Samstag, 27. Dezember 2014

La Bohème in Lübeck

Als melancholische „Winteroper“ eignet sich La Bohème wohl nicht nur durch ihren tragischen Inhalt, sondern die allgegenwärtige Präsenz von Schnee, Eis und Kälte. So war es denn wohl auch kein Zufall, dass das schöne Lübecker Jugendstiltheater am 2. Weihnachtsfeiertag nahezu vollbesetzt eine interessante und stellenweise hervorragend besetzte Aufführung der Oper erlebte.

Allerdings hatte man es wohl versäumt, Roman Brogli-Sacher darauf aufmerksam zu machen, dass es sich bei einer Oper um Vokalmusik handelt und das Orchester der BEGLEITUNG dienen sollte. Wem es Freude macht, Loriot-Gedächtnis-Wettbewerben à la „Ich kann lauter/länger....etc. als Sie“ zwischen Sängern und Dirigenten beizuwohnen, der wäre wohl gestern voll auf seine Kosten gekommen; aber jemand, dem es leid um schöne Stimmen tut, und der nicht gekommen ist, um eine Sinfonie mit Gesangsbeilage, sondern Oper zu erleben, der hat an Brogli-Sachers Dirigat wohl kaum Freude haben können. Natürlich ist Puccinis unsterbliche Musik leidenschaftlich und feurig, aber sie ist auch innig, zart und verträumt – und das ließ das Orchester sehr vermissen.

Die britische Sopranistin Anna Patalong verlieh der Mimì mit ihrer warm timbrierten, vollen und zugleich weichen Stimme genau das, was diese Rolle braucht. „Mi chiamano Mimì“ gelang ihr mit Charme und Liebenswürdigkeit und das „Donde lieta uscì“ melancholisch und rührend, ohne jemals ins Sentimentale und Aufgesetzte abzugleiten, was übrigens auch für die wunderbar gesungene und gespielte Sterbeszene galt.

Ein reizvoller Kontrast dazu war die hinreißende Musette von Evmorfia Metaxaki. Besser gesungen wird man die leichtlebige, ihren Vorteil gut zu nutzen wissende Künstlerfreundin wohl an größeren Häusern auch nicht zu hören bekommen. Das „Quando m'en vo“ entfaltete nicht nur dank ihrer voluminösen, sinnlichen Stimme, die mit dem bedrohlich lauten Orchester mühelos konkurrieren konnte, sondern auch aufgrund ihrer darstellerischen Fertigkeiten seine Wirkung. Schade, dass die Inszenierung gerade beim Musettewalzer so viel verschenkt hat.

Der italienische Tenor Gabriele Mangione in der Rolle des träumerischen Poeten Rodolfo hat ein stimmliches Material, von dem viele „Stars“ sich gerne etwas abzwacken würden, doch leider scheint er damit nicht richtig umgehen zu können. Fantastische Höhen sind das Eine, aber mangelnde stilistische Grundkenntnisse können dadurch nicht wettgemacht werden. Unruhige Phrasierung, zeratmete Phrasen, kein ausreichendes Legato – da gäbe es noch einiges zu tun. Es bleibt zu hoffen, dass der noch junge Sänger diese Lücken schließen kann, denn dann wäre er bei einem solchen tenoral-strahlenden Volumen ein echter Geheimtip, und zwar nicht nur als Rodolfo.

Gerard Quinn in der Rolle des Marcello ist ein altgedientes „Schlachtroß“ des Lübecker Ensembles, der seinen vollen, wohl timbrierten Bariton hier in vielen Rollen erfolgreich präsentiert hat. Die Höhe ist immer noch wunderbar, aber die Mittellage ist doch im Laufe der Jahre ein wenig grau geworden. Sein unglücklich liebender Marcello war dennoch sehr ordentlich und solide gesungen und gespielt.

