Freitag, 13. Juni 2014

Richard Wagner Festival Wels 2014
 
Heuer feierte das Richard Wagner Festival in Wels sein 25-jähriges Bestehen. Das aus privater Initiative hervorgegangene Festival mauserte sich seit seinem Bestehen von konzertanten Aufführungen der Werke Richard Wagners zu szenischen Produktionen und wurde zum Magnet für Wagnerfreunde aus der ganzen Welt. „Werktreue und künstlerische Qualität“ war und ist das Motto des Festivals, welches sich  dieses Jahr in vier ausverkauften Vorstellungen die Wiederaufnahmen von „Der fliegende Holländer“ und „Lohengrin“ zeigte.
 
Wagners Gespensteroper „Der fliegende Holländer“ wurde von Herbert Adler als solche ernst genommen und umgesetzt. Konsequent erscheint die Figur des Holländers als Geist, was durch sensible Lichtführung dem Betrachter stets vor Augen geführt wird. Diese Auffassung stellt den Sänger vor eine besondere Herausforderung, gilt es doch, die seelische Qual der Rolle und die Beziehung zu Senta heraus zu arbeiten. Wolfgang Brendel löste dies, in dem er seine Baritonpartie mit einem fast lyrischen Ansatz anlegte und so einen Gegensatz zwischen äußerer Erscheinung und Stimme erzeugte. Selten hat man das Duett „Wie aus der Ferne...“ mit solch atemloser Spannung verfolgen können. Astrid Webers dramatischer Sopran ist in solch lyrischen Stellen am überzeugendsten; in den Höhen neigte sie an diesem Abend zu etwas zu schrillen Tönen, die ihr allerdings durch ihre Gesamtmeisterung der Partie, vor allem ist hier die Ballade zu erwähnen, leicht verziehen wurden.
 
Reinhard Hagens Daland hätte schwerlich besser dargeboten werden können. „Mögst du, mein Kind,...“ gehörte zu den Höhepunkten dieses Abends. Herbert Adler durchbrach die Eindimensionalität des Charakters am Ende der Oper nach Sentas Tod, als dieser sich tröstend dem verzweifelten Erik zuwendet, so dass die Figur des gierigen Seemanns hinter die des gebrochenen Vaters zurück treten konnte.
 
Clemens Bieber ist ein Erik, auf den sich das Publikum freut. Die von Wagner bewußt blass angelegte Figur, die oft als Störfaktor mit hohlem Schöngesang wahrgenommen wird, kommt hier zu Glanz und Ehre. Ein echter lyrischer Tenor, der es versteht, auch dieser Partie Leben einzuhauchen.
 
Im Besonderen ist Christian Sturm als Steuermann zu erwähnen. Der junge Tenor ist ein gern gesehener Gast des Festivals und dem Publikum auch aus dem „Tristan“ in guter Erinnerung. „Mit Gewitter und Sturm...“ ist der „Aufmacher“ der Oper, aber oft schnell vergessen, wenn der 3. Akt zu Ende ist. Herbert Adler nahm sich insbesondere dieser Rolle an und sorgte mit vielen schönen Details dafür, dass der Steuermann präsent blieb und bis zum Ende seinen Platz auf der Szene hatte. Ein liebenswertes Charakteristikum für Wels, dass man sich junger Sänger besonders annimmt.
 
Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn unter der Leitung von Jan Ocetec brachte die in der Oper enthaltenen Evergreens mit großer Sicherheit und Wortverständlichkeit über die Rampe, wie man es selten erlebt. Selbst wenn der ganze Chor in Bewegung war, kratzte dies nicht an der Einheitlichkeit des Klanges, wie es manchmal zu beklagen ist.
 
Wels-Veteran Ralf Weikert sorgte mit den Brünner Philharmonikern für den original wagnerschen „Gespensterklang“. Im relativ kleinen Welser Stadtheater gelingt es Weikert immer wieder, das Orchester so zu führen, dass die Singstimmen im Vordergrund bleiben und dennoch die Stellen, die die volle Wucht des Orchesters erfordern, zu ihrem Recht kommen. Weikert feilte sehr an den leisen Stellen und zeigt hier einen fast kammermusikalischen Ansatz. Man konnte bei ihm Instrumente hören, die man ansonsten noch nie wahrgenommen hat.
 
Das Publikum dankte den Mitwirkenden mit endlosem Applaus und zahlreichen Bravo-Rufen.
 
