Donnerstag, 15. Februar 2018

Idomeneo in Zürich - So kann man seine Lebenszeit auch verschwenden!

Was für eine verquirlte Ka**e! So enttäuscht wie gestern war ich, glaube ich, noch nie nach einer Opernaufführung, es war für mich das erste Mal, dass ich eine Opernaufführung in der Pause verlassen habe. Aber nun mal der Reihe nach: Mit zwei Arbeitskollegen wollte ich an der Züricher Oper einen netten Abend verbringen. Schlimmer als manch andere Sauerei an diesem Haus in den letzten Jahren wird es schon nicht werden. Dachte ich zumindest. Aber erneut wurde man eines Besseren belehrt. Bereits die Premierenkritiken waren diesmal sogar in den zahlreichen Regietheater-freundlichen Online-Portalen recht bescheiden gewesen, man ging mit gemischten Gefühlen in diesen Idomeneo.
Ein schmuddeliger Zwischenvorhang bedeckte zunächst die Szene, der sich nach der Ouvertüre hob. Prinzessin Ilia im modernen Sekretärinnen-Look trauerte in einem schmuddeligen Holz-Einheitsraum an der Särgen ihrer Familie. Hach, wie ergreifend. Klar, macht ja großen Sinn, dass der König Idomeneo erst die trojanische Königsfamilie ermorden  und dann die Särge wohl in einem Staatsakt nach Kreta überführen ließ. Dann kam Idamante hinzu, ebenfalls im schmuddeligen Business-Look. Hatte man gehofft, Hanna-Elisabeth Müllers schrill intoniertes «Padre, germani, addio…» sei in dieser Form der Anfangsnervosität geschuldet, wurde man beim Auftritt von Anna Stephany als Idamante eines Besseren belehrt. Da hatte sich wirklich ein Paar gefunden, das nicht sang, sondern für den Rest des Abends jaulte. Kaum eine Hand rührte sich nach den Arien zum Applaus.
Dann kam ein schmuddelig kostümierter Chor hinzu, die Kostümabteilung hatte offenbar den nächsten Kleider-Entsorgungscontainer geplündert. Man sah aus wie auf der Akutstation der nächsten Wald-und-Wiesen-Psychiatrie. Nur Elettra trug einen eleganten Hosenanzug. Während ihrer ersten Arie musste man mit ansehen, wie sich im Hintergrund ihre Eltern Klytämnestra und Agamemnon grausam massakrierten. Die gute Guanqun Song mühte sich dabei stimmlich halbwegs erfolgreich um etwas stimmliche Authentizität, wirkte aber in dem runtergekommenen Setting wie verloren. Und weiter ging's.
Idomeneo wurde an Land gespült, die Rezitative, die seine Rettung aus Seenot und seinen inneren Konflikt verdeutlichten,  wurden auf völlig willkürliche und unmusikalische Weise gestrichen. Seine Begegnung mit Idamante war vollkommen unmotiviert und von der inkompetenten Regisseuse Jetske Mijnssen total kaputt inszeniert worden. Dann schleppte der Chor runde Tische auf die Bühne und sang das stark gekürzte Chor- Intermezzo. Der Marsch des Intermezzos war……gestrichen.
Sodann sang Ayram Hernandez mit wunderbar strahlendem Tenor die Arie des Arbace, die erste Arie an diesem Abend, die wirklich glücklich machte. Während er sang, zog sich der Idomeneo um. Natürlich durfte man ihn oben ohne und in Unterwäsche anschauen, kein noch so billiges Regietheater-Klischee wurde in dieser Inszenierung ausgespart. Ilia zeigte daraufhin ihrem Schwiegerpapi in spe die Fotos ihrer ermordeten Familie. Immerhin konnte Frau Müller ihren lyrischen Sopran in dieser zweiten Arie ungehindert strömen lassen, es kam so etwas wie Atmosphäre auf sehr niedrigem Niveau auf.
Dann sang Joseph Kaiser mit rauem, unflexiblem und in der Höhe engem Tenor «Fuor del Mar», einfach nur grausam. Um seinen Zorn zu verdeutlichen fegte er dabei die verbliebenen Fotos von einem der Tische. Toll. Man wusste nicht, ob man lachen oder weinen sollte. Elettra erschien zu ihrer Abfahrt mit einem Koffer (aha: Wir sind beim Regietheater) und packte daraus ein Brautkleid aus. Schließlich kamen aus dem Hintergrund andere Bräute diversen Alters und standen auf den Tischen herum, beglotzt vom Chor, die Bräute begannen zu bluten, alles sah aus, als wäre man in einer Lucia di Lammermoor-Parodie gelandet. Der Abschied von Idomeneo, Idamante und Elettra fand im Sitzen um einen runden Tisch statt, die Grimassen, die die drei schneiden durften, wären zum Lachen gewesen, wäre es nicht so traurig.
Bei der Erscheinung des Seemonsters nahm Idomeneo eine Knarre und fuchtelte damit psychotisch grinsend herum, während sich der hölzerne Bühnenraum über ihm hob.
Zum ersten Mal an diesem Abend wurde die musikalische Wucht dieser Mozartoper aus dem Orchestergraben spürbar. Denn was der Dirigent Giovanni Antonini mit dem tiefgestimmten Orchester in pseudo-historischer Aufführungpraxis geboten hatte, war lauter, verwaschener Einheitsbrei in breiten Tempi. Endlich Pause. Meine Kollegen waren sichtlich ermattet. Für die eine war es der erste Opernbesuch, höchstwahrscheinlich auch der letzte. Um den Abend zu retten, beschlossenen wir, auf den Rest der Oper zu verzichten und den Abend in der benachbarten Belcanto-Bar bei einem Bierchen ausklingen zu lassen, wir plauderten und lachten gut gelaunt, fast war die versaute Oper vergessen. Als wir gingen, war auch die Oper beendet. Man beobachtete, wie sich das sichtlich ermüdete Publikum zur Trambahn schleppte.
Fazit: Wie tief kann ein Opernhaus noch sinken, bevor endlich jemand die Notbremse zieht?


