Donnerstag, 13. August 2015

Beeindruckender Don Giovanni in Verona

Es ist ja mittlerweile Brauch, dass die Rezensenten fast zwei Drittel ihrer Kritiken für die Inszenierung aufwenden, um die neuesten “Errungenschaften” des Rübenrauschtheaters aka Regietheaters wortreich zu preisen. Dabei handelt es sich wohl kaum um Inszenierungen, die diese Aufmerksamkeit auch nur ansatzweise verdienen. Der Veroneser Don Giovanni in der Inszenierung des Altmeisters Franco Zeffirelli ist allerdings schon eine Menge Aufmerksamkeit wert. Gerade Don Giovanni, der bisher so ziemlich alle nur erdenklichen Regie-Scheußlichkeiten über sich ergehen lassen musste, erhält durch Zeffirelli seine Würde zurück. Ein großartiges Bühnenbild, das einem barocken Palast nachempfunden wurde, aber durch verschiebbare Elemente wandlungsfähig bleibt, bildet die ästhetisch hochwertige Kulisse und gibt der für die Arena eher weniger tauglichen Oper einen prächtigen Hintergrund. Obgleich die Oper im 17. Jahrhundert angesiedelt ist, tut ihr eine Verlegung ins 18.Jahrhundert keinen Abbruch. Erstens hat dies schon in zahlreichen Produktionen vor Zeffirelli stattgefunden, zweitens wurden gerade im 18. Jahrhundert als dem Zeitalter der Aufklärung viele Schauspiele aufgeführt, die mittels des  Don-Juan-Stoffs Libertinage und Hemmungslosigkeit des Adels kritisierten. Drittens ist die Oper so – also wie ein zum Leben erwachtes Genregemälde eines Watteau, Boucher oder Pietro Longhi – auch überaus Arena-tauglich, was unter den gegebenen Umständen sicher nicht ganz unwichtig ist. Die Chorszenen sind an Vielfalt, Farbenreichtum und guter Personenregie kaum zu überbieten; eine stattliche Anzahl von Statisten tut das Übrige, um das quirlige Volkstreiben glaubwürdig darzustellen. Ein wenig stört diese Üppigkeit nur bei der Ankunft Elviras, die Don Giovanni und Leporello nicht allein findet, sondern aus einer Rokokosänfte mitten hinein in eine lebhafte Marktatmosphäre steigt. Dadurch verliert die folgende Szene, in der Masetto und Zerlina von den ausgelassenen Hochzeitsgästen gefeiert werden, ein wenig an Wirkung. Wohltuend ruhig sind die solistischen Szenen gestaltet. Zeffirelli verzichtet bei den musikalisch ohnehin ausreichend anspruchsvollen Arien auf unnötige “Gymnastik”, wie es heute ja gang und gäbe ist, sondern nutzt die Arien als Momente des Innehaltens und der Reflexion der in den Rezitativen vorangebrachten Handlung. Wer das nicht versteht, bezeichnet so etwas schnell als “Langeweile”, aber dann ist auch die Frage, ob man mit so einer Haltung nicht vielleicht doch besser in einen Actionfilm gehen sollte. Die Kostüme von Maurizio Millenotti sind an Detailgenauigkeit, Schönheit und Erlesenheit unerreicht; die originalen Contouchen der Damen sowie die Justeaucorps der Herren scheinen direkt aus einem Modeatelier des 18.Jahrhunderts zu stammen. Sehr treffend sind dann wieder die Bezugnahmen auf das lokale Kolorit, z.B.bei der Mantilla Donna Elviras.
Stefano Montanari dirigierte das souverän spielende Orchester der Arena, allerdings waren seine Tempi teilweise äußerst fragwürdig, besonders in der vorletzten Szene, die ja durch die Erscheinung des Komtur bedrohlich wirken sollte, kam diese Hast gar nicht gut an. Die wunderbare szenische Gestaltung hätte ein viel getrageneres Tempo erforderlich gemacht. Langsam ist sie, die zum Leben erwachte Statue des Komtur, aber ihr Ziel erreicht sie ohnehin, da muss Herr Monatanari nicht noch nachhelfen. Und – ja, es ist heiß. Ja, niemand verlangt, dass der Dirigent in Schlips und Kragen erscheint. Aber Goldkettchen, Lederhose und ein nachthemdähnliches Gewand als Oberteil? Das muss nun wirklich nicht sein, schon gar nicht in diesem Rahmen!!
