Donnerstag, 23. November 2017

Wie man sich in eine Oper neu verliebt - Turandot an der Met

Wie heißt das Hassobjekt Nr.1 der Regietheater-Mafia? Richtig, Franco Zeffirelli! Und warum wird dieser wunderbare Regisseur von den Regietheater- Leuten so gehasst und verachtet? Weil er ihnen gefährlich wird. Weil sie wissen, dass sie mit ihrem Müll niemals so erfolgreich sein werden wie seine Inszenierungen, welche sich zum Teil Jahrzehnte oder sogar ein halbes Jahrhundert im Repertoire verschiedener Opernhäuser gehalten haben und sich immer noch größter Beliebtheit beim Publikum erfreuen, so wie am ersten Tag.

Und das ist für die mafiösen Strukturen, die das Regietheater in Europa etabliert hat, eben gefährlich. Deswegen versucht die Regietheater-Mafia überall dort, wo sie das Sagen hat, die Inszenierungen von Franco Zeffirelli abzusetzen, denn sie fürchten, dass die übermächtige Erinnerung an diese Meisterwerke der Regie ihr eigenes Nichtkönnen in den Schatten stellen  und in Bedeutungslosigkeit verkommen lassen wird.
Die Jugend soll diese richtige Form der Oper niemals kennenlernen und stramm linientreu im Sinne des Regietheaters erzogen werden. Wenn man jedoch einmal eine so großartige Inszenierung wie die von Turandot durch Franco Zeffirelli an der MET erlebt hat oder gar - so wie - ich das Glück hatte, mehrere seiner Inszenierungen an verschiedenen Spielorten live mitzuerleben, wird man immun gegen die Indoktrinierungen des Regietheaters und erkennt darin nichts weiter als des Kaisers neue Kleider.
Ich hatte Mitte November die Gelegenheit, Franco Zeffirellis Produktion von Puccinis Turandot live auf der Bühne der Metropolitan Opera in New York miterleben zu dürfen und muss nun für mich sagen, dass es ab jetzt schwierig wird, eine andere Inszenierung jemals zu akzeptieren, denn die Met-Produktion war so  mustergültig, dass es schwierig wird, dieses Niveau wieder zu erreichen. Schon beim Betreten des Opernhauses fiel einem die festliche Atmosphäre auf, zu der das internationale Publikum pilgerte. Alles schien in der frohen Erwartung, dass an diesem Abend etwas ganz Besonderes stattfinden würde. Voller Vorfreude nahm man im Zuschauerraum Platz und sah den prunkvollen goldenen Vorhang, der noch die Bühne bedeckte.
Als es kurz nach 8 Uhr im Saal dunkel wurde und der Dirigent unter Applaus ans Pult trat, hielt man in gespannter Erwartung den Atem an. Majestätisch dirigierte Carlo Rizzi die einleitenden Akkorde, während der goldene Vorhang kunstvoll nach seitlich und oben gezogen wurde. Die Bühne war eine wahre Augenweide. Man sah einen klassisch gemalten Prospekt im Hintergrund, während sich an den Seiten die Hütten der armen chinesischen Bevölkerung befanden. Der Chor stand als düstere gesichtslose Masse auf der Bühne, blieb jedoch dank der ausgezeichneten Chorregie Zeffirellis immer in Bewegung. So wurden ganz im Einklang mit der Musik immer wieder zahlreiche kleine individuelle Geschichten erzählt. Ein wahres Heer aus Statisten und Akrobaten brachte wiederholt Farbe in die dunkle monumentale Szenerie und setzte so vermehrt optische Akzente und Überraschungen. Die Protagonisten waren auf beeindruckende Weise immer von den Chormassen und Statisten abgrenzbar und für den Zuschauer klar im Fokus.
 Zeffirelli tat nichts anderes, als das auf die Bühne zu bringen, wozu ihn Partitur und Libretto verpflichtet haben, als er einwilligte, diese Oper zu inszenieren. Er hat nämlich im Gegensatz zu manch pseudointellektueller Pappnase begriffen, dass die Regieanweisungen genauso Teil der Partitur sind wie die Noten. Es ist bezeichnend, dass man eine Selbstverständlichkeit wie diese hier extra erwähnen muss. Die Personenregie war immer ganz genau im Einklang der Musik und äußerst sensibel gezeichnet. Es war beeindruckend mit anzusehen, wie beim stummen Auftritt des Prinzen von Persien der Palast der Turandot plötzlich im Bühnenhintergrund aus dem Nebel auftauchte  und man darin die eiskalte Prinzessin, umgeben von ihren Dienerinnen, auf einem Diwan liegen sah, von wo aus sie das Zeichen zur Hinrichtung gab.

Das Bühnenbild des zweiten Aktes stellte - ebenfalls librettogemäß - einen dreiteiligen Pavillon mit den Ministern Ping, Pang und Pong dar.
 Als nun am Ende dieser Szene der Kaiserpalast in strahlendem Gold auftauchte, erschien das aus den Plakaten der Metropolitan Opera wohlbekannte Bild. Regietheater-Jünger haben an ihm immer wieder ausgesetzt, dass Zeffirelli ja in dieser Szene den Vorgaben des Librettos nicht gefolgt sei, da die dort verlangte Treppe, auf der Turandot hinabsteigt, so nicht vorkommt. Aber, liebe Regietheater-Knalltüten: Ätsch! Wer sehen kann, ist klar im Vorteil, denn die Treppe gibt es, genauso wie im Libretto gefordert. Der Kaiserpalast steht nämlich gegenüber dem Bühnenboden stark erhöht auf einem Sockel, und die Treppe führt von hinten oben schräg nach vorne unten. Und Prinzessin Turandot darf sie bei ihren Fragen genauso hinunter schreiten, wie es sein soll.

