkliche Freude. Ihr schöner Mezzosopran meisterte die Partie mühelos und in ihrer Kavatine Una voce poco fa präsentierte sie die ganze Bandbreite des romantischen, sehr verliebten, aber eben auch sehr gewitzten Mädels, dem man sofort abnimmt, dass es zur „vipera“ wird, wenn man es in die Enge treibt.

Einen schlauen und zu allen möglichen Kniffen bereiten und selbstbewussten Helfer hatte sie im Figaro von Etienne Dupuis, dem man den verschlagenen Barbiere nicht nur in seinem sehr überzeugend dargebrachten Largo al factotum, sondern auch in den Ensembles sofort glaubte. Mit gut sitzendem, voll strömenden Bariton meisterte er die anspruchsvolle Rolle und gerade das Duett mit dem Grafen All'idea di quell'metallo gelang hervorragend. Figaro ist demnach der perfekte Geschäftsmann: Er weiß um seinen Wert und hat keine Skrupel, sich dieses Talent auch gut bezahlen zu lassen.

Renato Girolami als leer ausgehender Dottore Bartolo, der so stark an die Figuren Dottore und Pantalone aus der Commedia dell'arte erinnert, war genau so, wie man sich diesen dünkelhaften Herrn vorstellt. Mit Spielfreude und Witz sowie virtuosem Parlando sang er den so gescheiten Doktor, der alles richtig machen will und letztenendes an seiner eigenen Vorsicht scheitert. Fast könnte man Mitleid mit ihm haben, aber allerdings auch nur fast, denn wenn man einmal gesehen hat, zu welch üblen Intrigen er bereit ist, um Rosina unbedingt heiraten zu können, verfliegt dieses Gefühl wieder. Musiklehrer und Hobbyintrigant Peter Rose als Don Basilio war ihm ein ebenbürtiger Kumpan, dessen berühmte Verleumdungsarie mit sonorem Bass, allerdings mit zuweilen etwas schwachen Höhen gesungen wurde.

Selene Zanetti überzeugte als unzufriedene Haushälterin Berta und der Rest des Ensembles einschließlich Männerchor in wunderschönen Uniformen des 18. Jahrhunderts trug ebenfalls zu einem wirklich gelungenen Abend bei.

Es könnte so schön, so anregend und einfach gut sein, liebe Bayerische Staatsoper. Warum eigentlich nicht immer so? Warum bei jeder eurer Neuproduktionen dieser ständige Kniefall vor dem ebenso blasierten wie inkompetenten Feuilleton und dem billig-primitiven Zeitgeist ? Ihr bekommt Steuergelder und habt einen Bildungsauftrag. Kommt dem gefälligst nach und macht mehr von solchen Produktionen wie diesem Barbiere di Siviglia! Oper, Publikum und Gesellschaft werden es euch danken!


Donnerstag, 23. November 2017

Wie man sich in eine Oper neu verliebt - Turandot an der Met

Wie heißt das Hassobjekt Nr.1 der Regietheater-Mafia? Richtig, Franco Zeffirelli! Und warum wird dieser wunderbare Regisseur von den Regietheater- Leuten so gehasst und verachtet? Weil er ihnen gefährlich wird. Weil sie wissen, dass sie mit ihrem Müll niemals so erfolgreich sein werden wie seine Inszenierungen, welche sich zum Teil Jahrzehnte oder sogar ein halbes Jahrhundert im Repertoire verschiedener Opernhäuser gehalten haben und sich immer noch größter Beliebtheit beim Publikum erfreuen, so wie am ersten Tag.

