Freitag, 16. Dezember 2016

Überragende Norma in Tel Aviv am 15.12.2016




Liebe Freunde, heute möchte ich von einem Opernabend berichten, der für mich eindeutig zu den Besten gehört, die ich in den letzten Jahren in Sachen  italienischer Oper erleben durfte. Nachdem ich ein paar Tage Freunde in Israel besucht habe, war es für mich als Opernfan irgendwo selbstverständlich, auch einmal die Oper in Tel Aviv zu besuchen, nachdem ich vor zwei Jahren in Israel bereits eine ausgezeichnete Tosca in Massada als Open Air erleben durfte. Das moderne Opernhaus in Tel Aviv war bis auf wenige Plätze komplett ausverkauft. Norma ist ein sehr populäres Werk, und das wollte man sich in einem so klassikbegeisterten Land natürlich nicht entgehen lassen. Im Gegenzug dazu liebt die Oper in Tel Aviv ihr Publikum und ist auf dieses angewiesen. Bis auf wenige (gemäßigte) Ausnahmen würde man diesen treuen Besuchern niemals solche abartigen Regietheaterinszenierungen zumuten, wie das in Europa leider der Fall ist. Trotz knapper Kassen hatte die Intendanz der Israeli Opera eine Norma -Besetzung zusammengestellt, die auch an europäischen Bühnen  ihresgleichen sucht.  Aber zunächst zur Inszenierung: Diese war vom Teatro Regio in Turin übernommen worden und einfach nur wunderschön. Alberto Fassini hat Bellinis Musik und das Libretto Felice Romanis' eins zu eins liebevoll umgesetzt. Die Bühnenbilder von William Orlandi waren intelligent arrangiert und hochästhetisch. Die ebenfalls von Orlandi entworfenen Kostüme prächtig und historisch genau. Druiden waren Druiden, Römer waren Römer und die Krieger waren als solche erkennbar. Norma trat in einem prächtigen roten Kleid mit einer goldenen Priesterinnen-Krone auf. Burkas und Kalaschnikows wie einst in einer abstrusen Münchner Inszenierung suchte man -surprise, surprise- vergeblich. Die Bühnenbilder ermöglichten  fließende Szenenwechsel. Man sah eine aus diversen Steinplatten gebildete Rückwand. Diese konnten sich verschieben und gaben den Blick auf schön gemalte Hintergrundprospekte frei, welche gallische Landschaften zeigten. Die Statue eines römischen Kaisers, die zu Beginn die Szenerie überragte war am Ende zerstört. In dem aus dem Steinplatten gebildeten Raum wirkte die Titelheldin Norma wie lebendig begraben. In dieser Abgeschiedenheit zog sie ihre Kinder groß. Die  Bühnenbilder machten auf ästhetische und zugleich bedrückende Weise die Unfreiheit der Druidenpriesterin deutlich. Innenwelt, Privatsphäre  und Außenwelt sind klar voneinander getrennt. In diesem Rahmen darf Norma ihre Casta-Diva-Arie auf einem imposanten Steinaltar, umgeben von dem prächtig kostümierten Chor, singen. Der Mond beleuchtet die Szenerie authentisch. Mit Maria Pia Piscitelli hat die Israeli Opera eine erfahrene und international gefragte Rolleninterpretin verpflichten können.  