Samstag, 27. Dezember 2014

La Bohème in Lübeck

Als melancholische „Winteroper“ eignet sich La Bohème wohl nicht nur durch ihren tragischen Inhalt, sondern die allgegenwärtige Präsenz von Schnee, Eis und Kälte. So war es denn wohl auch kein Zufall, dass das schöne Lübecker Jugendstiltheater am 2. Weihnachtsfeiertag nahezu vollbesetzt eine interessante und stellenweise hervorragend besetzte Aufführung der Oper erlebte.

Allerdings hatte man es wohl versäumt, Roman Brogli-Sacher darauf aufmerksam zu machen, dass es sich bei einer Oper um Vokalmusik handelt und das Orchester der BEGLEITUNG dienen sollte. Wem es Freude macht, Loriot-Gedächtnis-Wettbewerben à la „Ich kann lauter/länger....etc. als Sie“ zwischen Sängern und Dirigenten beizuwohnen, der wäre wohl gestern voll auf seine Kosten gekommen; aber jemand, dem es leid um schöne Stimmen tut, und der nicht gekommen ist, um eine Sinfonie mit Gesangsbeilage, sondern Oper zu erleben, der hat an Brogli-Sachers Dirigat wohl kaum Freude haben können. Natürlich ist Puccinis unsterbliche Musik leidenschaftlich und feurig, aber sie ist auch innig, zart und verträumt – und das ließ das Orchester sehr vermissen.

Die britische Sopranistin Anna Patalong verlieh der Mimì mit ihrer warm timbrierten, vollen und zugleich weichen Stimme genau das, was diese Rolle braucht. „Mi chiamano Mimì“ gelang ihr mit Charme und Liebenswürdigkeit und das „Donde lieta uscì“ melancholisch und rührend, ohne jemals ins Sentimentale und Aufgesetzte abzugleiten, was übrigens auch für die wunderbar gesungene und gespielte Sterbeszene galt.

Ein reizvoller Kontrast dazu war die hinreißende Musette von Evmorfia Metaxaki. Besser gesungen wird man die leichtlebige, ihren Vorteil gut zu nutzen wissende Künstlerfreundin wohl an größeren Häusern auch nicht zu hören bekommen. Das „Quando m'en vo“ entfaltete nicht nur dank ihrer voluminösen, sinnlichen Stimme, die mit dem bedrohlich lauten Orchester mühelos konkurrieren konnte, sondern auch aufgrund ihrer darstellerischen Fertigkeiten seine Wirkung. Schade, dass die Inszenierung gerade beim Musettewalzer so viel verschenkt hat.

Der italienische Tenor Gabriele Mangione in der Rolle des träumerischen Poeten Rodolfo hat ein stimmliches Material, von dem viele „Stars“ sich gerne etwas abzwacken würden, doch leider scheint er damit nicht richtig umgehen zu können. Fantastische Höhen sind das Eine, aber mangelnde stilistische Grundkenntnisse können dadurch nicht wettgemacht werden. Unruhige Phrasierung, zeratmete Phrasen, kein ausreichendes Legato – da gäbe es noch einiges zu tun. Es bleibt zu hoffen, dass der noch junge Sänger diese Lücken schließen kann, denn dann wäre er bei einem solchen tenoral-strahlenden Volumen ein echter Geheimtip, und zwar nicht nur als Rodolfo.

Gerard Quinn in der Rolle des Marcello ist ein altgedientes „Schlachtroß“ des Lübecker Ensembles, der seinen vollen, wohl timbrierten Bariton hier in vielen Rollen erfolgreich präsentiert hat. Die Höhe ist immer noch wunderbar, aber die Mittellage ist doch im Laufe der Jahre ein wenig grau geworden. Sein unglücklich liebender Marcello war dennoch sehr ordentlich und solide gesungen und gespielt.

Johan Hyunbong Choi (Schaunard) und Taras Konoshchenko (Colline) vervollständigten das Künstlerquartett mit kraftvollem, üppigen Gesang und waren auch darstellerisch äußerst überzeugend.