Und das ist für die mafiösen Strukturen, die das Regietheater in Europa etabliert hat, eben gefährlich. Deswegen versucht die Regietheater-Mafia überall dort, wo sie das Sagen hat, die Inszenierungen von Franco Zeffirelli abzusetzen, denn sie fürchten, dass die übermächtige Erinnerung an diese Meisterwerke der Regie ihr eigenes Nichtkönnen in den Schatten stellen  und in Bedeutungslosigkeit verkommen lassen wird.
Die Jugend soll diese richtige Form der Oper niemals kennenlernen und stramm linientreu im Sinne des Regietheaters erzogen werden. Wenn man jedoch einmal eine so großartige Inszenierung wie die von Turandot durch Franco Zeffirelli an der MET erlebt hat oder gar - so wie - ich das Glück hatte, mehrere seiner Inszenierungen an verschiedenen Spielorten live mitzuerleben, wird man immun gegen die Indoktrinierungen des Regietheaters und erkennt darin nichts weiter als des Kaisers neue Kleider.
Ich hatte Mitte November die Gelegenheit, Franco Zeffirellis Produktion von Puccinis Turandot live auf der Bühne der Metropolitan Opera in New York miterleben zu dürfen und muss nun für mich sagen, dass es ab jetzt schwierig wird, eine andere Inszenierung jemals zu akzeptieren, denn die Met-Produktion war so  mustergültig, dass es schwierig wird, dieses Niveau wieder zu erreichen. Schon beim Betreten des Opernhauses fiel einem die festliche Atmosphäre auf, zu der das internationale Publikum pilgerte. Alles schien in der frohen Erwartung, dass an diesem Abend etwas ganz Besonderes stattfinden würde. Voller Vorfreude nahm man im Zuschauerraum Platz und sah den prunkvollen goldenen Vorhang, der noch die Bühne bedeckte.
Als es kurz nach 8 Uhr im Saal dunkel wurde und der Dirigent unter Applaus ans Pult trat, hielt man in gespannter Erwartung den Atem an. Majestätisch dirigierte Carlo Rizzi die einleitenden Akkorde, während der goldene Vorhang kunstvoll nach seitlich und oben gezogen wurde. Die Bühne war eine wahre Augenweide. Man sah einen klassisch gemalten Prospekt im Hintergrund, während sich an den Seiten die Hütten der armen chinesischen Bevölkerung befanden. Der Chor stand als düstere gesichtslose Masse auf der Bühne, blieb jedoch dank der ausgezeichneten Chorregie Zeffirellis immer in Bewegung. So wurden ganz im Einklang mit der Musik immer wieder zahlreiche kleine individuelle Geschichten erzählt. Ein wahres Heer aus Statisten und Akrobaten brachte wiederholt Farbe in die dunkle monumentale Szenerie und setzte so vermehrt optische Akzente und Überraschungen. Die Protagonisten waren auf beeindruckende Weise immer von den Chormassen und Statisten abgrenzbar und für den Zuschauer klar im Fokus.
 Zeffirelli tat nichts anderes, als das auf die Bühne zu bringen, wozu ihn Partitur und Libretto verpflichtet haben, als er einwilligte, diese Oper zu inszenieren. Er hat nämlich im Gegensatz zu manch pseudointellektueller Pappnase begriffen, dass die Regieanweisungen genauso Teil der Partitur sind wie die Noten. Es ist bezeichnend, dass man eine Selbstverständlichkeit wie diese hier extra erwähnen muss. Die Personenregie war immer ganz genau im Einklang der Musik und äußerst sensibel gezeichnet. Es war beeindruckend mit anzusehen, wie beim stummen Auftritt des Prinzen von Persien der Palast der Turandot plötzlich im Bühnenhintergrund aus dem Nebel auftauchte  und man darin die eiskalte Prinzessin, umgeben von ihren Dienerinnen, auf einem Diwan liegen sah, von wo aus sie das Zeichen zur Hinrichtung gab.

Das Bühnenbild des zweiten Aktes stellte - ebenfalls librettogemäß - einen dreiteiligen Pavillon mit den Ministern Ping, Pang und Pong dar.
 Als nun am Ende dieser Szene der Kaiserpalast in strahlendem Gold auftauchte, erschien das aus den Plakaten der Metropolitan Opera wohlbekannte Bild. Regietheater-Jünger haben an ihm immer wieder ausgesetzt, dass Zeffirelli ja in dieser Szene den Vorgaben des Librettos nicht gefolgt sei, da die dort verlangte Treppe, auf der Turandot hinabsteigt, so nicht vorkommt. Aber, liebe Regietheater-Knalltüten: Ätsch! Wer sehen kann, ist klar im Vorteil, denn die Treppe gibt es, genauso wie im Libretto gefordert. Der Kaiserpalast steht nämlich gegenüber dem Bühnenboden stark erhöht auf einem Sockel, und die Treppe führt von hinten oben schräg nach vorne unten. Und Prinzessin Turandot darf sie bei ihren Fragen genauso hinunter schreiten, wie es sein soll.

Haltet doch einfach die Klappe und akzeptiert, dass es andere besser können als ihr. Kommt Kunst nicht vom Können? Erwähnenswert ist auch, dass begeisterter Applaus spontan aufbrandete, als diese wunderbare goldene Szenerie zum ersten Mal auf der Bühne sichtbar wurde, Chorsänger und Statisten waren in prächtige, fantasievolle Kostüme gekleidet, so dass man aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam. Zeffirellis langjährige Kostümbildnerin, die 1987 verstorbene Anna Anni, hatte gemeinsam mit Dada Saligeri wirklich ganze Arbeit geleistet.