Samstag, 3. Februar 2018

Largo al factotum - Platz da für diesen Barbiere an der Bayerischen Staatsoper!


Fast 30 Jahre gibt es sie nun schon: Ferruccio Soleri's grandiose Inszenierung des Klassikers „Il Barbiere di Siviglia“, und dennoch ist sie frisch und spritzig wie am ersten Tag. Woran das wohl liegt? Vielleicht daran, dass Soleri Rossini's wunderbares Werk seine Wirkung entfalten lässt und auf Zeitverlegungen, scheußliche Farben, hässliche (bzw. nicht vorhandene) Bühnenbilder, Rollstühle, Waschmaschinen und sonstige Standardrequisiten des ach so möchtegern-innovativen „aktuellen“ Regietheaters verzichtet. Das Ergebnis? Ein Dauerbrenner an der Bayerischen Staatsoper, der Jung und Alt fasziniert, zum Lachen bringt und die bekannte Geschichte mit Tempo und Witz erzählt. Bühnenbildner Carlo Tommasi hat die Drehbühne optimal genutzt und lässt ein imposantes Wohnhaus mit typisch barockem Portal von außen und innen erscheinen. Rosinas doppelt vergitterter Balkon (ja, die überflüssige Vorsicht!) fehlt genauso wenig wie eine feinsinnige Lichtregie, die den Wandel vom Morgengrauen, in dem der liebeskranke Graf Almaviva mit extra angeheuerter Kapelle sein Ecco ridente il cielo darbringt, zum strahlenden mediterranen Tag sehr gut nachvollzieht. Die Personenregie steht ganz im Zeichen der Commedia dell'arte, auf deren Stereotypen wiederum auch Rossinis Oper fußt. Den Sängern wird Raum zur Improvisation gegeben, und genau dies tut der Oper sehr gut.