Sie hat diese Partie bereits konzertant in Wien, Buenos Aires und Rom gesungen. Eine riesige, volle, aber doch kontrollierte Sopranstimme, die in allen Lagen ausgezeichnet anspricht und der auch die schwierigen Koloraturen keinerlei Probleme bereiten. Casta Diva war so ein wahres Erlebnis, die Duette mit Adalgisa voll von betörendem Schönklang. Diese Priesterin blieb auch darstellerisch nichts schuldig - da stimmte jede Geste: Wut, Verzweiflung, Trauer und Rache, all dies konnte man auf der Bühne real erleben. Großartig geriet auch die Adalgisa von Jennifer Holloway. Vom Timbre her völlig anders als die Norma, erweckte sie die junge Novizin zu Fleisch und Blut. Das silbrige Verschmelzen der Stimmen von Piscitelli und Holloway war ein Erlebnis; das  "Mira o Norma"  ein Triumph. Der Pollione des Abends war bei Hector Sandoval in besten Händen. Dessen markanter metallischer Tenor mit ausgezeichneter Höhe musste sich zu Beginn noch etwas aufwärmen, aber dann zeichnete er das  zynische Portrait eines kaltherzigen, testosterongesteuerten römischen Statthalters, der beiden Frauen das Herz bricht. Das Ende des ersten Aktes platzte nur so fast vor Dramatik. Carlo Striuli wirkte als Oroveso so, als habe er sich leider eine Erkältung eingefangen. Berührend geriet seine Schlussszene, wenn der oberste Druide erstmals Herz zeigt und sich bereit erklärt, für seine Enkelchen zu sorgen. Der Chor unter der Einstudierung von Ethan Schmeisser war eine Wucht: Er sang präzise und elegant, ausgezeichnet war der mitreißende Guerra-Chor. Unter seinem Musikdirektor Daniel Oren spielte das Symphony Orchestra Rischon LeZion ausgezeichnet. Das war eine Interpretation voller Leidenschaft und Herzblut von der Ouvertüre an. Von Routine keine Spur.  Sicher leitete Orens sängerfreundliches Dirigat durch den gesamten Abend: Farben, Spannung und Dramatik ließen das Publikum zum Teil den Atem anhalten. Dieser Opernabend war wirklich etwas ganz besonderes, was ich in dieser Form so nicht erwartet hatte. Das Publikum spendete allen Beteiligten stehende Ovationen und feierte das gesamte Ensemble lange mit rhythmischem Klatschen. Vielleicht sollte man mal ein paar bescheuerte Kritiker des Deutschen Feuilletons nach Israel schicken. Hier wartet nämlich ein potentielles Opernhaus des Jahres. Um den kürzlich verstorbenen Präsidenten Shimon Peres zu zitieren: "Ein kleines Land mit einem großen Opernhaus."

