Liebe Freunde, heute möchte ich von einem Opernabend berichten, der für mich eindeutig zu den Besten gehört, die ich in den letzten Jahren in Sachen italienischer Oper erleben durfte. Nachdem ich ein paar Tage Freunde in Israel besucht habe, war es für mich als Opernfan irgendwo selbstverständlich, auch einmal die Oper in Tel Aviv zu besuchen, nachdem ich vor zwei Jahren in Israel bereits eine ausgezeichnete Tosca in Massada als Open Air erleben durfte. Das moderne Opernhaus in Tel Aviv war bis auf wenige Plätze komplett ausverkauft. Norma ist ein sehr populäres Werk, und das wollte man sich in einem so klassikbegeisterten Land natürlich nicht entgehen lassen. Im Gegenzug dazu liebt die Oper in Tel Aviv ihr Publikum und ist auf dieses angewiesen. Bis auf wenige (gemäßigte) Ausnahmen würde man diesen treuen Besuchern niemals solche abartigen Regietheaterinszenierungen zumuten, wie das in Europa leider der Fall ist. Trotz knapper Kassen hatte die Intendanz der Israeli Opera eine Norma -Besetzung zusammengestellt, die auch an europäischen Bühnen ihresgleichen sucht. Aber zunächst zur Inszenierung: Diese war vom Teatro Regio in Turin übernommen worden und einfach nur wunderschön. Alberto Fassini hat Bellinis Musik und das Libretto Felice Romanis' eins zu eins liebevoll umgesetzt. Die Bühnenbilder von William Orlandi waren intelligent arrangiert und hochästhetisch. Die ebenfalls von Orlandi entworfenen Kostüme prächtig und historisch genau. Druiden waren Druiden, Römer waren Römer und die Krieger waren als solche erkennbar. Norma trat in einem prächtigen roten Kleid mit einer goldenen Priesterinnen-Krone auf. Burkas und Kalaschnikows wie einst in einer abstrusen Münchner Inszenierung suchte man -surprise, surprise- vergeblich. Die Bühnenbilder ermöglichten fließende Szenenwechsel. Man sah eine aus diversen Steinplatten gebildete Rückwand. Diese konnten sich verschieben und gaben den Blick auf schön gemalte Hintergrundprospekte frei, welche gallische Landschaften zeigten. Die Statue eines römischen Kaisers, die zu Beginn die Szenerie überragte war am Ende zerstört. In dem aus dem Steinplatten gebildeten Raum wirkte die Titelheldin Norma wie lebendig begraben. In dieser Abgeschiedenheit zog sie ihre Kinder groß. Die Bühnenbilder machten auf ästhetische und zugleich bedrückende Weise die Unfreiheit der Druidenpriesterin deutlich. Innenwelt, Privatsphäre und Außenwelt sind klar voneinander getrennt. In diesem Rahmen darf Norma ihre Casta-Diva-Arie auf einem imposanten Steinaltar, umgeben von dem prächtig kostümierten Chor, singen. Der Mond beleuchtet die Szenerie authentisch. Mit Maria Pia Piscitelli hat die Israeli Opera eine erfahrene und international gefragte Rolleninterpretin verpflichten können. Sie hat diese Partie bereits konzertant in Wien, Buenos Aires und Rom gesungen. Eine riesige, volle, aber doch kontrollierte Sopranstimme, die in allen Lagen ausgezeichnet anspricht und der auch die schwierigen Koloraturen keinerlei Probleme bereiten. Casta Diva war so ein wahres Erlebnis, die Duette mit Adalgisa voll von betörendem Schönklang. Diese Priesterin blieb auch darstellerisch nichts schuldig - da stimmte jede Geste: Wut, Verzweiflung, Trauer und Rache, all dies konnte man auf der Bühne real erleben. Großartig geriet auch die Adalgisa von Jennifer Holloway. Vom Timbre her völlig anders als die