Beeindruckender Don
Giovanni in Verona
Es ist ja mittlerweile
Brauch, dass die Rezensenten fast zwei Drittel ihrer Kritiken für die
Inszenierung aufwenden, um die neuesten “Errungenschaften” des
Rübenrauschtheaters aka Regietheaters wortreich zu preisen. Dabei
handelt es sich wohl kaum um Inszenierungen, die diese
Aufmerksamkeit auch nur ansatzweise verdienen. Der Veroneser Don
Giovanni in der Inszenierung des Altmeisters Franco Zeffirelli ist
allerdings schon eine Menge Aufmerksamkeit wert. Gerade Don Giovanni,
der bisher so ziemlich alle nur erdenklichen Regie-Scheußlichkeiten
über sich ergehen lassen musste, erhält durch Zeffirelli seine
Würde zurück. Ein großartiges Bühnenbild, das einem barocken
Palast nachempfunden wurde, aber durch verschiebbare Elemente
wandlungsfähig bleibt, bildet die ästhetisch hochwertige Kulisse
und gibt der für die Arena eher weniger tauglichen Oper einen
prächtigen Hintergrund. Obgleich die Oper im 17. Jahrhundert
angesiedelt ist, tut ihr eine Verlegung ins 18.Jahrhundert keinen
Abbruch. Erstens hat dies schon in zahlreichen Produktionen vor
Zeffirelli stattgefunden, zweitens wurden gerade im 18. Jahrhundert als dem Zeitalter der Aufklärung viele Schauspiele aufgeführt, die mittels des Don-Juan-Stoffs Libertinage und Hemmungslosigkeit des Adels
kritisierten. Drittens ist die Oper so – also wie ein zum Leben
erwachtes Genregemälde eines Watteau, Boucher oder Pietro Longhi –
auch überaus Arena-tauglich, was unter den gegebenen Umständen
sicher nicht ganz unwichtig ist. Die Chorszenen sind an Vielfalt,
Farbenreichtum und guter Personenregie kaum zu überbieten; eine
stattliche Anzahl von Statisten tut das Übrige, um das quirlige
Volkstreiben glaubwürdig darzustellen. Ein wenig stört diese
Üppigkeit nur bei der Ankunft Elviras, die Don Giovanni und
Leporello nicht allein findet, sondern aus einer Rokokosänfte mitten
hinein in eine lebhafte Marktatmosphäre steigt. Dadurch verliert die
folgende Szene, in der Masetto und Zerlina von den ausgelassenen
Hochzeitsgästen gefeiert werden, ein wenig an Wirkung. Wohltuend
ruhig sind die solistischen Szenen gestaltet. Zeffirelli verzichtet
bei den musikalisch ohnehin ausreichend anspruchsvollen Arien auf
unnötige “Gymnastik”, wie es heute ja gang und gäbe ist,
sondern nutzt die Arien als Momente des Innehaltens und der Reflexion
der in den Rezitativen vorangebrachten Handlung. Wer das nicht
versteht, bezeichnet so etwas schnell als “Langeweile”, aber dann
ist auch die Frage, ob man mit so einer Haltung nicht vielleicht doch
besser in einen Actionfilm gehen sollte. Die Kostüme von Maurizio
Millenotti sind an Detailgenauigkeit, Schönheit und Erlesenheit
unerreicht; die originalen Contouchen der Damen sowie die
Justeaucorps der Herren scheinen direkt aus einem Modeatelier des
18.Jahrhunderts zu stammen. Sehr treffend sind dann wieder die
Bezugnahmen auf das lokale Kolorit, z.B.bei der Mantilla Donna
Elviras.
Stefano Montanari
dirigierte das souverän spielende Orchester der Arena,
allerdings waren seine Tempi teilweise äußerst fragwürdig,
besonders in der vorletzten Szene, die ja durch die Erscheinung des
Komtur bedrohlich wirken sollte, kam diese Hast gar nicht gut an. Die
wunderbare szenische Gestaltung hätte ein viel getrageneres Tempo
erforderlich gemacht. Langsam ist sie, die zum Leben erwachte Statue
des Komtur, aber ihr Ziel erreicht sie ohnehin, da muss Herr
Monatanari nicht noch nachhelfen. Und – ja, es ist heiß. Ja,
niemand verlangt, dass der Dirigent in Schlips und Kragen erscheint.
