Mittwoch, 28. Mai 2014

IL BARBIERE DI SIVIGLIA, STAATSOPER MÜNCHEN, 26.05.2014
Nur weil ein sogenannter Star absagt, heißt das noch lange nicht, dass eine Aufführung schlecht sein muss. So geschehen in München. Juan Diego Florez war vorgesehen  und wurde durch den eher unbekannten Eduardo Rocha ersetzt.  Letzterer ergriff die Gelegenheit beim Schopf und lieferte eine sehr respektable Gesangsleistung ab. Ein hoher schlank-geführter  Tenor mit angenehmem Timbre und sicher gesungenen Koloraturen vermochte durchaus für sich einzunehmen. Auch das engagierte Spiel Rochas konnte den positiven Eindruck  abrunden. Schade war nur, dass man Almavivas große Arie am Ende verzichtet hatte - diese hätte ich dem Sänger durchaus zugetraut.
 Mit Kate Lindsey war auch die Rosina an diesem Abend sehr gut besetzt. Sie verfügt über einen dunklen, klangvollen Mezzo und sang die Koloraturen sehr sauber und virtuos. Auch darstellerisch nahm man ihr sowohl das freche Gör, als auch das verliebte Mädchen gleichermassen jederzeit ab. So soll es sein.  
Rodion Pogassovs Faktotum Figaro hat einen hellen, sehr  schönen Bariton, der stimmlich keine Wünsche offen ließ, allerdings hätte ich mir von seinem Figaro etwas mehr Schlitzohrigkeit gewünscht um restlos überzeugen zu können.  
Renato Girolami als Bartolo ist derzeit wohl unübertroffen. Er scheint das Buffo-Talent im Blut zu haben und kostete die diesbezüglich in dieser Inszenierung gegeben Freiheiten voll aus. Das war nicht nur ein boshafter, schrulliger alter Mann, sondern ein Mensch der alles darum geben würde, mit der jungen Generation noch einmal mithalten zu können. Köstlich seine Wutausbrüche, in denen er  als "Dottor' della mia sorte" vergeblich versuchte, sich als Autorität in Szene zu setzen. 
Leider konnte Peter Rose als Basilio trotz engagiertem Spiel nicht ganz auf diesem Niveau mithalten. Man vermisste bisweilen das verschlagene, ja dämonische in dessen eher trocken timbrierten Bass, so dass das Gift der Calunnia bisweilen seine Wirkung verfehlte. 
Trotz angestrengter Höhe trug Hanna Elisabeth Müller als koloraturniesende Berta mit ihrem komödiantischen Talent viel zum Gelingen der Aufführung bei.
Während der Chor als liebevoll im Stil des 18. Jahrhunderts kostümierte  Soldatentruppe mit Bravour sang und spielte, hätte ich  Antonello Allemandi am Pult an diesem Abend etwas mehr Geist gewünscht, um  Rossinis Juwelen restlos zum Funkeln zu bringen. 
Immer noch als mustergültig zu bezeichnen ist Feruccio Soleris hinreißende Inszenierung aus dem Jahr 1989. Ganz in der Tradition der Commedia dell' Arte verhaftet, setzt sie auf spontane Situationskomik und ehrliche Emotionen. Alles ergibt sich aus der Musik und wird in den Rezitativen durch die wunderbaren Improvisationen am Cembalo unterstützt. Von platten Gags, wie man sie heute in Rossini-Inszenierungen erleben muss, bleibt man dabei glücklicherweise verschont. Ehrliche Emotionen und aufrichtiger Humor führen hier zurück zu dem, was die Oper sein sollte: ein Gesamtkunstwerk. Dazu trägt auch das liebevoll gestaltete, wunderschöne Bühnenbild von Carlo Tommasi bei. Ein sich drehendes herrschaftliches Haus in Sevilla zollt nicht nur den Vorgaben des Librettos Respekt, sondern ermöglicht auch reibungslose Szenenwechsel. Wunderschön und intelligent auch Ute Frühlings Kostüme, die alles in sich vereinen: Commedia dell'Arte, gesellschaftlichen Stand und Hinweise auf den Charakter der Protagonisten. Man kann nur hoffen, dass diese wunderbare Produktion noch lange erhalten bleibt und auch künftigen Generationen zeigt , was Oper sein kann und sein sollte.
 Wer so etwas  wunderbares und wertvolles als langweilig, nicht mehr zeitgemäß oder gar verstaubt bezeichnet, beweist nicht nur mangelnde Kenntnis von Rossinis  Werk, sondern sollte sich vielleicht fragen, ob er in der Oper überhaupt richtig ist.