Norma, erweckte sie die junge Novizin zu Fleisch und Blut. Das silbrige Verschmelzen der Stimmen von Piscitelli und Holloway war ein Erlebnis; das "Mira o Norma" ein Triumph. Der Pollione des Abends war bei Hector Sandoval in besten Händen. Dessen markanter metallischer Tenor mit ausgezeichneter Höhe musste sich zu Beginn noch etwas aufwärmen, aber dann zeichnete er das zynische Portrait eines kaltherzigen, testosterongesteuerten römischen Statthalters, der beiden Frauen das Herz bricht. Das Ende des ersten Aktes platzte nur so fast vor Dramatik. Carlo Striuli wirkte als Oroveso so, als habe er sich leider eine Erkältung eingefangen. Berührend geriet seine Schlussszene, wenn der oberste Druide erstmals Herz zeigt und sich bereit erklärt, für seine Enkelchen zu sorgen. Der Chor unter der Einstudierung von Ethan Schmeisser war eine Wucht: Er sang präzise und elegant, ausgezeichnet war der mitreißende Guerra-Chor. Unter seinem Musikdirektor Daniel Oren spielte das Symphony Orchestra Rischon LeZion ausgezeichnet. Das war eine Interpretation voller Leidenschaft und Herzblut von der Ouvertüre an. Von Routine keine Spur. Sicher leitete Orens sängerfreundliches Dirigat durch den gesamten Abend: Farben, Spannung und Dramatik ließen das Publikum zum Teil den Atem anhalten. Dieser Opernabend war wirklich etwas ganz besonderes, was ich in dieser Form so nicht erwartet hatte. Das Publikum spendete allen Beteiligten stehende Ovationen und feierte das gesamte Ensemble lange mit rhythmischem Klatschen. Vielleicht sollte man mal ein paar bescheuerte Kritiker des Deutschen Feuilletons nach Israel schicken. Hier wartet nämlich ein potentielles Opernhaus des Jahres. Um den kürzlich verstorbenen Präsidenten Shimon Peres zu zitieren: "Ein kleines Land mit einem großen Opernhaus."
Freitag, 16. Dezember 2016
Montag, 20. Juni 2016
Inszenierung 6, setzen - miserable Neuproduktion der Puritani aus Homokis Komödienstadl, vormals Opernhaus Zürich am 19.6.2016
Ich
bin immer noch fassungslos über die Aufführung, die ich gestern Abend am
Opernhaus Zürich über mich ergehen lassen musste. Es gibt Aufführungen mit sehr
guten Sängern aber einer schlechten Inszenierung, wo man am Ende sagen kann: "Ok, das war trotz allem ein Sieg der Musik." Nicht so in Zürich. Denn dort hat
ein unfähiger und unmusikalischer Regisseur und Intendant derart "ganze Arbeit"
geleistet, dass ein wunderbares Solistenquartett völlig an den Rand gedrängt
wurde. Dass das Opernhaus Zürich seit dem Amtsantritt von Andreas Homoki als
Intendant sehr tief gefallen ist, ist kein Geheimnis mehr. Insofern reiht sich
diese Puritani-Premiere nahtlos in die Regietheater-Flops der letzten Jahre
ein, und kam auch nicht wirklich überraschend. Als düsteres Kriegsstück in
historischen Kostümen wolle er Bellinis 1835 in Paris uraufgeführtes Werk
inszenieren, tönte Herr Homoki neunmalklug im Programmheft. Was herausgekommen
ist, ist altabgedroschenes, platt-plumpes Regietheater, todlangweilig und
unmusikalisch mit einem geänderten, dumm-dreisten Ende, welches Vincenzo Bellini
und seine Musik völlig pervertierte. Oper von Prolls für Prolls eben. Aber nun mal
der Reihe nach. Bühnenbildner Henrik Ahr ( der in München bereits die Lucrezia
Borgia verbrochen hatte) hatte eine dauer-rotierende runde Scheune aus
Holzlatten auf die Bühne gestellt, die sich öffnen und auch mal heben konnte.
