Samstag, 7. Oktober 2017

Überraschende Norma aus der Metropolitan Opera (7.10.)


Längst ist es nicht mehr so, dass ein Weltopernhaus wie die Met für uneingeschränkte stimmliche und regieliche Qualität steht, und mittlerweile ist es wohl Alltag, dass neben gesanglichen Höchstleistungen auch Fehlbesetzungen gang und gäbe zu sein scheinen. Doch der Reihe nach.

David McVicars Inszenierung belässt Norma im Druidenwald und verzichtet erfreulicherweise auf die sonst bei dieser Oper schon fast zum Standard gehörenden SS-Schergen, Maschinengewehre und sonstigen Kokolorus, den heutige „Regisseure“ so lieben. Nein, es gibt richtige gallische Krieger, die just Vercingetorix' Armee entsprungen zu sein scheinen. Irminsuls Eiche für Normas Casta Diva gibt es ebenso wie Sichel und Mistel; desgleichen sind Normas Gemächer mit Liebe zum Detail ausgestattet, und das Schlussbild beeindruckt mit prächtigem Farbspiel der rotglühenden Flammen, welche die nun Wieder-Vereinten Norma und Pollione verzehren. Man hätte sich stellenweise mehr Licht und überhaupt eine einfallsreichere Lichtregie gewünscht, aber dies sei angesichts eines wirklich gut geratenen Regieansatzes für dieses so oft missbrauchte Werk geschenkt.

Umso mehr überrascht es, dass bei so einer Detailgenauigkeit Adalgisa nicht nur mit perfekt lackierten Fingernägeln, sondern auch mit einer flotten, hochmodernen Kurzhaar-Frisur daherkommt, die anscheindend frisch vom Starcoiffeur Udo Walz kreiert worden ist, der nun wohl auch in Gallien eine Filiale eröffnet hat. Nun ja, Perücken scheinen wohl leider ganz aus der Mode gekommen zu sein, und diese neue Manie, dass jeder mit privatem Haupthaar auftreten muss, egal, ob es nun rollengemäß ist oder nicht, erfuhr mit Joyce DiDonatos Frisur einen sehr zweifelhaften Höhepunkt.

In der Titelrolle brillierte Sondra Radvanovsky mit einer Darbietung ihrer wirklich beeindruckenden Gesangstechnik. Wenngleich ihre Mittellage leicht scheppernd und etwas abgesungen erscheint, sind doch die Höhen sternenklar, dramatisch und in allen dynamischen Schattierungen zu haben und werden durch ein fantastisches Brustregister ergänzt. Stellenweise verfällt sie in ein sehr an die Callas erinnerndes, bedrohliches Gurren, was der Rolle sehr zugute kommt. Zudem verleiht sie durch ihre kluge Gestaltung, ihre durchdachten Bewegungen und Blicke der Rolle eine Würde, die man heute oftmals vergeblich sucht.

Joyce DiDonato in der Rolle der Novizin Adalgisa steht ihrer „Chefin“ Norma in nichts nach. Ihr herrlicher Mezzosopran, der wie aus einem Guss klingt, war gerade im berühmten Mira o Norma ein absoluter Ohrenschmaus. Sie beherrscht alle Finessen, sie kann flehen, bitten, jammern, ohne jemals dem Belcanto abtrünnig zu werden. Schade, dass ihre völlig unpassende Frisur diesen akustischen Genuss nicht auch optisch ergänzen konnte. Zudem störte ihr stellenweise recht hyperaktives Spiel, und gerade in der Szene des ersten Aktes, in der sie Norma aufsucht, um dieser ihr Herz auszuschütten, hätte man sich gewünscht, dass in einer der vielen schönen Amphoren in Normas Behausung ein wenig Ritalin für Ms DiDonato zu finden gewesen wäre.

Pollione ist eine undankbare Rolle – ein treuloser, verräterischer Liebhaber, dem sogar seine beiden Kinder egal sind, und zudem noch ein römischer Usurpator. Das Schöne an Opern ist aber ja gerade, dass selbst die gemeinsten Schurken noch die schönsten Melodien singen, und was die Kantilenen anbetrifft, ist Bellini nun einmal der unangefochtene Sieger, worin sich sogar Verdi und Wagner einig waren, welche die „Norma“ gleichermaßen hoch schätzten. Schmerzlich ist jedoch, wenn eine Rolle so unangemessen besetzt ist, wie es diesmal mit Joseph Calleja geschah.

Sicher, es gibt lyrische Tenöre, die ins dramatischere Fach wechseln, aber auf Calleja trifft dies nun wahrlich nicht zu. Bellinis erster Pollione Domenico Donzelli gehörte zu den sogenannten Baritenori, also einem Sängertypus mit baritonal gefärbtem, bronzenem Timbre, wie es auch Caruso besaß. Für so einen Tenor wurde diese Rolle geschrieben, nicht aber für einen Duca di Mantova, der sich auf Urlaub in Gallien als römischer Offizier verkleidet hat. Nach seinem Meco all'altar di Venere wünschte man sich für die folgende Cabaletta den Druiden Miraculix herbei, der Calleja eine große Portion seines Zaubertranks einflößt oder ihn gleich ganz in Franco Corelli oder wenigstens Jon Vickers verwandelt. Doch leider geschah das nicht – das hohe C der Cabaletta wurde kurz angetippt, riss ab und war weg. Überhaupt singt Calleja seltsam emotionslos und unbeteiligt, und im wunderbaren Va crudele mit Aldagisa war er neben DiDonato gar nicht mehr zu hören, desgleichen, wenn er sich mit Radvanovsky zu messen hatte. Ein sehr ungleicher Kampf. Da nützen auch keine ansehnlichen Piani im Schlussduett mit Norma. Pollione ist weder Edgardo di Ravenswood noch Arturo Talbo, es gibt so gut wie gar keine Koloraturen, dafür aber umso mehr Dramatik. Es scheint aber auch dies ein Tick unserer Zeit zu sein, Spinto-Rollen mit viel zu lyrischen Tenören zu besetzen, und in einer (Opern)welt, in der Pjotr Beczala (!) und Klaus-Florian Vogt (!) sich an Wagner (!) versuchen, erscheint Calleja eben als Pollione. Demnächst hören wir Vittorio Grigolo vielleicht als Siegfried, wer weiß...
Warum nur wissen manche  lyrischen Tenöre ihr Talent, ihre Gaben und  ihre Stimmen nicht zu schätzen und müssen um jeden Preis dramatische Rollen singen?

Matthew Rose in der Rolle des Priesters Oroveso, war für ein Haus wie die Met völlig unzureichend, wohingegen die wenigen Passagen der Clotilde von Michelle Bradley sehr vielversprechend waren und man Bellini fast ein wenig grollte, dass er ihre Rolle nur mit so wenig Gesang bedacht hat.

Carlo Rizzi ehrte Bellini mit seinem gefühlvollen, aber auch leidenschaftlichen und ganz dem Belcanto verpflichteten Dirigat, ebenso waren Chor und Orchester die Garanten für bekannte und geschätzte Qualität.

Insgesamt eine beachtliche Aufführung  ohne Regiewahnsinn und mit mehrheitlich toller Besetzung.