Johan Hyunbong Choi (Schaunard) und Taras Konoshchenko (Colline) vervollständigten das Künstlerquartett mit kraftvollem, üppigen Gesang und waren auch darstellerisch äußerst überzeugend.

Paolo Micchichè hat bei der Inszenierung bewusst auf ebenso überflüssige, wie aber heute nahezu unvermeidliche Aktualisierungen verzichtet und zur Abwechslung einmal dem Libretto vertraut, was an den projizierten Bühnenbildern nach Entwürfen der Uraufführung der Oper als auch an den Kostümen sofort klar wurde – wobei man auf die zwei modernen Zitate in Form von Marcellos pelzbesetztem Parka im zweiten Akt sowie Rodolfos Lederblouson im dritten Akt sehr gern hätte verzichten können; derlei tut absolut nicht not und fällt aus dem ansonsten äußerst stimmig dargestellten 19.Jahrhundert heraus. Künstlermansarde, Café Momus und Barrière d'Enfer waren als Projektionen zu sehen und bildeten einen durch die Zweidimensionalität wenn auch ungewohnten, aber doch ausreichenden Rahmen zum Geschehen auf der Bühne. Ebenfalls positiv zu erwähnen ist die Lichtregie, die mangels Können von vielen Regie-Zwangsbeglückern heute eher stiefmütterlich behandelt wird. Verfolger kamen dabei ebenso zum Einsatz wie ein sehr stimmungsvolles Blau zum „O soave fanciulla“. Das in „oben“ und „unten“ unterteilte Bühnenbild im zweiten Akt ist nicht neu, aber es genügt nicht, wenn das Künstlerquartett auf der unteren Ebene mit Musette und Alcindoro quasi als Kammerspiel allein interagiert, während das Pariser Volk auf der oberen Ebene lustwandelt, Spielzeug und Süßigkeiten erwirbt und das französische Militär preist. Musette hatte keine Gelegenheit, mit ihren Arie junge und alte Passanten, Soldaten und Schaulustige zu betören und durch ihren frivolen Auftritt Marcello somit vollends zum Rasen zu bringen. Ihr blieb nur die Bezugnahme auf ihren gänzlich überforderten, ältlichen (obwohl hier leider gar nicht so lächerlich-ältlich wirkenden) Liebhaber Alcindoro, was auf die Dauer dann doch ein wenig eintönig wirkte.
Im vierten Akt sind Piccichè dann wohl die Ideen ausgegangen, denn die Projektion des zumal sehr unansehnlichen Madonnenbilds ( eine verworfene, frühere Skizze Marcellos??), das wie ein unattraktiver Todesengel über den Szenerie thronte, hatte mit der Mansarde und auch der Szene nichts mehr zu tun. Auch der Gedanke, die Bühne bei den letzten Takten der Oper in gleißendes Licht zu tauchen und somit eine sterile Krankenhausatmosphäre zu schaffen, ging an Musik und Text vorbei.
Dennoch – angesichts dessen, was man heute an großen wie an kleinen Häusern in punkto „Neuinszenierung“ so vorgesetzt bekommt, muss sich Lübeck mit dieser Produktion keineswegs verstecken, zumal das sängerische Niveau größtenteils sehr hoch ist. 


Weitere Infos hier:  http://www.theaterluebeck.de/index.php?seid=11&St_ID=699

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Luisa Miller in  Zürich - WIEDERAUFNAHME

Ich verbinde oft das Geschäftliche  mit meinen Hobbies, und da  ich viel herumreise, komme ich weltweit  in den Genuss vieler Opern. Jetzt war Zürich an der Reihe. Noch nie zuvor war ich in Luisa Miller. Zürich ist ein stilvolles Haus und elegantes Publikum, aber es war  nicht ausverkauft. Es wurde phantastisch gesungen, die Inszenierung war wie so oft schlecht.