Abgesehen von akustischen Problemen durch fehlende Deckelung, sah die
Konstruktion billig, lieblos und völlig austauschbar aus, was durch die Stühle
im Inneren verstärkt wurde. Die Bühne war so verbaut, dass im Grunde nur
Rampensingen möglich war. Ab und an wurde das ganze - ach wie originell- durch
ein paar erhängte Frauen, die vom Schnürboden herabbaumelten, und Leichenhaufen
ergänzt. Selbst wenn nichts passierte und die Sänger "nur" an der Rampe standen,
nervte die immer rotierende Drehbühne. Die angekündigten historischen Kostüme
von Barbara Drohsin waren allesamt schmuddelig-schwarz und hässlich, alles
wirkte wie aus einer Geisterbahn. Vielleicht hätte man sie für die Mannschaft
des fliegenden Holländer akzeptieren können, für Bellinis Puritani waren sie
jedoch fehl am Platz. Gleich in der ersten Szene beginnt Homoki mit dem
Holzhammer. Das katholische Stuart-Königspaar in schmuddelig-elisabethanischer
Robe wird im Eingangschor gefangen genommen und gefoltert, danach wird König
Charles auf offener Bühne geköpft und Enrichettchen darf mit dem abgehauenen
Kopf spielen, bevor sie von Soldaten vergewaltigt wird. Man weiß nicht, ob man
lachen oder weinen soll. Der Chor wird von Homoki nonstop hyperaktiv geführt.
Man schüttelt den Kopf über prollig schunkelnde Chordamen und Brautjungfern oder
deren Hin- und Hergeschleppe von Kerzen. Die Personenführung war im wesentlichen
auf das viel gescholtene Rampensingen beschränkt und todlangweilig . Wie
beliebig wirkte der Schlüsselmoment, als Arturo die Königin erkannte und beschloss
sie zu retten.... In Jonathan Millers mustergültiger Münchner
Puritani-Inszenierung aus dem Jahr 2000 war dieser Augenblick ein
Gänsehautmoment, als Arturo vor Enrichetta seinen Hut abnahm und, von Ehrfurcht
überwältigt, auf die Knie sank! Natürlich ließ Homoki die Sänger ihre Arien
nicht ungestört vortragen. Während diese an der Rampe sangen, musste in
bester schulmeisterlicher Regietheater-Tradition im Hintergrund irgendeine
Parallelhandlung abgespult werden, so als ob man dem "dummen Publikum" gar
nichts mehr zutraut. Wenn die Musik auf diese Weise gestört wurde, schien Homoki
zufrieden. Am Ende eines ermüdenden Abends wollte dieser dann es scheinbar dem
Publikum nochmal so richtig zeigen. Bei der von Sir Giorgio verkündeten
Generalamnestie wurde Arturo, wie zu Beginn König Charles, auf offener Bühne
geköpft und der Kopf der munter weiter singenden Elvira zum Spielen überlassen.
Sie sah aus wie Salome, die in das falsche Stück gebeamt wurde....Einfach nur
zum Kotzen! Povero Bellini! Schade um die guten und hochtalentierten Sänger.
Die 31-jährige Pretty Yende als Elvira hätte nämlich das Potential, sich in die
Reihe ganz großer Rollenvorgängerinnen einzureihen. Man bedauerte, dass dieses
Rollendebut derart von der Regie-Willkür des Herrn Homoki überschattet wurde.