Montag, 20. Juni 2016

Inszenierung 6, setzen - miserable Neuproduktion der Puritani aus Homokis Komödienstadl, vormals Opernhaus Zürich am 19.6.2016

Ich bin immer noch fassungslos über die Aufführung, die ich gestern Abend am Opernhaus Zürich über mich ergehen lassen musste. Es gibt Aufführungen mit sehr guten Sängern aber einer schlechten Inszenierung, wo man am Ende sagen kann: "Ok, das war trotz allem ein Sieg der Musik." Nicht so in Zürich. Denn dort hat ein unfähiger und unmusikalischer Regisseur und Intendant derart "ganze Arbeit" geleistet, dass ein wunderbares Solistenquartett völlig an den Rand gedrängt wurde. Dass das Opernhaus Zürich seit dem Amtsantritt von Andreas Homoki als Intendant sehr tief gefallen ist, ist kein Geheimnis mehr. Insofern reiht sich diese Puritani-Premiere nahtlos in die Regietheater-Flops der  letzten Jahre ein, und kam auch nicht wirklich überraschend. Als düsteres Kriegsstück in historischen Kostümen wolle er Bellinis 1835 in Paris uraufgeführtes Werk inszenieren, tönte Herr Homoki neunmalklug im Programmheft. Was herausgekommen ist, ist altabgedroschenes, platt-plumpes Regietheater, todlangweilig und unmusikalisch mit einem geänderten, dumm-dreisten Ende, welches Vincenzo Bellini und seine Musik völlig pervertierte. Oper von Prolls für Prolls eben. Aber nun mal der Reihe nach. Bühnenbildner Henrik Ahr ( der in München bereits die Lucrezia Borgia verbrochen hatte) hatte eine dauer-rotierende runde Scheune aus Holzlatten auf die Bühne gestellt, die sich öffnen und auch mal heben konnte. Abgesehen von akustischen Problemen durch fehlende Deckelung, sah die Konstruktion billig, lieblos und völlig austauschbar aus, was durch die Stühle im Inneren verstärkt wurde. Die Bühne war so verbaut, dass im Grunde nur Rampensingen möglich war. Ab und an wurde das ganze - ach wie originell-  durch ein paar erhängte Frauen, die vom Schnürboden herabbaumelten, und Leichenhaufen ergänzt. Selbst wenn nichts passierte und die Sänger "nur" an der Rampe standen, nervte die immer rotierende Drehbühne. Die angekündigten historischen Kostüme von Barbara Drohsin  waren allesamt schmuddelig-schwarz und hässlich, alles wirkte wie aus einer Geisterbahn. Vielleicht hätte man sie für die Mannschaft des fliegenden Holländer akzeptieren können, für Bellinis Puritani waren sie jedoch fehl am Platz. Gleich in der ersten Szene beginnt Homoki mit dem Holzhammer. Das katholische Stuart-Königspaar in schmuddelig-elisabethanischer Robe wird im Eingangschor gefangen genommen und gefoltert, danach wird König Charles auf offener Bühne geköpft und Enrichettchen darf mit dem abgehauenen Kopf spielen, bevor sie von Soldaten vergewaltigt wird. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Der Chor wird von Homoki nonstop hyperaktiv geführt. Man schüttelt den Kopf über prollig schunkelnde Chordamen und Brautjungfern oder deren Hin- und Hergeschleppe von Kerzen. Die Personenführung war im wesentlichen auf das viel gescholtene Rampensingen beschränkt und todlangweilig . Wie beliebig wirkte der Schlüsselmoment, als Arturo die Königin erkannte und beschloss sie zu retten.... In  Jonathan Millers mustergültiger Münchner Puritani-Inszenierung aus dem Jahr 2000 war dieser Augenblick ein Gänsehautmoment, als Arturo vor Enrichetta seinen Hut abnahm und, von Ehrfurcht überwältigt, auf die Knie sank! Natürlich ließ Homoki die Sänger ihre Arien nicht ungestört vortragen. Während diese  an der Rampe sangen, musste in bester schulmeisterlicher Regietheater-Tradition im Hintergrund  irgendeine Parallelhandlung abgespult werden, so als ob man dem "dummen Publikum" gar nichts mehr zutraut. Wenn die Musik auf diese Weise gestört wurde, schien Homoki zufrieden.  