Montag, 26. Mai 2014

Glanzvolle Tosca im Schillertheater
am 24.5.2014

Ein gelungener Opernabend, der das Publikum aufwühlt, belebt, beglückt und anregt, ist in den Zeiten der allgegenwärtigen Regietheater-Diktatur eher seltener geworden, zumal man auf vielen Opernbühnen auch Sänger und Sängerinnen zu hören bekommt, die ihren Rollen nur bedingt gerecht werden. Umso schöner, wenn es dann und wann doch noch erfreuliche Ausnahmen gibt.
Eine solche war die 177. Vorstellung der Tosca in der Inszenierung Carl Rihas, einer äußerst erfolgreichen Produktion, die allerdings schon bald durch eine „Neuproduktion“ ersetzt werden wird, die sicherlich gar nicht so neu sein wird – denn außer der althergebrachten, immer gleichen Aktualisierungsmanie hat das sogenannte moderne Regietheater wohl kaum etwas wirklich wichtiges zu bieten - wenngleich seine Macher das auch anders sehen mögen. Die Bühnenbilder von Wolfgang Bellach sind wuchtig und düster, aber sie passen wunderbar zur bedrohlichen Atmosphäre, die sich schon gleich zu Beginn über der Oper ausbreitet. Auffallend ist eine gute Lichtregie, die noch mit Verfolgern arbeitet, was heutzutage ebenfalls einer Seltenheit gleichkommt.Im dritten Akt sehen wir nicht die im Morgenrot schimmernde Kuppel des Petersdoms, sondern befinden uns im Innern der trutzigen Engelsburg; allenfalls hinter den Zinnen sehen wir ein Stück Himmel. Im Mittelpunkt befindet sich jedoch die Zelle des unglücklichen Malers Cavaradossi, der in die Fänge der unerbittlichen Justiz des Polizeistaates geraten ist. Ein Entrinnen kann und wird es daraus nicht geben – diesen Eindruck vermittelt das bedrückend wirkende Bühnenbild.
Qualitativ hochwertige Aufführungen an einer großen Bühne - selbst wenn die (Schauspiel)bühne des Schillertheaters räumlich gesehen kaum als groß zu bezeichnen ist - werden nicht nur durch gute Solisten, sondern auch gute Sänger in  Nebenrollen bestritten. Genau dies wurde vom ersten Moment an deutlich. Sowohl Artu Kataja (Angelotti) als auch Raimund Nolte (Mesner) und Michael Smallwood (Spoletta) konnten stimmlich und darstellerisch voll überzeugen; gerade der linkisch-bigotte Mesner, dessen leichtfertiges Gerede an der Katastrophe ja keinen geringen Anteil hat, wurde von Raimund Nolte hervorragend gespielt.

Béatrice Uria-Monzon stellte eine wunderbare Tosca dar – leidenschaftlich, verzweifelt, naiv und krankhaft eifersüchtig. Ihre flammenden Höhen waren genau das, was diese Rolle braucht. Im dritten Akt waren manche ihrer hohen Töne etwas zu offen, aber beim berühmten Vissi d'arte konnte sie auch hohen Erwartungen gerecht werden, wenngleich man sich stellenweise ein etwas ausgeglicheneres Piano gewünscht hätte. Über die Qualität ihrer Stimme, die der Sängerin ein sehr breites Repertoire gestattet, kann es jedoch keine Diskussion geben.