 Elena Mosuc ist eine phantastische Luisa. Glockenheller Klang, tolle Höhen, sehr virtuos, man kann sie gut und gerne mit ihren großen Vorgängerinnen in dieser Rolle vergleichen. Leo Nucci als ihr Vater war ein Traum. Klar ist er nicht mehr jung, aber die Stimme ist intakt und klingt sehr frisch. Die Technik ist vorbildlich, er weiss wie man bei einer so lange Karriere pfleglich mit der Stimme umgehen muss.  Ausserdem bringt er viel Persönlichkeit mit, was man bei vielen jungen Sängern vergeblich sucht. Ivan Magri war ein wunderbarer Rodolfo mit  schöner Höhe, viel Gefühl,  weichem Timbre und italienischem Temperament. Bravo! Vitali Kowaljow war ein Ehrfurcht gebietender, grausamer Walter mit grossem schwarzen Fundament und Wanwei Zhang ein herrlich böser Wurm, toll gespielt und gesungen. Die Federica von Judith Schmidt hat auch alle Anforderungen erfüllt, eine noble verletzliche Frau. Ein Highlight war das  berühmte Quartett. Leider war das Orchester sehr schlecht. Schon die Ostinati-Stellen der Ouverture waren  ungenau gespielt,  auch die Holzbläser hatten wohl einen  schwarzenTag. Carlo Rizzi war überfordert  und oft einige Takte hinter den Sängern. 

Die Regie hatte der Italiener Damiano Michieletto geführt, die Bühne stammt von  Paolo Fantin, für die Kostüme zeichnete  Carla Teti verantwortlich.  Die gute Nachricht: Es spielte im 18 Jahrhundert, und man musste nicht kotzen . Die schlechte: Es wurde mir fast schwindelig von dem sinnlosen und nervigen Einsatz  der Drehbühne auf dem hässlichen Entwurf. Die Solisten trugen zwar  herrliche authentische Kostüme, der Chor war allerdings einmal wieder nur grau in grau und glich Fabrikarbeitern. Niemals würde eine Dame wie Federica von solch einem heruntergekommenen Gefolge begleitet werden. Und dann gab es da auch noch Kinder: Luisa und Rodolfo als Kinder, als die Welt noch heil war. Dass der kleine Rodolfo sich in Unterwäsche im Bett wälzt, hat sicher den pädophilen Anteil des Publikums gefreut, ich fand es allerdings sehr peinlich. Aber im Vergleich zu dieser Regie habe ich in meinem Leben  noch viel, viel  schlimmeres gesehen,  und alleine wegen der Solisten war es einen Besuch wert :-) . 

Am Ende gab viel Applaus. Dann bis zum nächsten Opernabend!
A.S.

Montag, 1. September 2014

Verdi, Rigoletto, 2013, Klassi Festival Schloss Kirchstetten, Weinviertel, Österreich
Ein Abend beim KlassikFestival Kirchstetten