Ihre glockenhelle, aber dennoch warm timbrierte Stimme, traumhafte
Kolaraturen, wunderbare Farben und ihre jugendliche Naivität wirkten
hinreißend! Wie sie in der Wiederholung des "Vien diletto" Bellinis Musik mit
herrlichen Trillern und wunderbaren Verzierungen ausschmückte, das war ganz
große Klasse. Lawrence Brownlee als Arturo stand dem um nichts nach. Bis zum
dem verstümmelten Ende der Oper setzte er sich darstellerisch von allen Sängern
noch am besten gegen Homokis Schwachsinn durch und sang einen vom ersten Ton
mitreißenden Lord Arturo Talbo. Das herrliche Timbre, die bewegenden, mit
Leichtigkeit gesungenen Spitzentöne bis zum hohen F ließen die Rolle zu einem
wahren Erlebnis werden. Sowohl das "Ah te oh cara" als auch die Romanze und
große Klage des dritten Akts waren beredte Zeugnisse ganz großer
Belcanto-Kunst. Da hatten es die anderen Männer schwer, aber machten ihre Sache
bisweilen sehr ordentlich. Georges Peteans Timbre ist rau und hart, jedoch
zeigte er in seiner Arie, dass er in der Lage ist, wunderbar gefühlvolle Phrasen
zu singen und im Duett mit Sir Giorgio mächtig aufzutrumpfen. Dieser war mit
Michele Pertusi sehr ordentlich besetzt, auch wenn ich mir von seinem
kultivierten Bass etwas mehr "Balsam" gewünscht hätte. Erwähnt werden soll auch
Opernhaus-Urgestein Liliana Niketeanu als Königin Enrichetta, die ihrem Auftritt
stimmlich die nötige Würde verlieh. Der Chor war von Pablo Assante -von einigen
Wacklern abgesehen- ordentlich einstudiert worden, litt aber an der ständigen
durch die Regie verordnete Unruhe und Nervosität. Sie wirkten fast, als
litten die Soldaten alle an ADHS. Der Generalmusikdirektor Fabio Luisi
dirigierte aufgeblasen und selbstgefällig, der harte Orchesterklang entbehrte
jedoch an Substanz und der für Belcanto-Opern so wichtigen Sensitivität. Am Ende
gab es viel Jubel für die Sänger und mitunter heftige Buhs für die Regie, welche
von den Zuschauern neben mir Zustimmung erhielten. Bei dem sich verbeugenden
Regieteam fiel auf, dass die Kostüm-Bärbel im dunklen Zuschauerraum eine
Sonnenbrille trug, welche symbolisch für die Blindheit der Regietheater-Mafia
stehen könnte. Beim Verlassen der Oper Zürich dachte ich traurig an die bereits
erwähnte mustergültige Münchner Inszenierung, welche Belcanto Belcanto sein
ließ und das Auge mit kostbaren Bildern verwöhnte, die den
Rembrandt-Gemälden der Münchner alten Pinakothek nachempfunden waren. Damals
führte die Gruberova auf dem Zenit ihrer Karriere das wunderbare
Solistenquartett an, am Pult ließ der zu früh verstorbene Marcello Viotti mit
sensiblen Klängen die Puritani zum Erlebnis werden. Eine Erinnerung von der man
in der derzeitigen kaputten Opernwelt nur noch träumen kann.
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Pablo ASsante; Andreas Homoki; Fabio Luisi; Zürich,
Pretty Yende; Lawrence Brownlee; George Petean; Michele Pertusi; Liliana Niketeanu,
Puritani
Donnerstag, 26. Mai 2016
Großartige "Roméo et Juliette" in Tel Aviv am 29. April 2016
Anlässlich
des 400. Todesjahres von William Shakespeare setzte die Israeli Opera in Tel
Aviv in diesem Frühjahr mit Gounods Roméo et Juliette und Verdis Macbeth gleich
zwei Opern auf ihren Spielplan, die auf Werken des großen englischen Dramatikers
beruhen. Bei meinem Israel-Aufenthalt Ende April hatte ich Gelegenheit, eine
Aufführung von Roméo et Juliette zu besuchen und kam in den Genuss einer
außergewöhnlichen Vorstellung. Als Regisseur hatte die Israeli Opera den
Intendanten der Monte Carlo Opera, Jean-Louis Grinda, engagiert, welcher der Tel
Aviver Oper bereits seit vielen Jahren eng verbunden ist. Grinda vertraute bei
seiner einfühlsamen Regiearbeit ganz auf die Musik Charles Gounods und
erreichte mit sparsam eingesetzten Mitteln eine maximale Wirkung. Das Ergebnis
war ein äußerst berührender Opernabend, der von Anfang an zu fesseln vermochte
und der von einer keinen Augenblick nachlassenden Spannung beherrscht wurde.