Nach einer weiteren Pause begann der dritte Akt. Wie im Libretto gefordert, befand man sich nun in einem nächtlichen chinesischen Garten, in welchem  Calaf sein berühmtes Nessun Dorma sang. Abermals ergänzten sich traditionell gemalte Prospekte und gebaute Elemente des Bühnenbildes perfekt, und auch auch die Ausleuchtung der Szene war optimal gelungen.  Als die Prinzessin bekanntgab, dass der Name des Fremden Liebe sei, brach das umstehende Volk in Jubel aus, Glitter fiel von oben herab und der Vorhang fiel unter dem überwältigenden Jubel des Publikums.

Wann hat man in Regietheater-vergifteten Zeiten so etwas zuletzt gesehen?

Kommen wir nun zu den wunderbaren Sängern, die dieser mustergültigen Inszenierung erst zur vollen Wirkung verhalfen.
In der kurzen, aber ungemein anspruchsvollen Titelrolle bewies die Ukrainerin Oksana Dyka vom ersten Ton an ganz großes Format. Auch optisch entsprach sie genau dem, was man sich unter der Turandot vorstellt. So schleuderte sie mit ihrer riesigen Stimme und scheinbar grenzenlosem Tonumfang die gefürchtete Auftrittsarie „In questa reggia“ mit eisiger Kälte ins Auditorium. Man folgte ihrem Vortrag mit angehaltenem Atem. Im Verlauf des Abends bewies Dyka jedoch auch, dass sie zu wärmeren Farben und wunderschön im Piano ausgesungenen Phrasen wie in dem von Franco Alfanos komplettierten Finale fähig war. So gelang die Wandlung der Prinzessin aus Eis zur liebenden Frau musikalisch bestens. Mit dem lettischen Tenor Aleksandrs Antonenko hatte ich bisher keine guten Erfahrungen gemacht. Ich habe ihn des öfteren in München und Zürich erlebt und erinnerte mich an eine belegte, angestrengte Stimme. Entsprechend skeptisch war ich, als ich seinen Namen in der Besetzungsliste sah. Aber wie man sich täuschen kann! Als Calaf wirkte dieser Tenor wie verwandelt und begeisterte fast uneingeschränkt. Hatte ihn die grandiose Inszenierung zu dieser Höchstleistung animiert und inspiriert? Die Stimme Antonenkos war voller Strahlkraft mit ihrem metallischen Timbre und meisterte fast alle hohen Anforderungen dieser schwierigen Rolle mühelos. Auch die leiseren, lyrischen Passagen seiner Rolle wie das „Non piangere Liu“ waren gefühlvoll und sensibel interpretiert; das berühmte „Nessun Dorma“ klang strahlend heldisch und unangestrengt. Dankenswerterweise hatte man an der Met nicht die Unsitte übernommen, für diese Arie den Konzertschluss zu verwenden, um dem Publikum die Möglichkeit für störenden Applaus zu geben. Wir sind ja schließlich an der Met und nicht bei Paul Potts! Dass man den Calaf insgesamt vielleicht etwas kultivierter singen könnte, bleibt bei einer so mitreißenden Interpretation Kritik auf sehr hohem Niveau. Sehr zart und berührend gestalte Hei-Kyung Hong, Urgestein an der Metropolitan Opera, die treue Sklavin Liu. Ihre Arie im ersten Akt, sowie ihre Todesszene „Tu, che di gel sei cinta“ wurden wahrlich herzergreifend mit warmem lyrisch-strömendem Sopran gesungen. Luxuriös besetzt war auch Calafs Vater, der blinde Tataren-König Timur mit Giorgi Kirof, der mit balsamischem, warmem Bass auf bewegende Weise um Liu trauerte. Stimmlich ausgezeichnet und spielfreudig-komödiantisch präsentierte sich das Minister-Trio aus Ping, Pang und Pong mit Alexey Lavrov, Toni Stevenson und Eduardo Valdes. In ihren kurzen Rollen als düsterer Mandarin und Imperatore Altoum, konnten Jeongcheol Cha und Ronald Naldi nachhaltig auf sich aufmerksam machen. Der Chor der Metropolitan Opera war phantastisch von Donald Palumbo einstudiert, ich habe den Chorpart dieser Oper selten so textverständlich gehört. Als er am Ende des Trauermarsches „Oblia! Liù...Poesia!“, den letzten von Puccini komponierten Worten, hauchte, war das ein absoluter Gänsehautmoment, die von Carlo Rizzi lange ausgekostete Generalpause danach ein wahrer Moment des Innehaltens. Am Pult des Orchesters der Metropolitan Opera sorgte Rizzi für eine spannende, vorwärtsdrängende Interpretation,so dass einem schier der Atem stockte. Am Ende stehende Ovationen und viele Blumensträuße für die ebenfalls berührten und glücklichen Sänger. Was für ein Abend! Leider waren meine Ferien bereits am Tag darauf beendet und ich musste die Heimreise nach Europa antreten.