Unter der musikalischen Leitung von Keri-Lynn Wilson, die das Bayerische Staatsorchester leicht und unaufdringlich sowie ohne Tempokapriolen dirigierte, konnte ein beeindruckendes Sängerensemble seine Kunst entfalten. Edgardo Rocha, der als Graf Almaviva wirklich alles daran setzte, seine geliebte Rosina zu gewinnen, sang die schwierige Partie mit lockeren Koloraturen und viel Eleganz, konnte jedoch auch mit durchdringenden Spitzentönen überzeugen. Ebenso konnte er sein komisches Talent in der herrlichen Szene Pace e gioia sia con voi wunderbar zeigen. Schade, dass „Cessa di più resistere“, jene berühmt-berüchtige Bravourarie am Schluss der Oper, nicht auch von Rocha gesungen wurde. Es wäre mit Sicherheit ein Genuss geworden.

Lilly Jørstad als ebenso spielfreudige wie stimmlich brilliante Rosina war eine wirkliche Freude. Ihr schöner Mezzosopran meisterte die Partie mühelos und in ihrer Kavatine Una voce poco fa präsentierte sie die ganze Bandbreite des romantischen, sehr verliebten, aber eben auch sehr gewitzten Mädels, dem man sofort abnimmt, dass es zur „vipera“ wird, wenn man es in die Enge treibt.

Einen schlauen und zu allen möglichen Kniffen bereiten und selbstbewussten Helfer hatte sie im Figaro von Etienne Dupuis, dem man den verschlagenen Barbiere nicht nur in seinem sehr überzeugend dargebrachten Largo al factotum, sondern auch in den Ensembles sofort glaubte. Mit gut sitzendem, voll strömenden Bariton meisterte er die anspruchsvolle Rolle und gerade das Duett mit dem Grafen All'idea di quell'metallo gelang hervorragend. Figaro ist demnach der perfekte Geschäftsmann: Er weiß um seinen Wert und hat keine Skrupel, sich dieses Talent auch gut bezahlen zu lassen.

Renato Girolami als leer ausgehender Dottore Bartolo, der so stark an die Figuren Dottore und Pantalone aus der Commedia dell'arte erinnert, war genau so, wie man sich diesen dünkelhaften Herrn vorstellt. Mit Spielfreude und Witz sowie virtuosem Parlando sang er den so gescheiten Doktor, der alles richtig machen will und letztenendes an seiner eigenen Vorsicht scheitert. Fast könnte man Mitleid mit ihm haben, aber allerdings auch nur fast, denn wenn man einmal gesehen hat, zu welch üblen Intrigen er bereit ist, um Rosina unbedingt heiraten zu können, verfliegt dieses Gefühl wieder. Musiklehrer und Hobbyintrigant Peter Rose als Don Basilio war ihm ein ebenbürtiger Kumpan, dessen berühmte Verleumdungsarie mit sonorem Bass, allerdings mit zuweilen etwas schwachen Höhen gesungen wurde.

Selene Zanetti überzeugte als unzufriedene Haushälterin Berta und der Rest des Ensembles einschließlich Männerchor in wunderschönen Uniformen des 18. Jahrhunderts trug ebenfalls zu einem wirklich gelungenen Abend bei.

Es könnte so schön, so anregend und einfach gut sein, liebe Bayerische Staatsoper. Warum eigentlich nicht immer so? Warum bei jeder eurer Neuproduktionen dieser ständige Kniefall vor dem ebenso blasierten wie inkompetenten Feuilleton und dem billig-primitiven Zeitgeist ? Ihr bekommt Steuergelder und habt einen Bildungsauftrag. Kommt dem gefälligst nach und macht mehr von solchen Produktionen wie diesem Barbiere di Siviglia! Oper, Publikum und Gesellschaft werden es euch danken!