Anna Bolena am 24.3.2015 in Zürich
Ich
bezweifle, dass Mario del Monaco jemals den Tenorpart in Anna Bolena gesungen
hat. Ich habe jedoch keinen Zweifel daran, dass er mit seinem Sohnemann
Giancarlo ebenso kurzen Prozess gemacht hätte, wie Henry VIII mit seiner
zweiten Gemahlin Anne Boleyn, wenn er miterlebt hätte, auf welch dämliche bis
unprofessionelle Weise dieser bereits im Jahr 2000 in Zürich Donizettis
Meisterwerk verunstaltet hat. In einem kerkerartigen Einheitsbühnenbild, das im
Übrigen auch im Züricher Roberto Devereux und in der Züricher Maria Stuarda
Verwendung fand, sitzt der Chor in Kostümen der Entstehungszeit und kommentiert
das Geschehen. Was sich furchtbar intellektuell anhört, ist aber in der Realität
nichts anderes, als eine Bankrotterklärung an ein Grundhandwerk, das jeder
Regisseur beherrschen sollte: Chorführung. Aber sei`s drum. Mit dem Bühnenbild
hätte man ja noch leben können. Bis auf den Baum, der wild durch Annas Gemächer
wuchert, waren alle Schauplätze durchaus librettogemäß und atmosphärisch, ja
opulent eingerichtet. Was jedoch die Produktion völlig ins Lächerliche zog,
waren die stilistisch völlig beliebigen, durcheinander gewürfelten Kostüme, die
einer Oper mit klarem historischen Hintergrund, wie es Anna Bolena nun mal ist,
jegliche Glaubwürdigkeit nahmen. Henry VIII war einer der interessantesten
Monarchen, die je in Europa herrschten und kein Mafiaboss, der mit Spazierstock
wedelnd und mit Sonnenbrille auf die Jagd geht. Auch Jane Seymour sah in ihrem
roten Kostüm einfach nur lächerlich aus: so mag die Rosalinde aus der Fledermaus
aussehen, wenn sie die Feste des Prinzen Orlofski beehrt, aber nicht die Hofdame
der Anne Boleyn, ihr purpurner (Hochzeits-) Mantel wirkte wie Eisensteins
Bademantel aus selbiger Operette. Der Hofstaat entsprang eher einem Kaiserin
Sissi-Film und hatte mit der Bolena so viel zu tun wie Astrologie mir
Astronomie. Und die Königin? Sie trug ein sehr schönes, aber völlig unpassendes
Phantasiekostüm. Aus welcher Epoche sie hinzugebeamt wurde, blieb völlig offen.
Nur Klein-Liesbett, die Tochter von Henry und Anne, durfte so auftreten wie man
sie kennt: Im roten Renaissance-Kostüm mit Halskrause und roter Perücke. Warum
das Kind jedoch ständig wie ein Geist durch die Szenerie tigern und die mit dem
König knutschende Giovanna sogar mit dem abgerissen Kopf ihre Puppe bewerfen
musste, blieb offen und wirkte bei der sonst eher schauspielerisch
zurückhaltenden Produktion einfach nur peinlich.
Warum man aber dennoch in diese Züricher Vorstellung
ging, war das Engagement von Anna Netrebko, die nach ihrem Rollendebut in Wien,
die Anna Bolena einige Jahre hatte ruhen lassen und viel an ihrer
Interpretation gefeilt hat. Die Stimme besitzt einerseits die nötige Zartheit,
aber gleichwohl auch Höhe und Robustheit, die diese Partie erfordert. Mit
wunderbaren Piani, zartenHöhen und perfekten Koloraturen nahm die Primadonna von
Anfang an für sich gefangen. Da verzieh man ihr gerne, dass die große Sängerin
auf jeden Spitzenschlusston am Ende der Oper verzichtete, der beim Verlassen des
Opernhauses sonst häufig noch im Kopf der Besucher nachhallt. Musikalischer
Höhepunkt der Oper war so zweifellos das berührende große Duett zwischen Anna
und ihrer Rivalin Giovanna, die in der jungen Veronica Simeoni eine fast
ebenbürtige Partnerin fand. Simeoni hat einen eher hellen, angenehmen Mezzo, der
wunderbar mit dem dunkel-timbrierten Sopran der Netrebko harmonierte. Luca
Pisaroni hat einen wunderschönen Bass, der stimmlich keine Wünsche offenliess.
Um dem eiskalten Machtmensch Enrico ein glaubwürdiges Profil zu verleihen,
wirkte der Sänger aber über weite Strecken zu jung. Wie sehr hätte man sich
gerade diesen Sänger in einem angemessen Kostüm gewünscht. Judith Schmidt
überzeugte als Page Smeton mit schlankem Mezzo auf ganzer Linie, während Ismail
Jordis Tenor trotz eher dünnem Material mit viel Leidenschaft und schöner Höhe
Annas Jugendliebe Lord Percy Charakter verlieh. Das Sängerensemble wurde von
Ruben Drole als Lord Rocheford und Yujoong Kim als Sir Hervey auf hohem Niveau abgerundet. Während
der meist in Logen auf der Bühne verbannte Chor von Jürg Hämmerli hervorragend
einstudiert war, schlampte das sich mittlerweile aufgeblasen „Philharmonia“
betitelnde Opernhausorchester bereits in der Ouvertüre ganz gewaltig. Dirigent
Andrei Yurkevych gelang es – möglichweise vom „Kostümmix“ inspiriert – an diesem
Abend nur schwer, zu einer einheitlichen Linie zu finden. Schade, dass
Donizettis kunstvolle Instrumentation so vieles von ihrer Wirkung schuldig
blieb. Nun denn, sei`s drum. Nach dem völlig austauschbaren Spielplan, den
Zürich am Tag nach meinem Besuch veröffentlichte, wird es sicher lange dauern,
bis ich da wieder in die Oper gehe.
Opera head
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Sonntag, 29. März 2015
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