Samstag, 7. Oktober 2017

Überraschende Norma aus der Metropolitan Opera (7.10.)


Längst ist es nicht mehr so, dass ein Weltopernhaus wie die Met für uneingeschränkte stimmliche und regieliche Qualität steht, und mittlerweile ist es wohl Alltag, dass neben gesanglichen Höchstleistungen auch Fehlbesetzungen gang und gäbe zu sein scheinen. Doch der Reihe nach.

David McVicars Inszenierung belässt Norma im Druidenwald und verzichtet erfreulicherweise auf die sonst bei dieser Oper schon fast zum Standard gehörenden SS-Schergen, Maschinengewehre und sonstigen Kokolorus, den heutige „Regisseure“ so lieben. Nein, es gibt richtige gallische Krieger, die just Vercingetorix' Armee entsprungen zu sein scheinen. Irminsuls Eiche für Normas Casta Diva gibt es ebenso wie Sichel und Mistel; desgleichen sind Normas Gemächer mit Liebe zum Detail ausgestattet, und das Schlussbild beeindruckt mit prächtigem Farbspiel der rotglühenden Flammen, welche die nun Wieder-Vereinten Norma und Pollione verzehren. Man hätte sich stellenweise mehr Licht und überhaupt eine einfallsreichere Lichtregie gewünscht, aber dies sei angesichts eines wirklich gut geratenen Regieansatzes für dieses so oft missbrauchte Werk geschenkt.

Umso mehr überrascht es, dass bei so einer Detailgenauigkeit Adalgisa nicht nur mit perfekt lackierten Fingernägeln, sondern auch mit einer flotten, hochmodernen Kurzhaar-Frisur daherkommt, die anscheindend frisch vom Starcoiffeur Udo Walz kreiert worden ist, der nun wohl auch in Gallien eine Filiale eröffnet hat. Nun ja, Perücken scheinen wohl leider ganz aus der Mode gekommen zu sein, und diese neue Manie, dass jeder mit privatem Haupthaar auftreten muss, egal, ob es nun rollengemäß ist oder nicht, erfuhr mit Joyce DiDonatos Frisur einen sehr zweifelhaften Höhepunkt.

In der Titelrolle brillierte Sondra Radvanovsky mit einer Darbietung ihrer wirklich beeindruckenden Gesangstechnik. Wenngleich ihre Mittellage leicht scheppernd und etwas abgesungen erscheint, sind doch die Höhen sternenklar, dramatisch und in allen dynamischen Schattierungen zu haben und werden durch ein fantastisches Brustregister ergänzt. Stellenweise verfällt sie in ein sehr an die Callas erinnerndes, bedrohliches Gurren, was der Rolle sehr zugute kommt. Zudem verleiht sie durch ihre kluge Gestaltung, ihre durchdachten Bewegungen und Blicke der Rolle eine Würde, die man heute oftmals vergeblich sucht.

Joyce DiDonato in der Rolle der Novizin Adalgisa steht ihrer „Chefin“ Norma in nichts nach. Ihr herrlicher Mezzosopran, der wie aus einem Guss klingt, war gerade im berühmten Mira o Norma ein absoluter Ohrenschmaus. Sie beherrscht alle Finessen, sie kann flehen, bitten, jammern, ohne jemals dem Belcanto abtrünnig zu werden. Schade, dass ihre völlig unpassende Frisur diesen akustischen Genuss nicht auch optisch ergänzen konnte. Zudem störte ihr stellenweise recht hyperaktives Spiel, und gerade in der Szene des ersten Aktes, in der sie Norma aufsucht, um dieser ihr Herz auszuschütten, hätte man sich gewünscht, dass in einer der vielen schönen Amphoren in Normas Behausung ein wenig Ritalin für Ms DiDonato zu finden gewesen wäre.