Am Ende eines ermüdenden Abends wollte dieser dann es scheinbar dem Publikum nochmal so richtig zeigen. Bei der von Sir Giorgio verkündeten Generalamnestie wurde Arturo, wie zu Beginn König Charles, auf offener Bühne geköpft und der Kopf der munter weiter singenden Elvira zum Spielen überlassen. Sie sah aus wie Salome, die in das falsche Stück gebeamt wurde....Einfach nur zum Kotzen! Povero  Bellini! Schade um die guten und hochtalentierten Sänger. Die 31-jährige Pretty Yende als Elvira hätte nämlich das Potential, sich in die Reihe ganz großer Rollenvorgängerinnen einzureihen. Man bedauerte, dass dieses Rollendebut derart von der Regie-Willkür des Herrn Homoki überschattet wurde. Ihre glockenhelle, aber dennoch warm timbrierte Stimme, traumhafte Kolaraturen, wunderbare Farben und ihre jugendliche Naivität  wirkten hinreißend! Wie sie in der Wiederholung des "Vien diletto" Bellinis Musik mit herrlichen Trillern und wunderbaren Verzierungen ausschmückte, das war ganz große Klasse. Lawrence Brownlee als Arturo stand dem um nichts nach. Bis zum dem verstümmelten Ende der Oper setzte er sich darstellerisch von allen Sängern noch am besten gegen Homokis Schwachsinn durch und sang einen vom ersten Ton mitreißenden Lord Arturo Talbo. Das herrliche Timbre, die bewegenden, mit Leichtigkeit gesungenen Spitzentöne bis zum hohen F ließen die Rolle zu einem wahren Erlebnis werden. Sowohl das "Ah te oh cara" als auch die Romanze und große Klage des dritten Akts waren beredte Zeugnisse ganz großer Belcanto-Kunst. Da hatten es die anderen Männer schwer, aber machten ihre Sache bisweilen sehr ordentlich. Georges Peteans Timbre ist rau und hart, jedoch zeigte er in seiner Arie, dass er in der Lage ist, wunderbar gefühlvolle Phrasen zu singen und im Duett mit Sir Giorgio mächtig aufzutrumpfen. Dieser war mit Michele Pertusi sehr ordentlich besetzt,  auch wenn ich mir von seinem kultivierten Bass etwas mehr "Balsam" gewünscht hätte. Erwähnt werden soll auch Opernhaus-Urgestein Liliana Niketeanu als Königin Enrichetta, die ihrem Auftritt stimmlich die nötige Würde verlieh. Der Chor war von Pablo Assante -von einigen Wacklern abgesehen- ordentlich einstudiert worden, litt aber an der ständigen durch die Regie verordnete Unruhe und Nervosität. Sie wirkten fast, als litten die Soldaten alle an ADHS. Der Generalmusikdirektor Fabio Luisi dirigierte aufgeblasen und selbstgefällig, der harte Orchesterklang entbehrte jedoch an Substanz und der für Belcanto-Opern so wichtigen Sensitivität. Am Ende gab es viel Jubel für die Sänger und mitunter heftige Buhs für die Regie, welche von den Zuschauern neben mir Zustimmung erhielten. Bei dem sich verbeugenden Regieteam fiel auf, dass die Kostüm-Bärbel im dunklen Zuschauerraum eine Sonnenbrille trug, welche symbolisch für die Blindheit der Regietheater-Mafia stehen könnte. Beim Verlassen der Oper Zürich dachte ich traurig an die bereits erwähnte mustergültige  Münchner Inszenierung, welche Belcanto Belcanto sein ließ und  das Auge mit kostbaren Bildern verwöhnte, die den Rembrandt-Gemälden der Münchner alten Pinakothek nachempfunden waren. Damals führte die Gruberova auf dem Zenit ihrer Karriere das wunderbare Solistenquartett an, am Pult ließ der zu früh verstorbene Marcello Viotti mit sensiblen Klängen die Puritani zum Erlebnis werden. Eine Erinnerung von der man in der derzeitigen kaputten Opernwelt nur noch träumen kann. 

