Mittwoch, 21. Januar 2015

Gestern habe ich London die Premiere von Umberto Giordanos leider viel zu selten gespieltem Andrea Ché nier besucht. Dieses Werk gehört für mich zu den bewegendsten Opern überhaupt, da ist alles dabei was einen zu fesseln vermag. Liebe, Eifersucht, Gewalt, Verrat, aber auch Loyalität und Menschlichkeit - und das vor historischem Hintergrund der französischen Revolution, einer der spannendsten Epochen der Geschichte. David McVicar bringt all das eins zu eins nach dem Libretto auf die Bühne und lässt Giordanos mitreissende Musik für sich sprechen. Robert Jones hat dafür klassizistische Wände nach historischen Architekturstudien gebaut, die in unterschiedlichen Formationen angeordnet, detailliert die unterschiedlichen Schauplätze abbilden: das Schloss des ersten Akts in seiner dekadenten Entrücktheit, ein Café und Strassenzug für den zweiten, das Revolutionstribunal in grausam-realistischer Monumentalität für den dritten, sowie hohe Gefängniswände im vierten Akt. Jenny Tiraminis Kostüme sind ein wahres Fest für die Augen und könnten einem historischen Gemälde entsprungen sein. Der Regisseur nutzt diesen Rahmen um dem Werk zu dienen - nicht mehr und nicht weniger. Genau so soll es meiner Meinung nach sein. Diese Inszenierung könnte man in ihrer Opulenz, Detailliertheit und Menschlichkeit durchaus mit Otto Schenk und seiner berühmten Wiener Inszenierung vergleichen, die nach 30 Jahren immer noch auf dem Spielplan steht, und man kann hoffen, dass diese McVicar Inszenierung ebenso lange erhalten bleibt. Schliesslich werden heutzutage ja viele Neuinszenierungen bereits nach wenigen Aufführungen entsorgt. Jonas Kaufmann hat mich jedoch in der Titelrolle nur eingeschränkt überzeugt. Sein Material ist nach wie vor kraftvoll und schön baritonal eingefärbt. Das ist aber auch alles positive, was ich über diesen Sänger schreiben kann. Die Stimme klingt abgenutzt, undifferenziert und scheint dem Dauerforte verpflichtet. Auch die "kloßige Intonation", die bei Kaufmann schon immer störte, scheint sich eher zu verschlechtern, zusätzlich bahnen sich neuerdings Registerbrüche an. Kaufmann ist ein "Allessinger", und das hört man mittlerweile deutlich. Auch sein Spiel war bei der Premiere kühl und stocksteif - aber solange ihn seine treu ergebenen Fans in alle Vorstellungen hinterher reisen und fast militant bejubeln, wird uns dieser Sänger erhalten bleiben. Aber vielleicht bin ich ja taub. Weshalb der Abend dennoch musikalisch lohnend war, waren Eva-Maria Westbroek als Maddalena und Zeljko Lucic als Gérard. Westbroeks üppiger Sopran nahm mit warmen Bögen von Anfang an gefangen, schöne Höhen und Piani begeisterten rundum. Erschütternd gestaltete die Sängerin das zentrale "La Mamma Morta" und dominierte die Bühne im Schlussduett. Lucic singt den Gérard vielleicht etwas grobschlächtig, aber sein warmer angenehmer Bariton gewinnt im Laufe des Abends, der Sänger gewinnt im dritten grosse, fesselnde Intensität, gerade im Zusammenspiel mit Eva-Maria Westbroek. Von den zahlreichen Nebenrollen müssen vor allem Rosalind Plowright als Contessa di Coigny, Denise Graves als Bersi und Elena Zilio als Madelon positiv erwähnt werden, die ihre kurzen Auftritte zu Ereignissen gestalteten. Nicht dem Niveau des Royal Opera Houses entsprechend war dagegen der dünnstimmige Carlo Bosi als Incroyable. Der Chor sang seinen anspruchsvollen Part auf höchstem Niveau und das Orchester des Royal Opera Houses unter Antonio Pappano spielte rundum grossartig. Der Dirigent fand stets die richtige Balance zwischen sängerfreundlich und spannend, ausserdem waren viele Details wunderbar herausgearbeitet. Am Ende gab es grossen Applaus für die Sänger und das Regieteam. Gerne würde ich diese Inszenierung noch einmal sehen - dann allerdings mit einem anderen Titelhelden !

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