Bühnenbildner Eric Chevalier hat dem Regisseur dazu eine einfache, leicht
schräge, von Säulen umrandete Spielfläche gebaut, die jedoch mit Hilfe von
liebevoll gemalten Hintergrundprospekten wandlungsfähig blieb. Sie
vermittelten gleichermaßen die bis heute erhaltene, von rivalisierenden
Adelsgeschlechtern geprägte bedrohliche Atmosphäre des mittelalterlichen
Veronas, als auch die von Gounod insbesondere in den Liebesszenen
heraufbeschworene Romantik. So sorgten die fast realitätsgetreu gemalte Veroneser
Piazza dei Signori und der Mondaufgang über den gemalten Zypressen von Juliettes
Garten im zweiten Akt für unvergessliche Momente. Carola Volles steuerte
wunderschön ausgearbeitete Kostüme im Stil der italienischen Frührenaissance
bei und betonte gerade dadurch die Zeitlosigkeit und Universalität der
tragischen Geschichte des wohl berühmtesten Liebespaares der Welt. Dieser
wunderbare optische Rahmen mit seiner intelligenten Personenregie ermöglichte
es den Sängern am besuchten Abend zu musikalischen Höchstleistungen zu finden.
Mit dem usbekischen Tenor Nagmiddin Marlyanov hatte man einen Sänger
verpflichtet, der ganz in der Partie des Roméo aufging. Mit seinem schlank
geführten, angenehmen Tenor wurde er sowohl den lyrischen, viel Schmelz
erfordernden Passagen, als auch den dramatisch-heldischen Momenten seiner Rolle
gerecht. Großen Applaus erhielten sein gefühlvoll vorgetragenes "Ah lève-toi,
soleil" sowie der mühelos erreichte Spitzenton bei "Je veux la revoir" am
Ende des dritten Aktes. Ideal harmonierte Marlyanov mit der Juliette der jungen
Israelin Hila Baggio, die mit klarem, silbrig-timbrierten Sopran und makellosen
Koloraturen bereits bei "Je veux vivre" begeisterte und deren Interpretation von
"Amour, ranime mon courage" zutiefst erschütterte. In den drei Duetten fand das
unglückliche Liebespaar zu einer sich kontinuierlich steigernden Intensität, die
einer bewegenden Schlussszene kulminierte. Die zahlreichen kleineren Partien
hatte die Israeli Opera alle aus ihrem eigenen Ensemble hervorragend besetzt.
Na'ama Goldmann als Roméos Page Stephano begeisterte mit einem köstlich
gesungenen Spottlied vor dem Hause der feindlichen Capulets, ebenso wie Anat
Czarny als Juliettes Amme Getrude. Herausragend präsentierten sich insbesondere
in der Kampfszene des 3. Aktes auch Oded Reich als Mercutio und Yosef Aridan als
Tybald. Mit balsamischem Bass gab Yuri Kissin einen empathisch-gütigen Frère
Laurent und stellte damit einen Gegenpol zu dem autoritär agierenden Capulet von
Noah Brieger dar. Als Herzog von Verona komplettierte Vladimir Braun das
hochkarätige Sängerensemble. Der von Ethan Schmeisser einstudierte Chor
präsentierte sich musikalisch und darstellerisch in Bestform, was insbesondere
den von Roberto Venturi meisterhaft choreographierten Kampfszenen zugute kam. Am
Pult des Israeli Symphony Orchestra Rishon LeZion dirigierte Francesco Cilluffo
stets sängerfreundlich und abwechslungsreich, wobei die zarten Streicher- und
Harfenklänge zu Beginn des zweiten Aktes besonders gefühlvoll ausgekostet
wurden. Wenn man an diesem wunderbaren Abend etwas aussetzen könnte, dann am
ehesten, dass man sich entschieden hatte, die den vierten Akt beschließende
Hochzeitsszene mit dem Zusammenbruch Juliettes zu streichen. Dies hinterließ eine dramaturgisch etwas ungünstige Lücke vor dem Schlussbild und ließ den
vierten Akt zu abrupt enden. Das Publikum zeigte sich am Ende der Vorstellung
hellauf begeistert und spendete langanhaltenden rhythmischen Applaus für alle
Beteiligten. Insgesamt hat die Israeli Opera mit dieser Produktion eindrucksvoll
unter Beweis gestellt, zu welch herausragendem Niveau sie auch abseits ihrer
spektakulären Opernfestivals fähig ist. Bei Tel Aviv-Reisen ist deshalb auch ein
Besuch in der Israeli Opera für Opernfreunde sehr lohnenswert, auch wenn man
diese Stadt zunächst nicht unbedingt mit ihrem Opernhaus in Verbindung bringen
mag!