Donnerstag, 26. Mai 2016

Großartige "Roméo et Juliette" in Tel Aviv am 29. April 2016

Anlässlich des 400. Todesjahres von William Shakespeare setzte die Israeli Opera in Tel Aviv in diesem Frühjahr mit Gounods Roméo et Juliette und Verdis Macbeth gleich zwei Opern auf ihren Spielplan, die auf Werken des großen englischen Dramatikers beruhen. Bei meinem Israel-Aufenthalt Ende April hatte ich Gelegenheit, eine Aufführung von Roméo et Juliette zu besuchen und kam in den Genuss einer außergewöhnlichen Vorstellung. Als Regisseur  hatte die Israeli Opera den Intendanten der Monte Carlo Opera, Jean-Louis Grinda, engagiert, welcher der Tel Aviver Oper bereits seit vielen Jahren eng verbunden ist. Grinda vertraute bei seiner einfühlsamen  Regiearbeit ganz auf die Musik Charles Gounods und erreichte mit sparsam eingesetzten Mitteln eine maximale Wirkung. Das Ergebnis war ein äußerst berührender Opernabend, der von Anfang an zu fesseln  vermochte und der von einer keinen Augenblick nachlassenden Spannung  beherrscht wurde. Bühnenbildner Eric Chevalier hat dem Regisseur dazu eine einfache, leicht schräge, von Säulen umrandete Spielfläche  gebaut, die jedoch mit Hilfe von  liebevoll  gemalten Hintergrundprospekten wandlungsfähig blieb. Sie vermittelten gleichermaßen die bis heute erhaltene, von rivalisierenden Adelsgeschlechtern geprägte bedrohliche  Atmosphäre des mittelalterlichen Veronas, als auch die von Gounod insbesondere in den Liebesszenen heraufbeschworene  Romantik. So sorgten die fast realitätsgetreu gemalte Veroneser Piazza dei Signori und der Mondaufgang über den gemalten Zypressen von Juliettes Garten im zweiten Akt für unvergessliche Momente. Carola Volles steuerte  wunderschön ausgearbeitete Kostüme im Stil der italienischen Frührenaissance bei und betonte gerade dadurch die Zeitlosigkeit und Universalität der tragischen Geschichte des wohl berühmtesten Liebespaares der Welt. Dieser wunderbare optische Rahmen mit seiner intelligenten Personenregie ermöglichte es den Sängern am besuchten Abend zu musikalischen Höchstleistungen zu finden. Mit dem usbekischen Tenor Nagmiddin Marlyanov hatte man einen Sänger verpflichtet, der ganz in der Partie des Roméo aufging. Mit seinem schlank geführten, angenehmen Tenor wurde er sowohl den lyrischen, viel Schmelz erfordernden Passagen, als auch den dramatisch-heldischen Momenten seiner Rolle gerecht. Großen Applaus erhielten sein gefühlvoll vorgetragenes "Ah lève-toi, soleil" sowie der mühelos erreichte Spitzenton bei "Je veux la revoir" am Ende des dritten Aktes. Ideal harmonierte Marlyanov mit der Juliette der jungen Israelin Hila Baggio, die mit klarem, silbrig-timbrierten Sopran und makellosen Koloraturen bereits bei "Je veux vivre" begeisterte und deren Interpretation von "Amour, ranime mon courage" zutiefst erschütterte. In den drei Duetten fand das unglückliche Liebespaar zu einer sich kontinuierlich steigernden Intensität, die einer bewegenden Schlussszene kulminierte. Die zahlreichen kleineren Partien hatte die Israeli Opera alle aus ihrem eigenen Ensemble hervorragend besetzt.  Na'ama Goldmann als Roméos Page Stephano begeisterte mit einem köstlich gesungenen Spottlied vor dem Hause der feindlichen Capulets,  ebenso wie  Anat Czarny als Juliettes Amme Getrude. Herausragend präsentierten  sich insbesondere in der Kampfszene des 3. Aktes auch Oded Reich als Mercutio und Yosef Aridan als Tybald. Mit balsamischem Bass gab Yuri Kissin einen empathisch-gütigen Frère Laurent und stellte damit einen Gegenpol zu dem autoritär agierenden Capulet von Noah Brieger dar. Als Herzog von Verona komplettierte Vladimir Braun das hochkarätige Sängerensemble. Der von Ethan Schmeisser einstudierte Chor präsentierte  sich musikalisch und darstellerisch in Bestform, was insbesondere den von Roberto Venturi meisterhaft choreographierten Kampfszenen zugute kam. Am Pult des Israeli Symphony Orchestra Rishon LeZion dirigierte Francesco Cilluffo stets sängerfreundlich und abwechslungsreich, wobei die zarten Streicher- und Harfenklänge zu Beginn des zweiten Aktes besonders gefühlvoll ausgekostet wurden. Wenn man an diesem wunderbaren Abend etwas aussetzen könnte, dann am ehesten, dass man sich entschieden hatte, die den vierten Akt beschließende Hochzeitsszene mit dem Zusammenbruch Juliettes zu streichen. Dies hinterließ eine dramaturgisch etwas ungünstige Lücke vor dem Schlussbild und ließ den vierten Akt zu abrupt enden. Das Publikum zeigte sich am Ende der Vorstellung hellauf begeistert und spendete langanhaltenden rhythmischen Applaus für alle Beteiligten. Insgesamt hat die Israeli Opera mit dieser Produktion eindrucksvoll unter Beweis gestellt, zu welch herausragendem  Niveau sie auch abseits ihrer spektakulären Opernfestivals fähig ist. Bei Tel Aviv-Reisen ist deshalb auch ein Besuch in der Israeli Opera für Opernfreunde sehr  lohnenswert, auch wenn man diese Stadt zunächst nicht unbedingt  mit ihrem Opernhaus in Verbindung bringen mag! 

