Längst ist es nicht mehr so, dass ein
Weltopernhaus wie die Met für uneingeschränkte stimmliche und
regieliche Qualität steht, und mittlerweile ist es wohl Alltag, dass
neben gesanglichen Höchstleistungen auch Fehlbesetzungen gang und
gäbe zu sein scheinen. Doch der Reihe nach.
David McVicars Inszenierung
belässt Norma im Druidenwald und verzichtet erfreulicherweise auf
die sonst bei dieser Oper schon fast zum Standard gehörenden
SS-Schergen, Maschinengewehre und sonstigen Kokolorus, den heutige
„Regisseure“ so lieben. Nein, es gibt richtige gallische Krieger,
die just Vercingetorix' Armee entsprungen zu sein scheinen. Irminsuls
Eiche für Normas Casta Diva gibt es ebenso wie Sichel und
Mistel; desgleichen sind Normas Gemächer mit Liebe zum Detail
ausgestattet, und das Schlussbild beeindruckt mit prächtigem
Farbspiel der rotglühenden Flammen, welche die nun Wieder-Vereinten
Norma und Pollione verzehren. Man hätte sich stellenweise mehr Licht
und überhaupt eine einfallsreichere Lichtregie gewünscht, aber dies
sei angesichts eines wirklich gut geratenen Regieansatzes für dieses
so oft missbrauchte Werk geschenkt.
Umso mehr überrascht es, dass bei so
einer Detailgenauigkeit Adalgisa nicht nur mit perfekt lackierten
Fingernägeln, sondern auch mit einer flotten, hochmodernen
Kurzhaar-Frisur daherkommt, die anscheindend frisch vom Starcoiffeur
Udo Walz kreiert worden ist, der nun wohl auch in Gallien eine
Filiale eröffnet hat. Nun ja, Perücken scheinen wohl leider ganz
aus der Mode gekommen zu sein, und diese neue Manie, dass jeder mit
privatem Haupthaar auftreten muss, egal, ob es nun rollengemäß ist
oder nicht, erfuhr mit Joyce DiDonatos Frisur einen sehr
zweifelhaften Höhepunkt.
In der Titelrolle brillierte Sondra
Radvanovsky mit einer Darbietung ihrer wirklich beeindruckenden
Gesangstechnik. Wenngleich ihre Mittellage leicht scheppernd und
etwas abgesungen erscheint, sind doch die Höhen sternenklar,
dramatisch und in allen dynamischen Schattierungen zu haben und
werden durch ein fantastisches Brustregister ergänzt. Stellenweise
verfällt sie in ein sehr an die Callas erinnerndes, bedrohliches
Gurren, was der Rolle sehr zugute kommt. Zudem verleiht sie durch
ihre kluge Gestaltung, ihre durchdachten Bewegungen und Blicke der
Rolle eine Würde, die man heute oftmals vergeblich sucht.
Joyce DiDonato in der Rolle der
Novizin Adalgisa steht ihrer „Chefin“ Norma in nichts nach. Ihr
herrlicher Mezzosopran, der wie aus einem Guss klingt, war gerade im
berühmten Mira o Norma ein absoluter Ohrenschmaus. Sie
beherrscht alle Finessen, sie kann flehen, bitten, jammern, ohne
jemals dem Belcanto abtrünnig zu werden. Schade, dass ihre völlig
unpassende Frisur diesen akustischen Genuss nicht auch optisch
ergänzen konnte. Zudem störte ihr stellenweise recht hyperaktives
Spiel, und gerade in der Szene des ersten Aktes, in der sie Norma
aufsucht, um dieser ihr Herz auszuschütten, hätte man sich
gewünscht, dass in einer der vielen schönen Amphoren in Normas
Behausung ein wenig Ritalin für Ms DiDonato zu finden gewesen wäre.
Pollione ist eine undankbare Rolle – ein treuloser, verräterischer Liebhaber, dem sogar seine beiden Kinder egal sind, und zudem noch ein römischer Usurpator. Das Schöne an Opern ist aber ja gerade, dass selbst die gemeinsten Schurken noch die schönsten Melodien singen, und was die Kantilenen anbetrifft, ist Bellini nun einmal der unangefochtene Sieger, worin sich sogar Verdi und Wagner einig waren, welche die „Norma“ gleichermaßen hoch schätzten. Schmerzlich ist jedoch, wenn eine Rolle so unangemessen besetzt ist, wie es diesmal mit Joseph Calleja geschah.
Sicher, es gibt lyrische Tenöre, die
ins dramatischere Fach wechseln, aber auf Calleja trifft dies nun
wahrlich nicht zu. Bellinis erster Pollione Domenico Donzelli gehörte
zu den sogenannten Baritenori, also einem Sängertypus mit baritonal
gefärbtem, bronzenem Timbre, wie es auch Caruso besaß. Für so
einen Tenor wurde diese Rolle geschrieben, nicht aber für einen Duca
di Mantova, der sich auf Urlaub in Gallien als römischer Offizier
verkleidet hat. Nach seinem Meco all'altar di Venere wünschte
man sich für die folgende Cabaletta den Druiden Miraculix herbei,
der Calleja eine große Portion seines Zaubertranks einflößt oder
ihn gleich ganz in Franco Corelli oder wenigstens Jon Vickers
verwandelt. Doch leider geschah das nicht – das hohe C der
Cabaletta wurde kurz angetippt, riss ab und war weg. Überhaupt singt
Calleja seltsam emotionslos und unbeteiligt, und im wunderbaren Va
crudele mit Aldagisa war er neben DiDonato gar nicht mehr zu
hören, desgleichen, wenn er sich mit Radvanovsky zu messen hatte.
Ein sehr ungleicher Kampf. Da nützen auch keine ansehnlichen Piani
im Schlussduett mit Norma. Pollione ist weder Edgardo di Ravenswood
noch Arturo Talbo, es gibt so gut wie gar keine Koloraturen, dafür
aber umso mehr Dramatik. Es scheint aber auch dies ein Tick unserer
Zeit zu sein, Spinto-Rollen mit viel zu lyrischen Tenören zu
besetzen, und in einer (Opern)welt, in der Pjotr Beczala (!) und
Klaus-Florian Vogt (!) sich an Wagner (!) versuchen, erscheint
Calleja eben als Pollione. Demnächst hören wir Vittorio Grigolo
vielleicht als Siegfried, wer weiß...
Warum nur wissen manche lyrischen Tenöre ihr Talent, ihre Gaben und ihre Stimmen nicht zu schätzen und müssen um jeden Preis dramatische Rollen singen?
Warum nur wissen manche lyrischen Tenöre ihr Talent, ihre Gaben und ihre Stimmen nicht zu schätzen und müssen um jeden Preis dramatische Rollen singen?
Matthew Rose in der Rolle des
Priesters Oroveso, war für ein Haus wie die Met völlig
unzureichend, wohingegen die wenigen Passagen der Clotilde von
Michelle Bradley sehr vielversprechend waren und man Bellini fast ein
wenig grollte, dass er ihre Rolle nur mit so wenig Gesang bedacht
hat.
Carlo Rizzi ehrte Bellini mit
seinem gefühlvollen, aber auch leidenschaftlichen und ganz dem
Belcanto verpflichteten Dirigat, ebenso waren Chor und Orchester die
Garanten für bekannte und geschätzte Qualität.
Insgesamt eine beachtliche
Aufführung ohne Regiewahnsinn und mit mehrheitlich
toller Besetzung.