„literarische Kritik“ von Alexandra Zumoberhaus
Man kann sehr unterschiedliche Zugänge zu den diversen Sommer-Festivals haben.
Mein Opernabend (Verdi´s „Rigoletto“ im Schloss Kirchstetten) beginnt mit der Auto-Anreise von Wien und ich geniesse bei schönem und mildem Sommerwetter die herrliche Landschaft des Weinviertels. In Kirchstetten angekommen lohnt es sich, den „Schloss-Heurigen“ zu besuchen, denn das Preis-Leistungsverhältnis lässt wirklich nicht zu wünschen übrig; unsere Gläser sind gefüllt, die Teller versprechen optisch so viel, wie sich dann auch der Gaumen erfreuen lässt: kurz, es ist ein genüsslicher Auftakt zu einer Opernaufführung.
Was erwartet mich? Als Operntraditionalistin habe ich mich gut informiert und weiss, dass „Oper im Taschenformat“ mir keine opulent-historischen Bühnenbilder und Kostüme bescheren wird! Was erwartet mich also wirklich im Maulpertschsaal, der nur eine 20 qm grosse „Bühne“(in diesem Fall ein Podest, ein minimal reduziertes Orchester und Platz für nicht einmal 200 Zuschauer (und –hörer, hoffentlich!) bietet?
Darauf lasse ich mich mit Spannung und grosser Vorfreude ein.
Und meine Vorfreude wird auch nicht enttäuscht!
Zuerst aber darf ich aus erster Hand erfahren, dass die Sängerin und Darstellerin der „Gilda“ erkrankt ist, dass aber auch Ersatz gefunden wurde mit einer 26jährigen ungarischen Sopranistin. Die „Ur-Gilda“ werde spielen, der Ersatz werde singen.
Na, da bin ich aber gespannt….
Eine wirklich grosse Leistung scheint mir die Arbeit des Dirigenten, Hooman Kahlatbari ,der die Partitur Verdi´s auf ein wirklich superkleines Orchester zusammen“stutzte“. Ein Orchester, das trotzdem den Klang der Verdi´schen Oper widergeben kann. Einzig die Verwendung des Pianos ist mir schleierhaft und halte ich für überflüssig.
Dass ich in ein Drama hineingesogen werde wird gleich schon zu Beginn klar, denn schwarzer Tüll – Trauerflor- und Kerzenlicht geleiten mich die Stufen hinauf in den Maulpertschsaal. Die Stimmung, die beim Eingang herrscht, ist ein Willkommen in der Gesellschaft des „Duca di Mantova“, denn einige Höflinge lungern herum, einigen Damen wird ein rotes Band um den Arm gelegt: Mitgliedszeichen dieser verkommen-oberflächlichen Gesellschaft, die nur den Genuss im Sinne hat.
Die kleine Bühne ist spartanisch hergerichtet: schwarzer Tüll beherrscht die Szene, die Höflinge erwarten uns in vorwiegendem Grau – so viel Lebensfreude, wie die Musik uns suggeriert – ist da nicht vorhanden: die Tragödie beginnt schon ganz am Anfang und zieht mich auch gleich in den Bann. Rechte Freude will nicht aufkommen: die Hofgesellschaft erscheint oberflächlich und gemein – ein toller Regieeinfall!
Schon ab den ersten Takten der Musik – in der ersten Szene, wo es erhebliche Taktschwierigkeiten zwischen Orchester und Sänger gibt (und ich zolle der Schwierigkeit des injdirekten Sichtkontaktes zwischen Dirigent und Sängern höchste Vollachtung) - bin ich mitten in der Handlung, lässt doch der Regisseur, Csaba Nemedi, den ganzen Raum bespielen. Der Herzog küsst Damen im Publikum die Hand, die Protagonisten erscheinen und verschwinden durch die Türen links und rechts des Saales: eine wirklich gelungene Art, mich gleich ins Geschehen hineinzuziehen.