Donnerstag, 28. Januar 2016

Glanzvoller Rigoletto an der Mailänder Scala (24.01.2016)




Die erste Wiederaufnahme der laufenden Spielzeit 2015/16 widmete die Mailänder Scala Giuseppe Verdis Dauerbrenner Rigoletto in einer mehr als vielversprechenden Besetzung. Das musikalische Interesse richtete sich dabei vor allem auf Leo Nucci in der Titelrolle, der einmal mehr in eine seiner legendären Glanzpartien schlüpfte und die Rolle des buckligen Hofnarren mit einer atemberaubenden Intensität ausstattete, wie ich es selten erlebt habe. Nucci begann den Abend noch ein wenig zurückhaltend, fand jedoch schnell zu stimmlicher und darstellerischer Bestform, die kaum einen kalt ließ. Wie dieser Rigoletto spottete, klagte, weinte und dem Publikum Einblick in seine zutiefst zerrissene Seele gewährte, das war einfach phänomenal. Dabei beeindruckte der Sänger einmal mehr durch seine ausgezeichnete Technik, welche fast vergessen machte, dass sich der große Sänger im fortgeschrittenen Stadium seiner Karriere befindet und die einst so frische Stimme leicht spröde geworden ist. So gerieten Rigolettos Cortigiani-Arie und das folgende Duett mit Gilda zu einem wahren Höhepunkt. Dazu trug auch die junge Nadine Sierra bei, die mit ihrem glockenhellen Sopran nicht nur ein wunderbares "Caro Nome" sang sondern auch in dem den zweiten Akt beschließendem Rache-Duett "si Vendetta" zu einer dermaßen mitreißenden Fulminanz gelangte, dass dieses vor dem Vorhang zu Beginn der zweiten Pause wiederholt werden musste. Nicht mithalten mit diesem hohen Niveau konnte Vittorio Grigolo als Duca: ein paar schöne Spitzentöne bei La Donna è Mobile konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Sänger an einem ersten Haus wie der Scala im Grunde nichts verloren hat: sein meckerndes Timbre, das mich an ein Spielzeug aus meiner Kindheit erinnerte, bei dem man ziehen musste und dann eine Stimme auf Italienisch sagte: "La Pecora fa Beeeeee", sowie sein undifferenziertes Dauerforte ließen bereits bei "Questa o Quella" Schlimmstes für den weiteren Abend befürchten, was leider auch so eingelöst wurde. Grigolos Auftreten, das an einen eitlen aufgeblasenen Pfau erinnerte, trug im Übrigen zu meiner Antipathie gegen diesen Sänger bei und wird der Rolle auch nicht gerecht. Ein wunderbares mörderisches Geschwisterpaar waren Carlo Colombara als Sparafucile und Annalisa Stroppa als herrlich sinnliche Maddalena. Giovanni Furlanetto dagegen verschenkte seine beiden Auftritte als Monterone. Da klang vieles zu leichtgewichtig, um die Bedeutung dieser Szenen zu verdeutlichen. Sehr schön hatte Nicola Luisotti das Orchester einstudiert, bei dem  die einzelnen Instrumenten-Gruppen wunderbar  herausgearbeitet waren, der Chor war von Bruno Casoni bestens präpariert. Die Scala hatte für diese Serie ihre altbewährte Rigoletto-Inszenierung von 1994 durch Gilbert Deflo wiederaufgenommen. Dieser schreibt im Programmheft, dass er einzig dem Werk dienen wolle - was auf wunderbar unaufgeregte Weise passiert. Alles ergibt sich aus der Musik - der Sänger steht im Mittelpunkt des Geschehens. Ezio Frigerios große Bühnenräume sind wunderschön anzusehen, bewegen sich zwischen Realismus und angedeuteter Abstraktion und entführen einen in die Zeit der italienischen Renaissance, in der das Stück spielt. Auch das Gewitter des dritten Aktes wird mit Regen, Blitz und Donner meisterhaft umgesetzt, allerdings hätte ich auf den Kunstrasen in diesem Akt gerne verzichtet. Ein wahres Fest für die Augen sind Franca Squarciapinos opulente, historisch korrekte  Kostüme. Auch wenn die Inszenierung in einigen Details nicht die Perfektion eines Franco Zeffirelli erreicht, bietet diese wohl letzte richtige Rigoletto-Inszenierung der Welt alles, was es für einen gelungenen Opernabend braucht. "Che bella serata" meinte neben mir eine Dame  beim Verlassen der Scala begeistert. Dem möchte ich gerne beipflichten. Der ungetrübte Jubel am Ende richtete sich dabei nicht nur an die Sänger, sondern vor allem an Giuseppe Verdi, dessen Ehre in düsteren Regietheater-Zeiten wieder rehabilitiert wurde.