Aber Goldkettchen, Lederhose und ein nachthemdähnliches Gewand als
Oberteil? Das muss nun wirklich nicht sein, schon gar nicht in diesem
Rahmen!!
Die Titelrolle verlangt
einen schwarzen, stimmlich gewandten und großvolumigen Bass bzw.Bassbariton.
Sicherlich, die Zeiten von Cesare Siepi und Co sind lange vorbei,
aber Dalibor Jenis gibt der Rolle nicht das, was sie wirklich
verlangt, wenngleich er sie schauspielerisch sehr gut darstellt. Er
singt sie, und er singt sie auch schön, aber Don Giovanni ist weit
mehr als nur “schön”. Leider wirkt er durch seine eher weiche
Stimme viel zu brav, um den Don als den Wüstling darstellen zu
können, der er nun einmal ist.
Von Marco Vinco
alias Leporello, dem wahrhaft gebeutelten Diener Giovannis, kann man
dies noch weniger sagen. Seine Stimme ist für die Arena bei weitem
zu klein, vielfach war er kaum zu hören. Ihm fehlt die
Durchschlagskraft, und wenngleich der Leporello kein Hunding sein muss,
so hat er doch eine große und wichtige Rolle, die ihre stimmliche
Entsprechung sucht.
Lyrische Stimmen sind ja
schön und gut, aber sie sollten bitte auch in ihren Fächern bleiben
und nicht – wie es heute allzu oft vorkommt – in die
dramatischen Rollen schlüpfen. Die Arena ist kein Tonstudio, in dem
man aus einem Lüftchen einen Wirbelsturm produzieren kann.
Saimir Pirgu in der
Rolle des noblen Don Ottavio
war zu Beginn etwas hölzern – sein “Dalla sua pace” geriet
etwas angespannt. In den Szenen mit Donna Anna wurde er lockerer, und
sein “Il mio tesoro” war ein Hochgenuss mit geläufigen
Koloraturen, sehr schönen Piani und müheloser Höhe.
Christian Senn als
bedauernswerter Masetto machte seine Sache gut, war jedoch auch ein
wenig zu lyrisch.
Die Damengarde konnte mit
sehr guten Stimmen aufwarten. Allen voran die unglückliche Elvira
alias Daniela Schillaci füllte ihre Rolle hervorragend aus –
Zorn, Enttäuschung, Traurigkeit, Angst, Mitleid – all das konnte
sie stimmlich und darstellerisch glaubwürdig vermitteln, und das “Mi
tradì quell'alma ingrata” war ein Hochgenuss. Dasselbe gilt für
Ekaterina Bakanova als Donna Anna. Wer so wunderbar flehen
kann, dem bzw. der kann auch kein ungeduldiger Don Ottavio
widerstehen. Nach ihrem “Non mi dir” muss er sich kampflos
geschlagen geben und jegliche seiner Forderungen zurückstellen.
Natalia Roman war
eine spitzbübische Zerlina, und auch sie wusste durch schönen
Gesang und viel Charme ihren aufgebrachten zukünftigen Ehegemahl zu
beruhigen. “Dieser Sirene kann ich nie widerstehen”, gibt er
ehrlich zu, und er wird bestätigt.
Der Commendatore Insung
Sim war zu Beginn der Oper ein wenig verhalten, gelangte aber
dann in der alles entscheidenden Szene zur Bestform. Schade, dass man
seine Stimme durch die überhasteten Tempi des Herrn Maestro nicht
genießen konnte. Verdient hätte sie es, und die szenische
Gestaltung, die mit all den aus den Gräbern entstiegenen Zombies
entfernt an Michael Jacksons “Thriller” erinnert, allemal.
In Verona wurde jedenfalls
bewiesen, dass ein “Kostümschinken” wie es von so manch
Neunmalklugem, der einfach nur zuviel schlechtes Theater gesehen hat und sich deshalb als "intellektuell" bezeichnet, zuweilen verächtlich bezeichnet wird, packend und bereichernd sein
kann. Kunst kommt eben immer noch von Können.