Donnerstag, 28. Januar 2016
Glanzvoller Rigoletto an der Mailänder Scala (24.01.2016)
Die erste Wiederaufnahme der laufenden Spielzeit 2015/16 widmete
die Mailänder Scala Giuseppe Verdis Dauerbrenner Rigoletto in einer mehr als
vielversprechenden Besetzung. Das musikalische Interesse richtete sich dabei vor
allem auf Leo Nucci in der Titelrolle, der einmal mehr in eine seiner legendären
Glanzpartien schlüpfte und die Rolle des buckligen Hofnarren mit einer
atemberaubenden Intensität ausstattete, wie ich es selten erlebt habe. Nucci
begann den Abend noch ein wenig zurückhaltend, fand jedoch schnell zu
stimmlicher und darstellerischer Bestform, die kaum einen kalt ließ. Wie dieser
Rigoletto spottete, klagte, weinte und dem Publikum Einblick in seine zutiefst
zerrissene Seele gewährte, das war einfach phänomenal. Dabei beeindruckte der
Sänger einmal mehr durch seine ausgezeichnete Technik, welche fast vergessen
machte, dass sich der große Sänger im fortgeschrittenen Stadium seiner Karriere
befindet und die einst so frische Stimme leicht spröde geworden ist. So gerieten
Rigolettos Cortigiani-Arie und das folgende Duett mit Gilda zu einem
wahren Höhepunkt. Dazu trug auch die junge Nadine Sierra bei, die mit ihrem
glockenhellen Sopran nicht nur ein wunderbares "Caro Nome" sang sondern
auch in dem den zweiten Akt beschließendem Rache-Duett "si Vendetta" zu einer
dermaßen mitreißenden Fulminanz gelangte, dass dieses vor
dem Vorhang zu Beginn der zweiten Pause wiederholt werden musste. Nicht
mithalten mit diesem hohen Niveau konnte Vittorio Grigolo als Duca: ein paar
schöne Spitzentöne bei La Donna è Mobile konnten nicht darüber
hinwegtäuschen, dass dieser Sänger an einem ersten Haus wie der Scala im Grunde
nichts verloren hat: sein meckerndes Timbre, das mich an ein Spielzeug aus
meiner Kindheit erinnerte, bei dem man ziehen musste und dann eine Stimme auf
Italienisch sagte: "La Pecora fa Beeeeee", sowie sein
undifferenziertes Dauerforte ließen bereits bei "Questa o Quella"
Schlimmstes für den weiteren Abend befürchten, was leider auch so eingelöst
wurde. Grigolos Auftreten, das an einen eitlen aufgeblasenen Pfau erinnerte,
trug im Übrigen zu meiner Antipathie gegen diesen Sänger bei und wird der Rolle auch nicht gerecht. Ein wunderbares
mörderisches Geschwisterpaar waren Carlo Colombara als Sparafucile und Annalisa
Stroppa als herrlich sinnliche Maddalena. Giovanni Furlanetto dagegen
verschenkte seine beiden Auftritte als Monterone. Da klang vieles zu
leichtgewichtig, um die Bedeutung dieser Szenen zu verdeutlichen. Sehr schön
hatte Nicola Luisotti das Orchester einstudiert, bei dem die einzelnen
Instrumenten-Gruppen wunderbar herausgearbeitet waren, der Chor war von Bruno Casoni
bestens präpariert. Die Scala hatte für diese Serie ihre altbewährte
Rigoletto-Inszenierung von 1994 durch Gilbert Deflo wiederaufgenommen. Dieser
schreibt im Programmheft, dass er einzig dem Werk dienen wolle - was auf
wunderbar unaufgeregte Weise passiert. Alles ergibt sich aus der Musik - der