Haltet doch einfach die Klappe und akzeptiert, dass es andere besser können als ihr. Kommt Kunst nicht vom Können? Erwähnenswert ist auch, dass begeisterter Applaus spontan aufbrandete, als diese wunderbare goldene Szenerie zum ersten Mal auf der Bühne sichtbar wurde, Chorsänger und Statisten waren in prächtige, fantasievolle Kostüme gekleidet, so dass man aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam. Zeffirellis langjährige Kostümbildnerin, die 1987 verstorbene Anna Anni, hatte gemeinsam mit Dada Saligeri wirklich ganze Arbeit geleistet.

Nach einer weiteren Pause begann der dritte Akt. Wie im Libretto gefordert, befand man sich nun in einem nächtlichen chinesischen Garten, in welchem  Calaf sein berühmtes Nessun Dorma sang. Abermals ergänzten sich traditionell gemalte Prospekte und gebaute Elemente des Bühnenbildes perfekt, und auch auch die Ausleuchtung der Szene war optimal gelungen.  Als die Prinzessin bekanntgab, dass der Name des Fremden Liebe sei, brach das umstehende Volk in Jubel aus, Glitter fiel von oben herab und der Vorhang fiel unter dem überwältigenden Jubel des Publikums.

Wann hat man in Regietheater-vergifteten Zeiten so etwas zuletzt gesehen?

Kommen wir nun zu den wunderbaren Sängern, die dieser mustergültigen Inszenierung erst zur vollen Wirkung verhalfen.
In der kurzen, aber ungemein anspruchsvollen Titelrolle bewies die Ukrainerin Oksana Dyka vom ersten Ton an ganz großes Format. Auch optisch entsprach sie genau dem, was man sich unter der Turandot vorstellt. So schleuderte sie mit ihrer riesigen Stimme und scheinbar grenzenlosem Tonumfang die gefürchtete Auftrittsarie „In questa reggia“ mit eisiger Kälte ins Auditorium. Man folgte ihrem Vortrag mit angehaltenem Atem. Im Verlauf des Abends bewies Dyka jedoch auch, dass sie zu wärmeren Farben und wunderschön im Piano ausgesungenen Phrasen wie in dem von Franco Alfanos komplettierten Finale fähig war. So gelang die Wandlung der Prinzessin aus Eis zur liebenden Frau musikalisch bestens. Mit dem lettischen Tenor Aleksandrs Antonenko hatte ich bisher keine guten Erfahrungen gemacht. Ich habe ihn des öfteren in München und Zürich erlebt und erinnerte mich an eine belegte, angestrengte Stimme. Entsprechend skeptisch war ich, als ich seinen Namen in der Besetzungsliste sah. Aber wie man sich täuschen kann! Als Calaf wirkte dieser Tenor wie verwandelt und begeisterte fast uneingeschränkt. Hatte ihn die grandiose Inszenierung zu dieser Höchstleistung animiert und inspiriert? Die Stimme Antonenkos war voller Strahlkraft mit ihrem metallischen Timbre und meisterte fast alle hohen Anforderungen dieser schwierigen Rolle mühelos. Auch die leiseren, lyrischen Passagen seiner Rolle wie das „Non piangere Liu“ waren gefühlvoll und sensibel interpretiert; das berühmte „Nessun Dorma“ klang strahlend heldisch und unangestrengt. Dankenswerterweise hatte man an der Met nicht die Unsitte übernommen, für diese Arie den Konzertschluss zu verwenden, um dem Publikum die Möglichkeit für störenden Applaus zu geben. Wir sind ja schließlich an der Met und nicht bei Paul Potts! Dass man den Calaf insgesamt vielleicht etwas kultivierter singen könnte, bleibt bei einer so mitreißenden Interpretation Kritik auf sehr hohem Niveau. Sehr zart und berührend gestalte Hei-Kyung Hong, Urgestein an der Metropolitan Opera, die treue Sklavin Liu. Ihre Arie im ersten Akt, sowie ihre Todesszene „Tu, che di gel sei cinta“ wurden wahrlich herzergreifend mit warmem lyrisch-strömendem Sopran gesungen. Luxuriös besetzt war auch Calafs Vater, der blinde Tataren-König Timur mit Giorgi Kirof, der mit balsamischem, warmem Bass auf bewegende Weise um Liu trauerte. Stimmlich ausgezeichnet und spielfreudig-komödiantisch präsentierte sich das Minister-Trio aus Ping, Pang und Pong mit Alexey Lavrov, Toni Stevenson und Eduardo Valdes. In ihren kurzen Rollen als düsterer Mandarin und Imperatore Altoum, konnten Jeongcheol Cha und Ronald Naldi nachhaltig auf sich aufmerksam machen. Der Chor der Metropolitan Opera war phantastisch von Donald Palumbo einstudiert, ich habe den Chorpart dieser Oper selten so textverständlich gehört. Als er am Ende des Trauermarsches „Oblia! Liù...Poesia!“, den letzten von Puccini komponierten Worten, hauchte, war das ein absoluter Gänsehautmoment, die von Carlo Rizzi lange ausgekostete Generalpause danach ein wahrer Moment des Innehaltens. Am Pult des Orchesters der Metropolitan Opera sorgte Rizzi für eine spannende, vorwärtsdrängende Interpretation,so dass einem schier der Atem stockte. Am Ende stehende Ovationen und viele Blumensträuße für die ebenfalls berührten und glücklichen Sänger. Was für ein Abend! Leider waren meine Ferien bereits am Tag darauf beendet und ich musste die Heimreise nach Europa antreten.