Sonntag, 29. März 2015

Anna Bolena am 24.3.2015 in Zürich
Ich bezweifle, dass Mario del Monaco jemals den Tenorpart in Anna Bolena gesungen hat. Ich habe jedoch keinen Zweifel daran, dass er mit seinem Sohnemann Giancarlo ebenso kurzen Prozess gemacht hätte, wie Henry VIII  mit seiner zweiten Gemahlin Anne Boleyn, wenn er miterlebt hätte, auf welch dämliche bis unprofessionelle Weise dieser bereits im Jahr 2000 in Zürich Donizettis Meisterwerk verunstaltet hat. In einem kerkerartigen Einheitsbühnenbild, das im Übrigen auch im Züricher Roberto Devereux und in der Züricher Maria Stuarda Verwendung fand, sitzt der Chor in Kostümen der Entstehungszeit und kommentiert das Geschehen. Was sich furchtbar intellektuell anhört, ist aber in der Realität nichts anderes, als eine Bankrotterklärung an ein Grundhandwerk, das jeder Regisseur beherrschen sollte: Chorführung. Aber sei`s drum. Mit dem Bühnenbild hätte man ja noch leben können. Bis auf den Baum, der wild durch Annas Gemächer wuchert, waren alle Schauplätze durchaus librettogemäß und atmosphärisch, ja opulent eingerichtet. Was jedoch die Produktion völlig ins Lächerliche zog, waren die stilistisch völlig beliebigen, durcheinander gewürfelten Kostüme, die einer Oper mit klarem historischen Hintergrund, wie es Anna Bolena nun mal ist, jegliche Glaubwürdigkeit nahmen. Henry VIII war einer der interessantesten Monarchen, die je in Europa herrschten und kein Mafiaboss, der mit Spazierstock wedelnd und mit Sonnenbrille auf die Jagd geht. Auch Jane Seymour sah in ihrem roten Kostüm einfach nur lächerlich aus: so mag die Rosalinde aus der Fledermaus aussehen, wenn sie die Feste des Prinzen Orlofski beehrt, aber nicht die Hofdame der Anne Boleyn, ihr purpurner (Hochzeits-) Mantel wirkte wie Eisensteins Bademantel aus selbiger Operette. Der  Hofstaat entsprang eher  einem Kaiserin Sissi-Film und hatte mit der Bolena so viel zu tun wie Astrologie mir Astronomie. Und die Königin? Sie trug ein sehr schönes, aber völlig unpassendes Phantasiekostüm. Aus welcher Epoche sie hinzugebeamt wurde, blieb völlig offen. Nur Klein-Liesbett, die Tochter von Henry und Anne, durfte so auftreten wie man sie kennt: Im roten Renaissance-Kostüm mit Halskrause und roter Perücke. Warum das Kind jedoch ständig wie ein Geist durch die Szenerie tigern und die mit dem König knutschende Giovanna sogar mit dem abgerissen Kopf ihre Puppe bewerfen musste, blieb offen und wirkte bei der sonst eher schauspielerisch zurückhaltenden Produktion einfach nur peinlich.
 Warum man aber dennoch in diese Züricher Vorstellung ging, war das Engagement von Anna Netrebko, die nach ihrem Rollendebut in Wien, die Anna Bolena einige Jahre hatte ruhen lassen  und viel an ihrer Interpretation gefeilt hat. Die Stimme besitzt einerseits die nötige Zartheit, aber gleichwohl auch Höhe und Robustheit, die diese Partie erfordert. Mit wunderbaren Piani, zartenHöhen und perfekten Koloraturen nahm die Primadonna von Anfang an für sich gefangen. Da verzieh man ihr gerne, dass die große Sängerin auf jeden Spitzenschlusston am Ende der Oper verzichtete, der beim Verlassen des Opernhauses sonst häufig noch im Kopf der Besucher nachhallt. Musikalischer Höhepunkt der Oper war so zweifellos das berührende große Duett zwischen Anna und ihrer Rivalin Giovanna, die in der jungen Veronica Simeoni eine fast ebenbürtige Partnerin fand. Simeoni hat einen eher hellen, angenehmen Mezzo, der wunderbar mit dem dunkel-timbrierten Sopran der Netrebko harmonierte. Luca Pisaroni hat einen wunderschönen Bass, der stimmlich keine Wünsche offenliess.  Um dem eiskalten Machtmensch Enrico ein glaubwürdiges Profil zu verleihen, wirkte der Sänger aber über weite Strecken zu jung. Wie sehr hätte man sich gerade diesen Sänger in einem angemessen Kostüm gewünscht. Judith Schmidt überzeugte als Page Smeton mit schlankem Mezzo auf ganzer Linie, während Ismail Jordis Tenor trotz eher dünnem Material mit viel Leidenschaft und schöner Höhe Annas Jugendliebe Lord Percy Charakter verlieh. Das Sängerensemble wurde von Ruben Drole als Lord Rocheford und Yujoong Kim  als Sir Hervey auf hohem Niveau abgerundet. Während der meist in Logen auf der Bühne verbannte Chor von Jürg Hämmerli hervorragend einstudiert war, schlampte das sich mittlerweile aufgeblasen „Philharmonia“ betitelnde Opernhausorchester bereits in der Ouvertüre ganz gewaltig. Dirigent Andrei Yurkevych gelang es – möglichweise vom „Kostümmix“ inspiriert – an diesem Abend nur schwer, zu einer einheitlichen Linie zu finden. Schade, dass Donizettis kunstvolle Instrumentation so vieles von ihrer Wirkung schuldig blieb. Nun denn, sei`s drum. Nach dem völlig austauschbaren Spielplan, den Zürich am Tag nach meinem Besuch veröffentlichte, wird es sicher lange dauern, bis ich da wieder in die Oper gehe. 

Opera head