Gute Tenöre sind ja nicht nur heuer eher Mangelware. Umso erfreulicher, dass Jorge de Leon als Cavaradossi vom Gegenteil überzeugen konnte. Seine kraftvolle, jugendlich-dramatische Stimme bekam der Rolle sehr gut, und von solch strahlenden, voluminösen Höhen könnten viele, ansonsten in den Medien ungleich präsentere Kollegen wohl nur träumen. Mittellage und Mezzavoce klangen stellenweise etwas fest, man hatte den Eindruck, dass der Tenor seine Stimme unnötig drossele, was bei so einem herrlichen Material sehr schade ist. Wenn es ihm jedoch gelingt, auch die Mittellage so locker und unverkrampft wie die Höhe anzugehen, wird er dem Publikum hoffentlich noch lange als für das italienische Tenorfach prädestinierter Sänger erhalten bleiben.

Der lettische Bassbariton Egil Silins war ein furchterregender und einschüchternder Polizeichef Scarpia – ganz  so, wie die Rolle musikalisch und darstellerisch auch angelegt ist. Vom ersten Augenblick an konnte man die Klasse dieser hervorragend geführten, voluminösen (Wagner)stimme genießen. Das Eingangsmotiv des Scarpia – eine düstere, nahezu schwarz wirkende Folge aus einem B-Dur, As-Dur und E-Dur-Akkord kündigt den Mann an, der – genau wie Cavaradossi es beschreibt – als brutaler Henker und bigotter Beichtvater zugleich Rom beherrscht. Wenn nun ein solch skrupelloser Machtmensch dann auch musikalisch so überzeugend dargeboten wird, wie es Egil Silins gelang, kann das Publikum sich ganz in die bedrückende Geschichte dieser Oper hineinversetzen.

Stefano Ranzanis Dirigat war besonders bei den fff-Stellen wuchtig und überzeugend, generell hätte man aber, vor allem zugunsten der Sänger, etwas mehr Differenzierung erwarten können, was bei einem so hochwertigen Klangkörper wie der Staatskapelle Berlin wohl kein Problem darstellen dürfte. Tosender Beifall schloss diesen großartigen Opernabend ab.

Aus der Internetseite der Staatsoper geht hervor, dass es sich bei dieser Vorstellung wohl um die letzte Aufführung dieser Inszenierung gehandelt haben muss, denn schon in der nächsten Spielzeit wird sie durch besagte Neuproduktion ersetzt. Warum? Ist es wieder einmal das äußerst fadenscheinige Argument, dass die Kulissen der nun schon seit 1976 so erfolgreich laufenden Produktion in die Jahre gekommen seien? Oder ist nicht mittlerweile eine gewisse Systematik zu beobachten, mit der die pseudointellektuellen Zwangsbeglücker alte Inszenierungen ausmustern, um die Werke ihren abstrusen Neudeutungen zu unterziehen? Wie immer es auch sei – liebe Theatermacher, bitte seid wenigstens ehrlich! Passieren kann euch, die ihr wie in keinem zweiten Land dieser Welt steuerlich subventioniert werdet, auf dass ihr eurer als "Kunst" deklarierten Minderheitenbespaßung frönen könnt, doch eigentlich gar nichts. Oder doch? Seid ehrlich und initiiert nicht noch so peinliche Schmierenkomödien wie „Schadet Regietheater der Oper ?“, indem allen Ernstes Personen wie Jürgen Flimm und Kollegen ausgerechnet zu diesem Thema befragt werden, die sich dann erwartungsgemäß selbst ausgiebig beweihräuchern und als Geschenk des Himmels an die Theaterwelt betrachten. Das ist in etwa so, als würde man eine Talkshow zum Thema „Schadet Rauchen der Gesundheit?“ senden, zu der ausschließlich Vertreter der Tabakkonzerne eingeladen und befragt werden. Bitte spart euch das in Zukunft! Seid ehrlich und inszeniert eure super-intellektuellen, super-gesellschaftskritischen, super-bewegenden Visionen für euch und eure Getreuen ergo Kritiker, vorbei an Stück und Publikum und vor halbleeren Häusern. Die Quittung dafür wird sowieso nicht ausbleiben, aber verschont uns wenigstens mit scheindemokratischen Diskussionen. Herzlichen Dank!