Paolo Micchichè hat bei der Inszenierung bewusst auf ebenso überflüssige, wie aber heute nahezu unvermeidliche Aktualisierungen verzichtet und zur Abwechslung einmal dem Libretto vertraut, was an den projizierten Bühnenbildern nach Entwürfen der Uraufführung der Oper als auch an den Kostümen sofort klar wurde – wobei man auf die zwei modernen Zitate in Form von Marcellos pelzbesetztem Parka im zweiten Akt sowie Rodolfos Lederblouson im dritten Akt sehr gern hätte verzichten können; derlei tut absolut nicht not und fällt aus dem ansonsten äußerst stimmig dargestellten 19.Jahrhundert heraus. Künstlermansarde, Café Momus und Barrière d'Enfer waren als Projektionen zu sehen und bildeten einen durch die Zweidimensionalität wenn auch ungewohnten, aber doch ausreichenden Rahmen zum Geschehen auf der Bühne. Ebenfalls positiv zu erwähnen ist die Lichtregie, die mangels Können von vielen Regie-Zwangsbeglückern heute eher stiefmütterlich behandelt wird. Verfolger kamen dabei ebenso zum Einsatz wie ein sehr stimmungsvolles Blau zum „O soave fanciulla“. Das in „oben“ und „unten“ unterteilte Bühnenbild im zweiten Akt ist nicht neu, aber es genügt nicht, wenn das Künstlerquartett auf der unteren Ebene mit Musette und Alcindoro quasi als Kammerspiel allein interagiert, während das Pariser Volk auf der oberen Ebene lustwandelt, Spielzeug und Süßigkeiten erwirbt und das französische Militär preist. Musette hatte keine Gelegenheit, mit ihren Arie junge und alte Passanten, Soldaten und Schaulustige zu betören und durch ihren frivolen Auftritt Marcello somit vollends zum Rasen zu bringen. Ihr blieb nur die Bezugnahme auf ihren gänzlich überforderten, ältlichen (obwohl hier leider gar nicht so lächerlich-ältlich wirkenden) Liebhaber Alcindoro, was auf die Dauer dann doch ein wenig eintönig wirkte.
Im vierten Akt sind Piccichè dann wohl die Ideen ausgegangen, denn die Projektion des zumal sehr unansehnlichen Madonnenbilds ( eine verworfene, frühere Skizze Marcellos??), das wie ein unattraktiver Todesengel über den Szenerie thronte, hatte mit der Mansarde und auch der Szene nichts mehr zu tun. Auch der Gedanke, die Bühne bei den letzten Takten der Oper in gleißendes Licht zu tauchen und somit eine sterile Krankenhausatmosphäre zu schaffen, ging an Musik und Text vorbei.
Dennoch – angesichts dessen, was man heute an großen wie an kleinen Häusern in punkto „Neuinszenierung“ so vorgesetzt bekommt, muss sich Lübeck mit dieser Produktion keineswegs verstecken, zumal das sängerische Niveau größtenteils sehr hoch ist. 


Weitere Infos hier:  http://www.theaterluebeck.de/index.php?seid=11&St_ID=699

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Luisa Miller in  Zürich - WIEDERAUFNAHME

Ich verbinde oft das Geschäftliche  mit meinen Hobbies, und da  ich viel herumreise, komme ich weltweit  in den Genuss vieler Opern. Jetzt war Zürich an der Reihe. Noch nie zuvor war ich in Luisa Miller. Zürich ist ein stilvolles Haus und elegantes Publikum, aber es war  nicht ausverkauft. Es wurde phantastisch gesungen, die Inszenierung war wie so oft schlecht.

 Elena Mosuc ist eine phantastische Luisa. Glockenheller Klang, tolle Höhen, sehr virtuos, man kann sie gut und gerne mit ihren großen Vorgängerinnen in dieser Rolle vergleichen. Leo Nucci als ihr Vater war ein Traum. Klar ist er nicht mehr jung, aber die Stimme ist intakt und klingt sehr frisch. Die Technik ist vorbildlich, er weiss wie man bei einer so lange Karriere pfleglich mit der Stimme umgehen muss.  Ausserdem bringt er viel Persönlichkeit mit, was man bei vielen jungen Sängern vergeblich sucht. Ivan Magri war ein wunderbarer Rodolfo mit  schöner Höhe, viel Gefühl,  weichem Timbre und italienischem Temperament. Bravo! Vitali Kowaljow war ein Ehrfurcht gebietender, grausamer Walter mit grossem schwarzen Fundament und Wanwei Zhang ein herrlich böser Wurm, toll gespielt und gesungen. Die Federica von Judith Schmidt hat auch alle Anforderungen erfüllt, eine noble verletzliche Frau. Ein Highlight war das  berühmte Quartett. Leider war das Orchester sehr schlecht. Schon die Ostinati-Stellen der Ouverture waren  ungenau gespielt,  auch die Holzbläser hatten wohl einen  schwarzenTag. Carlo Rizzi war überfordert  und oft einige Takte hinter den Sängern. 

Die Regie hatte der Italiener Damiano Michieletto geführt, die Bühne stammt von  Paolo Fantin, für die Kostüme zeichnete  Carla Teti verantwortlich.  Die gute Nachricht: Es spielte im 18 Jahrhundert, und man musste nicht kotzen . Die schlechte: Es wurde mir fast schwindelig von dem sinnlosen und nervigen Einsatz  der Drehbühne auf dem hässlichen Entwurf. Die Solisten trugen zwar  herrliche authentische Kostüme, der Chor war allerdings einmal wieder nur grau in grau und glich Fabrikarbeitern. Niemals würde eine Dame wie Federica von solch einem heruntergekommenen Gefolge begleitet werden. Und dann gab es da auch noch Kinder: Luisa und Rodolfo als Kinder, als die Welt noch heil war. Dass der kleine Rodolfo sich in Unterwäsche im Bett wälzt, hat sicher den pädophilen Anteil des Publikums gefreut, ich fand es allerdings sehr peinlich. Aber im Vergleich zu dieser Regie habe ich in meinem Leben  noch viel, viel  schlimmeres gesehen,  und alleine wegen der Solisten war es einen Besuch wert :-) . 

Am Ende gab viel Applaus. Dann bis zum nächsten Opernabend!
A.S.