 
Zum zweiten Mal stand in diesem Jahr „Lohengrin“ auf dem Programm. Wagners romantische Oper wird hier vollständig in diesem Sinne inszeniert. Hierbei ist anzumerken, dass Wels durchaus nicht als "Ausstattungstheater" bezeichnet werden kann. Das erste Bild besteht aus einem gebauten Kreis in der Bühnenmitte, dem Sitz König Heinrichs und einer Rampe dem Hintergrund dazu. 
Der Bühnenhintergrund wird von einer Rückprojektionswand begrenzt. Mit diesen Mitteln versteht es der Lichtzauberer Herbert Adler jede benötigte Atmosphäre so unmerklich und fließend zu erzeugen, dass man denken möchte, erheblich mehr auf der Bühne gesehen zu haben, als tatsächlich da war. Im Ganzen bleibt der „Lohengrin“ innerhalb dieser Schlichtheit. Während im Holländer aufwändige Animationen im Hintergrund zum Einsatz kamen; Sturm und Wellen, die beeindruckende Manifestation des Gespensterschiffes und die Erscheinung der Geistermannschaft, muß man erwähnen, dass es bei Lohengrin bei einer ruhigen blauen Wasserfläche im Hintergrund bleibt.  Chor und Sänger stehen im wahrsten Sinne des Wortes im Mittelpunkt.
 
Der Heerrufer des Königs Thomas Berau, dessen Rolle schwerer zu singen ist, als man annehmen möchte, meisterte die Partie, welche manchmal nicht das gebührende Publikumsinteresse zu erwecken vermag, in einer Weise, die ihm viele begeisterte Äußerungen des Publikums einbrachte.
 
Reinhard Hagen wird nicht nur als König Heinrich Herr der zwei Chöre, sondern auch mit seiner Stimme. An dieser Stelle kann gleich erwähnt werden, dass insbesondere die Chor- und Ensemblestellen in dieser Aufführung außerordentlich gelungen sind. Beispielhaft sei hier „Mein Herr und Gott,...“ erwähnt. Man hört diesen Part selten so exakt ausgeführt, es sei denn, auf einer Aufnahme. Hier gelang wirklich ein Klangzauber.
 
Petra Maria Schnitzers Elsa ist am stärksten in den lyrischen Stellen; ihre Stimme verleiht der Rolle die notwendige, überirdische Strahlkraft, die ihre Verbindung zur Gralswelt Lohengrins glaubhaft macht. Hin und wieder in den Höhen nicht völlig sicher an diesem Abend, überzeugte sie ihr Publikum dennoch vollständig.
 
Die Schwanenerscheinung ist ein beliebter Diskussions- wenn nicht gar Streitpunkt. Im modernen Regietheater als uninszenierbarer Kitsch abgetan, wird häufig übersehen, dass es hier um die Darstellung eines Wunders geht, das von den einen als solches akzeptiert wird, um von der Politikerin Ortrud zum Zauberwerk umgedeutet zu werden. Es ist dieser Konflikt, der vor allem in Elsa ausgetragen wird, um schließlich zum Verhängnis zu werden.
 
Herbert Adler läßt im Hintergrund Nebelschwaden über dem Wasser zusammenziehen, die dann zu einer stilisierten Schwanenerscheinung verschmelzen. Dies gelang so beeindruckend, dass man erstaunte Reaktionen aus dem Publikum wahrnehmen konnte. Dies geschieht derzeit selten.
 
Jon Kettilson ist ein ordentlicher, wenn auch kein strahlender Lohengrin. Stimmlich wirkte er insbesondere im ersten und zweiten Akt etwas zu steif, steigerte sich aber in der Brautgemachszene und natürlich für „In fernem Land...“, das man an diesem Abend ausgezeichnet zu hören bekam. Leider verzichtet auch diese Inszenierung nicht auf eine Strich im 3. Akt ab „O Elsa! Was hast du mir angetan?“ bis „Der Schwan! Der Schwan!“. Leider, weil diese Stelle explizit enthält, dass Lohengrin Elsa wirklich liebt, die ihn aber als höheres Wesen anbetet. Sie enthält somit eine nicht unerhebliche Aussage des Werkes und trüge zu einer weitergehenden „Vermenschlichung“ Lohengrins bei, die dem Charakter nicht gut genug tun kann, da Lohengrin häufig als blass und unnahbar empfunden wird. Diesem Strich fällt auch Lohengrins Prophezeihung „Nach Deutschland sollen noch in fernsten Tagen des Ostens Horden siegreich nimmer zieh'n!“ zum Opfer. Dies mag als politisch korrekt und entschärfend wirken, aber man sollte immer bedenken, dass dies eine Projektion unserer Erfahrung ist, die zur Entstehungszeit des Werkes nicht gegeben war. Darüber hinaus ist man bei Wagners Werken immer gut beraten, äußere von innerer Handlung zu unterscheiden.
 