Ein erster Höhepunkt ist das Auftreten Monterones, ein zumindest optisch extrem junger Bass, Gelu Dobrea, der mit Stentorstimme die Ehre seiner Tochter reklamiert und Rigoletto, der sein körperliches Handicap in dieser Inszenierung per Krücke und Hinken darstellt, verflucht. Als „Signor Maledizione“ wird der Bass denn auch vorgestellt und zieht sich durch die Doppelrolle Monterones und des Auftragsmörders Sparafucile unheilvoll durch den ganzen Abend.
Gleich in dieser ersten Szene am Hof des Duca, zeigt sich, was für mich den ganzen Abend eines der Highlights sein sollte: ein Mini-Chor, der stimmlich und durch tolle Personenregie ganz stark zum für mich gelungenen Abend beiträgt! Ein grosses Lob an den Chorleiter: hier war die Musik auf den Punkt, die Diktion eine exzellente, die Personen-/Gruppenregie besonders gelungen!
Das erste Auftreten von Gilda wird durch die Ankündigung, dass sie krankheitshalber nur spielen könne, mit Spannung erwartet. Maria Taytakova, die optisch schlank und blond der Gilda wirklich schön entspricht, spielt mit so viel berührender Intensität, dass es einem im Herzen weh tut, sie nicht singen zu hören. Wie sie, blind vor Liebe sich über die Bühne tastet: auch dies eine sehr berührende Idee des Regisseurs.
Es sind dies genau die kleinen Gesten und „kleinen“ Einfälle des Regisseurs, Csaba Nemedi, die die Aufführug kostbar machen: das „All-inklusive-Band“, das zum vollwertigen Mitglied der Gesellschaft des Duca macht (und das sich Gilda zu gegebener Zeit auch vom Arme reisst!), die gelangweilte Hofgesellschaft (während des Herzog´s stretta – na gut, er nimmt sich halt wieder mal eine Frau; was geht es uns an?), das Zusammenziehen Monterones und Sparafuciles auf einen Signor MALEDIZIONE, die Darstellung einer Signora Destino – Gräfin Ceprano, Page und die Dienerin (aber doch Kupplerin) Giovanna – das macht das Drama doch sehr lebendig! Grosses Lob gebührt der Personenregie beim kleinen Chor der Höflinge: für mich waren dies die packendsten Szenen.
„Rigoletto“ als sehr persönliche und intime Tragödie darzustellen ist nachvollziehbar und falls der Regisseur diese Absicht hatte, ist sie bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen!
Zum Musikalischen:
gleich in der ersten Szene gab es einige Schwierigkeiten, was die Tempi betraf – doch legte sich das sehr schnell wieder und ich führe es auf die schwierige Situation zurück, dass der Dirigent mit dem Rücken zu den Sängern stand. Noch einmal: ein grosses Lob für den Dirigenten, dem es gelungen ist, die Partitur auf ein Mini-Orchester zusammenzustutzen, ohne dass uns Verdi verloren ging! Bravo! Wie gesagt, ist meiner Meinung nach das Piano überflüssig- manchmal war es für mich störend.
Hooman Khalatbari hatte sein Orchester in festem Griff – sein funkelndes Auge nach einem bösen Streicher-Patzer sprach Bände, hatte aber durchaus Charme. Es war ein Dirigat, das die Sänger unterstützte: eine seltene Angelegenheit heutzutage!! Dies möchte ich doch sehr wohl erwähnen!