opera head 
Le Corsaire - ein fantastischer Ballettabend mit der Staatlichen Ballettschule Berlin

Ein Berlinbesuch ohne eine Vorstellung des Berliner Staatsballetts ist kaum denkbar; ebenso interessant ist es jedoch, auch die Ausbildungsabteilung des Balletts einmal in Aktion zu erleben, denn schnell wird klar, dass die hohe Qualität der Compagnie nicht von ungefähr kommt, wenn schon die Ballettschule einen so grandiosen Tanzabend mit der Darbietung des äußerst anspruchsvollen „Corsaire“ gestalten kann. Die Qualität, die nicht zuletzt auch durch die künstlerische Professionalität des vorherigen Intendanten Vladimir Malakhov weiterentwickelt wurde, war jedenfalls deutlich zu spüren, und es bleibt zu hoffen, dass auch sein Nachfolger Nacho Duato dies in  Form eines abwechslungsreichen Programms,in dem der klassischen Balletttradition ein hoher Anteil zugesprochen wird, auf diesem Niveau weiterzuführen weiß.

Eine spannende Geschichte um Piraten, Sklavinnen, einen Sklavenhändler und natürlich eine große Liebe fesselte das durchschnittlich recht junge Publikum im Schillertheater. Daran hatten neben der Tanzkunst sicherlich auch die farbenprächtigen Kostüme und das einfache, aber sehr elegante und passende Bühnenbild ihren Anteil.

Die anspruchsvolle Choreographie nach Marius Petipa, welche von Christoph Böhm einstudiert wurde, wurde von Solisten und Corps de Ballett sehr eindrucksvoll getanzt.
Star des nahezu ausverkauften Premierenabends war die sich nunmehr im achten Ausbildungsjahr befindende Nemu Kondo in der Rolle der Medora. Kondo tanzt die schwierigsten Figuren (inklusive der so gefürchteten Fouettés) mit einer Leichtigkeit, die nur verblüffen kann. Man kann sich sicher sein, dass man eine so begabte Ballerina bald auch auf anderen großen Bühnen in klassischen und modernen Balletten erleben wird. Sara Zinna in der Rolle der Gulnare ist eine ebenso vielversprechende Tänzerin. Shotaro Shimazaki als Piratenkapitän Konrad tanzte sehr kraftvoll, und die Battements gelangen ihm ausgezeichnet. Auch seine Piraten-“Kollegen“ Indra Stark als Birbanto und Michael Beliov (Ali) beeindruckten mit einem technisch hochwertigem Tanzstil, letzterer besonders im Pas de trois mit Nemu Kondo und Shotaro Shimazaki. Justin Rimke in der Rolle des Sklavenhändlers Lankendem stellte seiner Qualitäten gleich im ersten Akt unter Beweis, eine tadellose Manège weist auf die kommende Tanzkarriere hin.

Es ist sehr erfreulich, dass ein so entbehrungsreicher Beruf wie der des klassischen Tänzers keine Nachwuchssorgen zu kennen scheint und dass es nicht an jungen, talentierten Menschen mangelt, die aus Liebe zum klassischen Tanz eine Profi-Karriere, so hart sie auch sein mag, als Lebensweg wählen. Hut ab!

opera head