Ein Teil dieser inneren Handlung ist die Unfähigkeit, das Spirituelle als solches zu akzeptieren und die Tendenz der Profanierung dessen. Eine Problematik, die heute erheblich näher an unserer Haut ist, als dies zu Wagners Zeit der Fall gewesen sein mag. In gewisser Hinsicht ist die Unmöglichkeit oder Verweigerung einer  traditionellen Inszenierung des Stückes in vielen Aufführungen ein Symptom für den im „Lohengrin“ beschriebenen Konflikt zwischen materialistisch/nihilistischer Weltsicht und Spiritualität in unserer Zeit.
 
Ein weitere interessanter Aspekt ist das Werk als Vier-Personen-Stück: Lohengrin und Elsa sowie Ortrud und Telramund.
 
Publikumslieblinge waren Lioba Brau als Ortrud und Clemens Unterreiner als Telramund. Selten hat man eine so wortverständliche und souveräne Ortrud, die darüber hinaus noch in der Lage ist, diesen Charakter als die „politische Frau“ oder auch den personifizierten Zweifel darzustellen. Man traut ihr ohne weiteres zu, Telramund in der gezeigten Weise von sich abhängig gemacht zu haben. Am Rande sei hier erwähnt, wie klug die Kräfteverhältnisse innerhalb dieses Paares von Wagner komponiert worden sind.
 
Sein Rollendebüt hatte in diesem Jahr Clemens Unterreiner als Telramund. Trotz dieses Heimspiels ist es nicht leicht, vor dem Welser Publikum zu bestehen, zumal Unterreiner dem Publikum durch seinen Wolfram im „Tannhäuser“ des Vorjahres einen sehr positiven Eindruck hinterlassen hatte. Damals war schon zu vernehmen, dass man von diesem Bariton noch einiges erwarte.
 
Diese Erwartungen wurden ohne weiteres erfüllt. Telramund ist durchaus nicht immer für das Publikum als der Betrogene erkennbar, doch ist er ein Charakter, der an den Wertvorstellungen seiner Zeit hängt und Ortruds Lügen glaubt, was ihn letztlich zu Grunde richtet. Ortrud verachtet die Welt, in der sie lebt. Oberflächlich betrachtet, erscheint sie als rückwärtsgewandt, doch bei genauerem Hinsehen repräsentiert sie die Moderne. Materialistisch und zynisch. Telramund existiert zwar auch durch weltliche Werte wie Ruhm und Ehre und passt insofern zu seiner Frau, doch ihr Materialismus reicht weit über den seinen hinaus.
 
Lioba Braun und Clemens Unterreiner gelingt es, dieses Spannungsverhältnis auf die Bühne zu bringen, womit ein Gutteil des Stückes steht und fällt. Das Publikum dankte es den Sängern durch viele Bravo Rufe, natürlich wurde Unterreiner besonders gefeiert. Trotz der allgemeinen Begeisterung sollte kritisch angemerkt werden, dass er unter dem Druck des Rollendebüts dazu tendierte, schauspielerisch an manchen Stellen etwas zu viel zu tun, was aufgrund seiner stimmlichen Möglichkeiten als durchaus unnötig erschien. Dies sei einem jungen Sänger aber verziehen.
 
Die Slowakischen Philharmoniker sorgten unter der Leitung von Ralf Weikert für den nötigen Wagnersound. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass man den „Lohengrin“ schwerlich besser hören kann. Hierfür sorgte, man sollte nicht vergessen, dass es sich auch um eine Choroper handelt, auch der Chor der Slowakischen Philharmonie, der unter der Leitung von Jozef Chabron alle Klippen der Partitur meisterte.
 
Wer nach solchen Aufführungen mit vom Applaus schmerzenden Händen das Theater am Abend verläßt, freut sich bereits auf das nächste Jahr, wenn in Wels „Tannhäuser“ und „Tristan und Isolde“ gegeben werden.
 
Stefan Simon