Die Titelrolle verlangt einen schwarzen, stimmlich gewandten und großvolumigen Bass bzw.Bassbariton. Sicherlich, die Zeiten von Cesare Siepi und Co sind lange vorbei, aber Dalibor Jenis gibt der Rolle nicht das, was sie wirklich verlangt, wenngleich er sie schauspielerisch sehr gut darstellt. Er singt sie, und er singt sie auch schön, aber Don Giovanni ist weit mehr als nur “schön”. Leider wirkt er durch seine eher weiche Stimme viel zu brav, um den Don als den Wüstling darstellen zu können, der er nun einmal ist.
Von Marco Vinco alias Leporello, dem wahrhaft gebeutelten Diener Giovannis, kann man dies noch weniger sagen. Seine Stimme ist für die Arena bei weitem zu klein, vielfach war er kaum zu hören. Ihm fehlt die Durchschlagskraft, und wenngleich der Leporello kein Hunding sein muss, so hat er doch eine große und wichtige Rolle, die ihre stimmliche Entsprechung sucht.
Lyrische Stimmen sind ja schön und gut, aber sie sollten bitte auch in ihren Fächern bleiben und  nicht – wie es heute allzu oft vorkommt – in die dramatischen Rollen schlüpfen. Die Arena ist kein Tonstudio, in dem man aus einem Lüftchen einen Wirbelsturm produzieren kann.
Saimir Pirgu in der Rolle des noblen Don Ottavio war zu Beginn etwas hölzern – sein “Dalla sua pace” geriet etwas angespannt. In den Szenen mit Donna Anna wurde er lockerer, und sein “Il mio tesoro” war ein Hochgenuss mit geläufigen Koloraturen, sehr schönen Piani und müheloser Höhe.
Christian Senn als bedauernswerter Masetto machte seine Sache gut, war jedoch auch ein wenig zu lyrisch.
Die Damengarde konnte mit sehr guten Stimmen aufwarten. Allen voran die unglückliche Elvira alias Daniela Schillaci füllte ihre Rolle hervorragend aus – Zorn, Enttäuschung, Traurigkeit, Angst, Mitleid – all das konnte sie stimmlich und darstellerisch glaubwürdig vermitteln, und das “Mi tradì quell'alma ingrata” war ein Hochgenuss. Dasselbe gilt für Ekaterina Bakanova als Donna Anna. Wer so wunderbar flehen kann, dem bzw. der kann auch kein ungeduldiger Don Ottavio widerstehen. Nach ihrem “Non mi dir” muss er sich kampflos geschlagen geben und jegliche seiner Forderungen zurückstellen.
Natalia Roman war eine spitzbübische Zerlina, und auch sie wusste durch schönen Gesang und viel Charme ihren aufgebrachten zukünftigen Ehegemahl zu beruhigen. “Dieser Sirene kann ich nie widerstehen”, gibt er ehrlich zu, und er wird bestätigt.
Der Commendatore Insung Sim war zu Beginn der Oper ein wenig verhalten, gelangte aber dann in der alles entscheidenden Szene zur Bestform. Schade, dass man seine Stimme durch die überhasteten Tempi des Herrn Maestro nicht genießen konnte. Verdient hätte sie es, und die szenische Gestaltung, die mit all den aus den Gräbern entstiegenen Zombies entfernt an Michael Jacksons “Thriller” erinnert, allemal.

In Verona wurde jedenfalls bewiesen, dass ein “Kostümschinken” wie es von so manch Neunmalklugem, der einfach nur zuviel schlechtes Theater gesehen hat und sich deshalb als "intellektuell" bezeichnet, zuweilen verächtlich bezeichnet wird, packend und bereichernd sein kann. Kunst kommt eben immer noch von Können.