Pollione ist eine undankbare Rolle – ein treuloser, verräterischer Liebhaber, dem sogar seine beiden Kinder egal sind, und zudem noch ein römischer Usurpator. Das Schöne an Opern ist aber ja gerade, dass selbst die gemeinsten Schurken noch die schönsten Melodien singen, und was die Kantilenen anbetrifft, ist Bellini nun einmal der unangefochtene Sieger, worin sich sogar Verdi und Wagner einig waren, welche die „Norma“ gleichermaßen hoch schätzten. Schmerzlich ist jedoch, wenn eine Rolle so unangemessen besetzt ist, wie es diesmal mit Joseph Calleja geschah.

Sicher, es gibt lyrische Tenöre, die ins dramatischere Fach wechseln, aber auf Calleja trifft dies nun wahrlich nicht zu. Bellinis erster Pollione Domenico Donzelli gehörte zu den sogenannten Baritenori, also einem Sängertypus mit baritonal gefärbtem, bronzenem Timbre, wie es auch Caruso besaß. Für so einen Tenor wurde diese Rolle geschrieben, nicht aber für einen Duca di Mantova, der sich auf Urlaub in Gallien als römischer Offizier verkleidet hat. Nach seinem Meco all'altar di Venere wünschte man sich für die folgende Cabaletta den Druiden Miraculix herbei, der Calleja eine große Portion seines Zaubertranks einflößt oder ihn gleich ganz in Franco Corelli oder wenigstens Jon Vickers verwandelt. Doch leider geschah das nicht – das hohe C der Cabaletta wurde kurz angetippt, riss ab und war weg. Überhaupt singt Calleja seltsam emotionslos und unbeteiligt, und im wunderbaren Va crudele mit Aldagisa war er neben DiDonato gar nicht mehr zu hören, desgleichen, wenn er sich mit Radvanovsky zu messen hatte. Ein sehr ungleicher Kampf. Da nützen auch keine ansehnlichen Piani im Schlussduett mit Norma. Pollione ist weder Edgardo di Ravenswood noch Arturo Talbo, es gibt so gut wie gar keine Koloraturen, dafür aber umso mehr Dramatik. Es scheint aber auch dies ein Tick unserer Zeit zu sein, Spinto-Rollen mit viel zu lyrischen Tenören zu besetzen, und in einer (Opern)welt, in der Pjotr Beczala (!) und Klaus-Florian Vogt (!) sich an Wagner (!) versuchen, erscheint Calleja eben als Pollione. Demnächst hören wir Vittorio Grigolo vielleicht als Siegfried, wer weiß...
Warum nur wissen manche  lyrischen Tenöre ihr Talent, ihre Gaben und  ihre Stimmen nicht zu schätzen und müssen um jeden Preis dramatische Rollen singen?

Matthew Rose in der Rolle des Priesters Oroveso, war für ein Haus wie die Met völlig unzureichend, wohingegen die wenigen Passagen der Clotilde von Michelle Bradley sehr vielversprechend waren und man Bellini fast ein wenig grollte, dass er ihre Rolle nur mit so wenig Gesang bedacht hat.

Carlo Rizzi ehrte Bellini mit seinem gefühlvollen, aber auch leidenschaftlichen und ganz dem Belcanto verpflichteten Dirigat, ebenso waren Chor und Orchester die Garanten für bekannte und geschätzte Qualität.

Insgesamt eine beachtliche Aufführung  ohne Regiewahnsinn und mit mehrheitlich toller Besetzung.

Sonntag, 24. September 2017

Grandiose Cavalleria rusticana/ I Pagliacci in Hamburg (22.09.)




Wann ist ein Opernabend wirklich gelungen? Abgesehen von einer stimmigen Inszenierung, die das Werk und nicht den x-ten Regie-Exzess zeigen sollte? Nun, wir finden, vor allem dann, wenn die Sänger so gut (weil rollengemäß besetzt) sind, dass sie es dem Publikum ermöglichen, die grandiose Musik und die Dramatik des Stoffes zu genießen und intensiv zu erleben. Eigentlich ja eine selbstverständliche Angelegenheit, aber in heutigen Zeiten, in denen stimmliches Können vielfach eben gerade nicht mehr ausschlaggebend zu sein scheint, in der Agenturen und Medien sogenannte Stars künstlich kreieren, und in der Fehlbesetzungen fast an der Tagesordnung zu sein scheinen, ist gerade das ein eher seltenes Glück geworden. Nicht so in der hanseatischen Metropole des Nordens.