Sänger steht im Mittelpunkt des Geschehens. Ezio Frigerios große Bühnenräume sind
wunderschön anzusehen, bewegen sich zwischen Realismus und angedeuteter
Abstraktion und entführen einen in die Zeit der italienischen Renaissance, in der das Stück spielt. Auch das Gewitter des dritten Aktes wird mit Regen, Blitz
und Donner meisterhaft umgesetzt, allerdings hätte ich auf den Kunstrasen in
diesem Akt gerne verzichtet. Ein wahres Fest für die Augen sind Franca
Squarciapinos opulente, historisch korrekte Kostüme. Auch wenn die Inszenierung in einigen Details
nicht die Perfektion eines Franco Zeffirelli erreicht, bietet diese wohl letzte
richtige Rigoletto-Inszenierung der Welt alles, was es für einen gelungenen
Opernabend braucht. "Che bella serata" meinte neben mir eine Dame beim Verlassen der Scala begeistert. Dem möchte ich gerne beipflichten. Der ungetrübte Jubel am Ende
richtete sich dabei nicht nur an die Sänger, sondern vor allem an Giuseppe
Verdi, dessen Ehre in düsteren Regietheater-Zeiten wieder rehabilitiert
wurde.
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Giovanni Furlanetto; Gilbert Deflo; Bruno Casono; Nicola Luisotti; Ezio Frigerio,
Leo Nucci; Rigoletto; Scala; Milano,
Vittorio Grigolo; Nadine Sierra; Carlo Colombara; Annalisa Stroppa
Mittwoch, 6. Januar 2016
Fantastische La bohème an der Münchner
Staatsoper
Die ausverkaufte Bayerische Staatsoper bot am gestrigen Tag wieder einmal eine Aufführung, die dem guten Ruf dieses Hauses alle Ehre machte, was man bei vielen der letzten Produktionen eher nicht hatte feststellen können.
Asher Fisch dirigierte das
gewohnt souverän spielende Staatsorchester gerade anfangs zu
sänger-unsensibel, aber die hervorragende Qualität dieses
Klangkörpers machte es dennoch möglich, Puccinis Meisterwerk auch
orchestral genießen zu können.
Die amerikanische Sopranistin Kristin Lewis gestaltete die tragische Rolle der Mimì sowohl stimmlich als auch darstellerisch sehr ansprechend; ihr eher dunkler, voller Sopran kam besonders im dritten Akt zur Geltung und „Donde lieta uscì“ gelang ihr sehr anrührend und dramatisch, ohne übertrieben sentimental zu wirken. Eine bescheidene, liebenswürdige Näherin, deren ganze Freude die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings sind und die Rodolfos Herz im Sturm erobert – genau dies konnte Lewis mit ihrer bewusst zurückhaltenden, aber sehr durchdachten Interpretation vermitteln. Der üppige Schlussapplaus würdigte ihre Leistung völlig zu Recht.
Die Musette der Kanadierin Joyce El-Khoury geriet ebenfalls zu einem wunderbaren Rollenbild der launischen, aber betörenden Grisette, nach der sich alle Männer verzehren, wenn sie nur eine Straße entlang geht. Anfangs etwas schrill (doch zu dem einmaligen Auftritt gut passend), gelang ihr das „Quando m'en vo“ ganz hervorragend. Im Quartett des dritten Aktes hatte sie dann noch einmal Gelegenheit, ihre stimmlichen Fähigkeiten sehr überzeugend zur Geltung zu bringen. Auch darstellerisch beglückte die köstliche Szene mit Marcello, die mit den bekannten, wenig schmeichelhaften Bezeichnungen endet.