Mittwoch, 6. Januar 2016






Fantastische La bohème an der Münchner Staatsoper


Die ausverkaufte Bayerische Staatsoper bot am gestrigen Tag wieder einmal eine Aufführung, die dem guten Ruf dieses Hauses alle Ehre machte, was man bei vielen der letzten Produktionen eher nicht hatte feststellen können.

Asher Fisch dirigierte das gewohnt souverän spielende Staatsorchester gerade anfangs zu sänger-unsensibel, aber die hervorragende Qualität dieses Klangkörpers machte es dennoch möglich, Puccinis Meisterwerk auch orchestral genießen zu können.

Die amerikanische Sopranistin Kristin Lewis gestaltete die tragische Rolle der Mimì sowohl stimmlich als auch darstellerisch sehr ansprechend; ihr eher dunkler, voller Sopran kam besonders im dritten Akt zur Geltung und „Donde lieta uscì“ gelang ihr sehr anrührend und dramatisch, ohne übertrieben sentimental zu wirken. Eine bescheidene, liebenswürdige Näherin, deren ganze Freude die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings sind und die Rodolfos Herz im Sturm erobert – genau dies konnte Lewis mit ihrer bewusst zurückhaltenden, aber sehr durchdachten Interpretation vermitteln. Der üppige Schlussapplaus würdigte ihre Leistung völlig zu Recht.

Die Musette der Kanadierin Joyce El-Khoury geriet ebenfalls zu einem wunderbaren Rollenbild der launischen, aber betörenden Grisette, nach der sich alle Männer verzehren, wenn sie nur eine Straße entlang geht. Anfangs etwas schrill (doch zu dem einmaligen Auftritt gut passend), gelang ihr das „Quando m'en vo“ ganz hervorragend. Im Quartett des dritten Aktes hatte sie dann noch einmal Gelegenheit, ihre stimmlichen Fähigkeiten sehr überzeugend zur Geltung zu bringen. Auch darstellerisch beglückte die köstliche  Szene mit Marcello, die mit den bekannten, wenig schmeichelhaften Bezeichnungen endet.