Nicht genug Lob kann ich für den Chor aussprechen: nicht nur, dass die Chorszenen die packendsten waren (dies ist wohl eher Verdienst des sensiblen Regisseurs Csaba Nemedi), hier war Textverständlichkeit einfach gross geschrieben. Grosses Lob deswegen auch an den Chorleiter!
Mit der Verpflichtung des Baritons Jan Durco hat die Festspielleitung einen Sänger gewonnen, der zwar zwischendurch an die Grenzen gestossen ist (nicht positiv bewerte ich das Singen einiger Phrasen als Vokalisen) ,der aber in seiner Darstellung als verfluchter und liebender Vater von Szene zu Szene wächst und glaubwürdig uns jenen Schmerz vermittelt, der in der Schluss-Szene seinen tragischen Höhepunkt findet. Besonders packend war die Szene mit den Höflingen („Cortiggiani, vil razza dannata“).
Eine kleine Enttäuschung war für mich der Herzog, Gergely Boncer, der zwar vermutlich über ein adäquates Material verfügt, aber seine Rolle von A-Z durchgebrüllt hat. So sehr ich bewundert habe, wie der Regisseur den Herzog in die Nebenrolle, die er eigentlich ist, gesetzt hat, so sehr enttäuschte es mich, dass der Tenor jede Arie, das Duett und das Quartett mit der selben vokalen Vehemenz von sich gab. Keine Frage, Herr Boncer traf meist seine Töne – aber der Herzog hat ja doch auch seine lyrischen, zärtlichen Töne (etwa als Verführer im Duett oder bei „Parmi veder le lagrime“)- die waren leider nicht vorhanden. Was ich hingegen lobend erwähnen möchte ist seine Bühnenpräsenz, denn als schlank-gutaussehender Tenor war er als Duca zumindest optisch wohl für viele ein Genuss.
Highlight des Abends waren für mich hingegen die Damen: ganz schön Jaroslava Pepper als sehr schlanke Maddalena, die dem berühmten Quartett zu schönem Ton verhalf und einfach wirklich grandios die beiden Gildas. Dass es Olga Taytakova aufgrund ihrer Krankheit versagt war zu singen, war sicherlich nicht angenehm. Sie hat überaus berührend und sehr engagiert stumm gespielt und mich mehrere Male fast zu Tränengerührt.
Highlight war für mich allerdings die 26jährige ungarische Sängerin der Gilda Zita Szemere! Sie sang die unglückliche Protagonistin für mich einfach ganz perfekt: ich hörte schon, dass Olga Taytakova die „dunklere“ und dramatischere Stimme habe; diese Gilda hat aber das Mädchen, dann auch die (trotzdem ihr Gewalt angetan wurde!) verliebte, ja, liebende Frau stimmlich grandios verkörpert. Dass die junge Sängerin die ganze Zeit vom Orchester aus SITZEND ihre Partie bewältigt hat (und ich weiss aus eigener Erfahrung, wie sich singen im Sitzen anfühlt) lässt mich ganz tief den Hut ziehen vor dieser Leistung. Irgendwie hat es diese junge Sängerin geschafft, dass „Rigoletto“ zu „Gilda“ wurde; für mich war dieses Drama der sich selbst opfernden liebenden Frau berührend genug, einen wunderbaren Abend zu erleben.
Fazit: in diesem räumlich beschränkten Rahmen einen Rigoletto aufzuführen: dafür kann ich nur dem Regieteam und der musikalischen Leitung ein Lob aussprechen.
Kirchstetten lohnt sich! Ich freue mich sehr auf die Produktion des kommenden Jahres.