Der Abend begann mit Mascagnis Cavalleria rusticana, die nach der bekannten gleichnamigen Novelle Giovanni Vergas entstand. Giancarlo del Monaco, der mit seinen späteren Regien seinem berühmten Namen nun wirklich keine Ehre gemacht hat, gelang mit dieser Arbeit (wie auch mit den Pagliacci) aus dem Jahr 1988 eine werkgerechte, stimmige  Visualisierung des bekannten Verismo-Stoffs. Und siehe da - es ist möglich, ein Werk so zu inszenieren, dass man es wiedererkennt. Es bedarf keiner Mätzchen, Umdeutungen und Belehrungen, ohne die heutige "Regisseure" ja nicht mehr auskommen. Es klappt - so ganz ohne konstruierte Nebenhandlungen durch unnötige Statisten, so ganz ohne sinnfreien Aktionismus und billige Pornographie. Selbst auf das obligatorische Pissoir bzw. Toilettenbecken wurde verzichtet. Lediglich ein typisches sizilianisches Dorf war da zu sehen, und ansonsten gute bis sehr gute Sänger zu hören. Wie konnte das nur funktionieren? 

Ein wirklich stimmgewaltiges Protagonistentrio hatte man sich da für die Aufführung gesucht.
Elena Zhidkovas Santuzza beeindruckte mit flammenden Höhen, aber auch mit lyrischen, geradezu herzzerreißenden Passagen im Duett mit Turiddo, sowie durch eine sehr kluge darstellerische Gestaltung der Rolle. Man konnte die Verzweiflung der verlassenen und exkommunizierten Sizilianerin hautnah spüren, einer Frau, die jeglichen Stolz und jede Würde vergisst, um ihren wankelmütigen früheren Geliebten vergeblich wieder für sich zu gewinnen.

Der junge rumänische Tenor Teodor Ilincai war stimmlich und darstellerisch ebenfalls das, was man von einem Turiddo erwartet. Im hochdramatischen Duett mit Santuzza entfaltete er sein ganzes Können – eine strahlende Höhe sowie eine kräftige Mittellage, die es mit dem großartigen Philharmonischen Staatsorchester durchaus aufnehmen konnten. Nein, hier wurde nicht gespart, sondern wirklich alles gegeben, auch im traurigen “Mamma ..quel vino è generoso..”, mit dem sich der todgeweihte Turiddo von seiner Mutter verabschiedet.
Dass del Monaco Mamma Lucia (Renate Spingler) die letzten Worte ihres einzigen Sohnes seltsam distanziert vom Balkon vernehmen lässt, soll vielleicht die Ahnungslosigkeit Lucias symbolisieren, erscheint aber angesichts der klaren Worte Turiddos “Un bacio..mamma, un'altro bacio..” als regielicher Irrtum.Natürlich ist da der berühmte sizilianische Stolz, aber angesichts eines so verzweifelten Sohnes, dem sein sichere Tod gewiss ist, dürfte sich gerade eine sizilianische Mutter wohl kaum dessen letzten Gruß nur vom Balkon aus anhören.
Mit dem Alfio von George Gagnidze ist aber auch wirklich nicht gut Kirschen essen gewesen. Bei so einem fulminanten ersten Auftritt (Il cavallo scalpita), der dem brutalen Fuhrmann stimmlich wie darstellerisch mehr als nur gerecht wurde, konnte man sich schon lange vorher ausrechnen, dass die Geschichte übel enden würde, noch vor Lolas (sehr schön: Dorottya Lang) sehr treffenden Worten: “Ahime che mai sarà?”. Chor und Orchester unter der Leitung von Josep Caballé-Domenech spielten und sangen in gewohnter und bewährter hoher Qualität, wenngleich es beim Chor stellenweise etwas “klapperte.”

Insgesamt eine Cavalleria, die so ganz mit dem übereinstimmte, was der sizilianische Schriftsteller Giuseppe Tomasi de Lampedusa in seinem Meisterwerk Il Gattopardo den Fürsten von Salina über seine Landsleute sagen lässt: “ Die Offenbarungen des sizilianischen Wesens kommen aus krankhafter Träumerei. Unsere Sinnlichkeit ist Sehnsucht nach Vergessen...Unsere Flintenschüsse und Messerstiche Sehnsucht nach Tod.”

Nach diesem berauschenden Auftakt hätte man von den Pagliacci kaum eine Steigerung erwarten können – wohl aber gleichbleibende Qualität, was auch so geschah.