Der aus der Ukraine stammende Tenor Dmytru Popov war ein großartiger Rodolfo mit strahlenden Spitzentönen, einer kräftigen Mittellage und einer stilistisch sehr geschmackvoll geführten Stimme, die keine Wünsche offen ließ. Den Wettkampf mit Asher Fischs Staatsorchester konnte er nicht immer für sich entscheiden, aber der Sieg bei einem so ungleichen Kräftemessen ist auch von keinem Sänger zu erwarten. Von vielen, wesentlich bekannteren „Stars“ würde man sich jedenfalls eine solche (auch darstellerisch natürliche und ansprechende) Interpretation wünschen.
Markus Eiche als unglücklich
liebender Marcello, dem die Schönheit und Launenhaftigkeit Musettes
so zu schaffen machen, gestaltete die Rolle mit seinem kräftigen,
wohltimbrierten Bariton hervorragend; ein echter Hörgenuss war das
wunderbare Duett des vierten Aktes, in dem beide Künstler ihren
großen Lieben Mimì und Musette nachtrauern.
Andrea Borghini (Schaunard) und
Goran Joric (Colline) komplettierten das leidenschaftliche
Künstlerensemble ebenfalls sehr überzeugend.
Otto Schenk hat einmal die
Aufgabe des Regisseurs in der ihm eigenen, unnachahmlichen Art und
Weise so beschrieben: „Keinen eigenen Käse machen“. Diesem Motto
folgt seine nun schon seit 1969 an der Bayerischen Staatsoper zu
bewundernde, absolut stimmige Inszenierung, die das Werk – entgegen
heutiger Standardpraxis – nicht verfälscht, nicht verbiegt und
verhöhnt, sondern schlicht und einfach zur Geltung bringt. Ein
perfektes Werk wurde zum Leben erweckt, und zwar ganz ohne diverse
„Verschlimmbesserungen“ diverser Werk-oder Weltverbesserer, als
die sich heutige Regisseure so gern gerieren. Und siehe da – es
funktionierte! Der spontane Applaus beim Aufgehen des Vorhangs im
zweiten und das zusätzliche bewundernde Raunen beim Anblick des
dritten Akt waren beredte Zeugnisse dafür, dass das Publikum
keineswegs so dumm ist, wie es sich viele Regisseure und Intendanten
in ihrer Borniertheit einbilden, andererseits aber auch einen
offensichtlichen Mangel an solchen Inszenierungen zu beklagen hat.
Vor der Kulisse der detailverliebten Bühnenbilder Rudolf Heinrichs,
die übrigens Zitate seiner an der Komischen Oper Berlin unter der
Regie Walter Felsensteins aufgeführten Bohème sind, entfaltet sich
die Kunst einer äußerst gelungenen, aber nie aufdringlichen oder
unpassenden Personenregie. Ganz besonders war dies in den
Massenszenen im zweiten Akt zu spüren. Das bunte Gewusel des
Quartier Latin und mittendrin das tragikkomische Geschehen um
Musette, Marcello und Alcindoro, die melancholische Stimmung der
Barriere Enfer, der Gegensatz zwischen den anrührenden
Liebesschwüren Mimìs und Rodolfos und dem eifersüchtigen Gezänk
zwischen Musette und Marcello, die nahezu kindliche Ausgelassenheit
der vier Künstler, die außer einem Hering zwar nichts zu beißen,
aber dennoch genug Fantasie für übermütige Rollenspiele haben und
der abrupte Einbruch des Todes in diese Ausgelassenheit - genau
dies ist es, was in der Musik Puccinis zum Ausdruck kommt und so
visualisiert werden sollte.
Und genau dies ist Otto Schenk
gelungen.
Ein großartiger Opernabend, den das Publikum verdientermaßen mit begeistertem Applaus bedachte. So kann es weiter gehen, liebe Bayerische Staatsoper!
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Andrea Borghini,
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