Der aus der Ukraine stammende Tenor Dmytru Popov war ein großartiger Rodolfo mit strahlenden Spitzentönen, einer kräftigen Mittellage und einer stilistisch sehr geschmackvoll geführten Stimme, die keine Wünsche offen ließ. Den Wettkampf mit Asher Fischs Staatsorchester konnte er nicht immer für sich entscheiden, aber der Sieg bei einem so ungleichen Kräftemessen ist auch von keinem Sänger zu erwarten. Von vielen, wesentlich bekannteren „Stars“ würde man sich jedenfalls eine solche (auch darstellerisch natürliche und ansprechende) Interpretation wünschen.

Markus Eiche als unglücklich liebender Marcello, dem die Schönheit und Launenhaftigkeit Musettes so zu schaffen machen, gestaltete die Rolle mit seinem kräftigen, wohltimbrierten Bariton hervorragend; ein echter Hörgenuss war das wunderbare Duett des vierten Aktes, in dem beide Künstler ihren großen Lieben Mimì und Musette nachtrauern.

Andrea Borghini (Schaunard) und Goran Joric (Colline) komplettierten das leidenschaftliche Künstlerensemble ebenfalls sehr überzeugend.

Otto Schenk hat einmal die Aufgabe des Regisseurs in der ihm eigenen, unnachahmlichen Art und Weise so beschrieben: „Keinen eigenen Käse machen“. Diesem Motto folgt seine nun schon seit 1969 an der Bayerischen Staatsoper zu bewundernde, absolut stimmige Inszenierung, die das Werk – entgegen heutiger Standardpraxis – nicht verfälscht, nicht verbiegt und verhöhnt, sondern schlicht und einfach zur Geltung bringt. Ein perfektes Werk wurde zum Leben erweckt, und zwar ganz ohne diverse „Verschlimmbesserungen“ diverser Werk-oder Weltverbesserer, als die sich heutige Regisseure so gern gerieren. Und siehe da – es funktionierte! Der spontane Applaus beim Aufgehen des Vorhangs im zweiten und das zusätzliche bewundernde Raunen beim Anblick des dritten Akt waren beredte Zeugnisse dafür, dass das Publikum keineswegs so dumm ist, wie es sich viele Regisseure und Intendanten in ihrer Borniertheit einbilden, andererseits aber auch einen offensichtlichen Mangel an solchen Inszenierungen zu beklagen hat. Vor der Kulisse der detailverliebten Bühnenbilder Rudolf Heinrichs, die übrigens Zitate seiner an der Komischen Oper Berlin unter der Regie Walter Felsensteins aufgeführten Bohème sind, entfaltet sich die Kunst einer äußerst gelungenen, aber nie aufdringlichen oder unpassenden Personenregie. Ganz besonders war dies in den Massenszenen im zweiten Akt zu spüren. Das bunte Gewusel des Quartier Latin und mittendrin das tragikkomische Geschehen um Musette, Marcello und Alcindoro, die melancholische Stimmung der Barriere Enfer, der Gegensatz zwischen den anrührenden Liebesschwüren Mimìs und Rodolfos und dem eifersüchtigen Gezänk zwischen Musette und Marcello, die nahezu kindliche Ausgelassenheit der vier Künstler, die außer einem Hering zwar nichts zu beißen, aber dennoch genug Fantasie für übermütige Rollenspiele haben und der abrupte Einbruch des Todes in diese Ausgelassenheit - genau dies ist es, was in der Musik Puccinis zum Ausdruck kommt und so visualisiert werden sollte.

Und genau dies ist Otto Schenk gelungen.

Ein großartiger Opernabend, den das Publikum verdientermaßen mit begeistertem Applaus bedachte. So kann es weiter gehen, liebe Bayerische Staatsoper!