Zeffirelli hatte in seinem Film von 1982 die Handlung, die eigentlich auf der Basis einer wahren Begebenheit 1865 spielt, in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen verlagert; del Monaco versetzt sie in die Fünfziger Jahre. Wenn es überhaupt eine Oper gibt, die eine Zeitversetzung (allerdings natürlich nicht mit unbegrenztem Spielraum) mitmachen kann, dann ist es I Pagliacci.
Es tut der ärmlichen Schauspieltruppe Canios also keinen Abbruch, wenn der Wagen mit den Bühnenutensilien nicht von einem Maultier gezogen wird, sondern aus der Ladefläche einer typischen Ape besteht. Die reizende Commedia dell'arte-Anspielung, die sich dann in sehr treffenden Kostümen später im 2. Akt auf genau dieser Ladefläche entspinnt, steht in bester Tradition.

Wenn ein des zweifachen Mordes schuldig gewordener Mann wie Canio dennoch den meisten Applaus erhält, liegt das einerseits an der unsterblichen Musik, die Leoncavallo ihm komponiert hat, andererseits aber natürlich an einer Leistung, wie sie der Koreaner Alfred Kim in der Rolle des unglücklichen Chefs des Wandertheaters ablieferte. Sein durchgeformter, ungemein metallisch-voluminöser Tenor wurde vor allem in den hohen Lagen spielend mit den orchestralen Anforderungen fertig, und das tragische Ridi pagliacci geriet gar zu einer Lehrstunde in Sachen Atemtechnik, ebenso wie das zornig-verzweifelte No, pagliaccio non son.

Hayoung Lee in der Rolle der lebenslustigen und freiheitsliebenden Nedda stand ihm in nichts nach. Im träumerischen Stridono lassù und den glockenhellen Höhen der koreanischen Sopranistin konnte man die ganze Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit heraushören und erleben. Dankbarkeit – so begründet sie auch sein mag – kann eben keine Liebe sein, und mehr kann Nedda für den unglücklichen Canio kaum empfinden. In der Szene mit Tonio, den ebenfalls George Gagnidze als bösartigen, aber sich – wie alle Lebenden- dennoch nach Liebe und Anerkennung Sehnenden wunderbar glaubhaft interpretierte, konnte sie dann auch ihre dramatische Seite zeigen, desgleichen auch im Duett mit ihrem Geliebten Silvio ( zu lyrisch: Alexey Bogdanchikov).

Eine schöne Commedia konnte man dann sehen, inklusive hervorragend gesungenem Ständchen eines sogar akrobatisch veranlagten Arlecchino (Oleksiy Palchykov), überzogenen Scherzen und dem bekannten, gar nicht komischen Ende, das immer wieder für Gänsehaut sorgt, egal, wie oft man die Oper nun schon erlebt hat.

Dem Zauber dieses Abends konnten sich  die eher zurückhaltenden Hanseaten dann auch nicht entziehen und spendeten dem Sängerensemble den wirklich verdienten, üppigen Applaus.



Freitag, 16. Dezember 2016

Überragende Norma in Tel Aviv am 15.12.2016




Liebe Freunde, heute möchte ich von einem Opernabend berichten, der für mich eindeutig zu den Besten gehört, die ich in den letzten Jahren in Sachen  italienischer Oper erleben durfte. Nachdem ich ein paar Tage Freunde in Israel besucht habe, war es für mich als Opernfan irgendwo selbstverständlich, auch einmal die Oper in Tel Aviv zu besuchen, nachdem ich vor zwei Jahren in Israel bereits eine ausgezeichnete Tosca in Massada als Open Air erleben durfte. Das moderne Opernhaus in Tel Aviv war bis auf wenige Plätze komplett ausverkauft. Norma ist ein sehr populäres Werk, und das wollte man sich in einem so klassikbegeisterten Land natürlich nicht entgehen lassen. Im Gegenzug dazu liebt die Oper in Tel Aviv ihr Publikum und ist auf dieses angewiesen. Bis auf wenige (gemäßigte) Ausnahmen würde man diesen treuen Besuchern niemals solche abartigen Regietheaterinszenierungen zumuten, wie das in Europa leider der Fall ist. Trotz knapper Kassen hatte die Intendanz der Israeli Opera eine Norma -Besetzung zusammengestellt, die auch an europäischen Bühnen  ihresgleichen sucht.  Aber zunächst zur Inszenierung: Diese war vom Teatro Regio in Turin übernommen worden und einfach nur wunderschön. Alberto Fassini hat Bellinis Musik und das Libretto Felice Romanis' eins zu eins liebevoll umgesetzt. Die Bühnenbilder von William Orlandi waren intelligent arrangiert und hochästhetisch. Die ebenfalls von Orlandi entworfenen Kostüme prächtig und historisch genau. Druiden waren Druiden, Römer waren Römer und die Krieger waren als solche erkennbar. Norma trat in einem prächtigen roten Kleid mit einer goldenen Priesterinnen-Krone auf. Burkas und Kalaschnikows wie einst in einer abstrusen Münchner Inszenierung suchte man -surprise, surprise- vergeblich. Die Bühnenbilder ermöglichten  fließende Szenenwechsel. Man sah eine aus diversen Steinplatten gebildete Rückwand. Diese konnten sich verschieben und gaben den Blick auf schön gemalte Hintergrundprospekte frei, welche gallische Landschaften zeigten. Die Statue eines römischen Kaisers, die zu Beginn die Szenerie überragte war am Ende zerstört. In dem aus dem Steinplatten gebildeten Raum wirkte die Titelheldin Norma wie lebendig begraben. In dieser Abgeschiedenheit zog sie ihre Kinder groß. Die  Bühnenbilder machten auf ästhetische und zugleich bedrückende Weise die Unfreiheit der Druidenpriesterin deutlich. Innenwelt, Privatsphäre  und Außenwelt sind klar voneinander getrennt. In diesem Rahmen darf Norma ihre Casta-Diva-Arie auf einem imposanten Steinaltar, umgeben von dem prächtig kostümierten Chor, singen. Der Mond beleuchtet die Szenerie authentisch. Mit Maria Pia Piscitelli hat die Israeli Opera eine erfahrene und international gefragte Rolleninterpretin verpflichten können.  Sie hat diese Partie bereits konzertant in Wien, Buenos Aires und Rom gesungen. Eine riesige, volle, aber doch kontrollierte Sopranstimme, die in allen Lagen ausgezeichnet anspricht und der auch die schwierigen Koloraturen keinerlei Probleme bereiten. Casta Diva war so ein wahres Erlebnis, die Duette mit Adalgisa voll von betörendem Schönklang. Diese Priesterin blieb auch darstellerisch nichts schuldig - da stimmte jede Geste: Wut, Verzweiflung, Trauer und Rache, all dies konnte man auf der Bühne real erleben. Großartig geriet auch die Adalgisa von Jennifer Holloway. Vom Timbre her völlig anders als die Norma, erweckte sie die junge Novizin zu Fleisch und Blut. Das silbrige Verschmelzen der Stimmen von Piscitelli und Holloway war ein Erlebnis; das  "Mira o Norma"  ein Triumph. Der Pollione des Abends war bei Hector Sandoval in besten Händen. Dessen markanter metallischer Tenor mit ausgezeichneter Höhe musste sich zu Beginn noch etwas aufwärmen, aber dann zeichnete er das  zynische Portrait eines kaltherzigen, testosterongesteuerten römischen Statthalters, der beiden Frauen das Herz bricht. Das Ende des ersten Aktes platzte nur so fast vor Dramatik. Carlo Striuli wirkte als Oroveso so, als habe er sich leider eine Erkältung eingefangen. Berührend geriet seine Schlussszene, wenn der oberste Druide erstmals Herz zeigt und sich bereit erklärt, für seine Enkelchen zu sorgen. Der Chor unter der Einstudierung von Ethan Schmeisser war eine Wucht: Er sang präzise und elegant, ausgezeichnet war der mitreißende Guerra-Chor. Unter seinem Musikdirektor Daniel Oren spielte das Symphony Orchestra Rischon LeZion ausgezeichnet. Das war eine Interpretation voller Leidenschaft und Herzblut von der Ouvertüre an. Von Routine keine Spur.  Sicher leitete Orens sängerfreundliches Dirigat durch den gesamten Abend: Farben, Spannung und Dramatik ließen das Publikum zum Teil den Atem anhalten. Dieser Opernabend war wirklich etwas ganz besonderes, was ich in dieser Form so nicht erwartet hatte. Das Publikum spendete allen Beteiligten stehende Ovationen und feierte das gesamte Ensemble lange mit rhythmischem Klatschen. Vielleicht sollte man mal ein paar bescheuerte Kritiker des Deutschen Feuilletons nach Israel schicken. Hier wartet nämlich ein potentielles Opernhaus des Jahres. Um den kürzlich verstorbenen Präsidenten Shimon Peres zu zitieren: "Ein kleines Land mit einem großen Opernhaus."