© Quelle: Mag. Alexandra Zumoberhaus / Hintermayer MUSIK

„Le donne di Giovanni“ oder „Les jeux sont (pas) faits“
Ein Bericht zur Don Giovanni-Aufführung vom 16. 8.2014 beim Klassikfestival Schloss Kirchstetten

Dies ist keine Rezension, wie man sie von Kritikern kennt – da müsste ich mich ja kurz fassen. Dies ist ein Erfahrungsbericht nach einem beglückenden Opernabend!
Oper im Schloss Kirchstetten bedeutet mancherlei: es ist eines der kleinen, feinen Sommerfestivals, derer es so viele in Niederösterreich gibt. Die Anfahrt von Wien aus ist ein Vergnügen für die Beifahrerin, denn die Gegend ist halt herrlich; schönes Weinviertel. Wir fahren unter mehreren Wolkenbrüchen durch und ich sehe den grössten und schönsten Regenbogen meines Lebens. Was für ein Auftakt! Kirchstetten heisst auch, dass man früh genug vor Ort sein sollte, denn der Schloss-Heurige ist mehr als empfehlenswert und wir gehen ganz gut gestärkt zur Oper. Es ist eine Opernaufführung im herrlichen Maulpertsch-Saal des Schlosses. 160 Leute finden in hier Platz und ja: es ist Oper hautnah, es ist das kleinste Opernhaus Österreichs, wo es schon einmal vorkommt, dass ein Sänger plötzlich neben einem steht und man ins Geschehen gesogen wird, aus dem es kein Entrinnen gibt. Doch der Reihe nach. 
Hier wird grosse Oper für eine kleine Bühne adaptiert. In der Tat gibt es hier gar keine Bühne, sondern ein Podest, heuer in Form eines sehr lang gezogenen U. Dies und sicher auch das nicht sehr grosse Budget dieses empfehlenswerten Festivals sorgen auch dafür, dass ohne klassisches Bühnenbild gearbeitet werden muss. Keine Kulissen. Hier zählt der Sänger, einige Requisiten und ein geniales Konzept des Regisseurs, das dafür sorgt, die Oper fühlbar zu machen. Hier wird ein Gesamtkunstwerk an einem Abend erschaffen, denn das Thema des Abends wird auf dem Weg in den Saal erlebbar: auf den wie immer mit Kerzenlicht erleuchteten Treppenstufen sind Spielkarten verstreut. Wir kommen auch an mehreren Spieltischen vorbei und den Sängern wird doch auch viel Arbeit abverlangt, wenn sie wie Donna Elvira schon in Kostüm und Maske so lange vor dem Auftritt an einem Tisch sitzen und Karten legen. Und immer schön „unnahbar und unansprechbar“ sein…. Hier muss ein Regisseur die Musik kennen, das libretto verstehen, von Gesang etwas verstehen. Hier kann nur so gearbeitet werden, dass die Quintessenz des Werkes erarbeitet und sichtbar gemacht wird.
Wieder gelingt dies dem Regisseur Csaba Némedi in ganz vortrefflicher Weise. Es wird schnell klar, dass sich hier jemand mit dem Werk umfassend und liebevoll auseinandergesetzt hat und das Resultat kann sich wahrlich sehen lassen. Zum ersten Mal erlebe ich einen „Giovanni“, der wirklich das dramma giocoso ist, als das Mozart und sein librettist da Ponte es geschaffen haben. Es IST eine Tragikkomödie, denn sowohl das Drama, als auch die burlesken Szenen sind fein und Gänsehaut-erzeugend herausgearbeitet.
Die Requisiten sind wie immer wenige, aber aussagekräftig: Hier findet ein Spiel statt. Ein Spiel zwischen heiter und tragisch. Ein Spiel eines Puppenspielers, Don Giovanni, der scheinbar seine Opfer wie Marionetten steuert. Oder vielleicht auch umgekehrt? Werden die Opfer das Spiel aufnehmen und mitspielen? Es vielleicht wenden? Némedi lässt mit überdimensionalen Spielkarten Wände und Mauern errichten, die die Unmöglichkeit, Gebäude auf das Bühnenpodest zu stellen, gut ersetzt. Spielwürfel dienen als Sitzgelegenheit, als Tische, als Wurfgeschosse, ja auch als „Waffe“, um Leporello, der nach seinem getarnten Techtelmechtel mit Elvira auffliegt, einzumauern. Da wird mit diesen wenigen Requisiten gespielt, dass es eine Freude ist! Die Spielkarten – ja, die Spielkarten sind nicht ohne. Denn die drei Königinnen/Damen sind durchaus auch noch ein bisschen aufgehübscht worden mit floralem Design. Da meine ich einen Frühling, einen Sommer und einen Herbst zu erkennen. Die drei Frauencharaktere? Haben wir hier eine Vergangenheit; Donna Elvira, die vergangen und (über)reif ist? Eine Donna Anna, eine Gegenwart in voller Pracht? Eine Zerlina in zarter Blüte, zukünftiges Vergnügen?
Was ist es mit diesen drei Frauen? Lassen sie mit sich spielen oder spielen SIE am Ende gar?
Ja, es ist wahr: so sehr Giovanni mit den Frauen spielt, so sehr übernehmen auch sie das Spiel und wenn zum Schluss die drei Frauen – begleitet von der Stimme des unsichtbaren Komturs – Giovanni am Marionettenband seinem Ende zuführen, so wird klar, wer hier dann letztlich doch das Rad am Laufen hält. Es sind die Frauen. Es sind auch die Frauen, die die Farbtupfer in dieser Aufführung sind: Elvira in patiniertem Gold beim ersten Auftritt und dann in leuchtenden Blautönen, die der Sängerin mit ihren blonden Haaren unwahrscheinlich schmeicheln und trotzdem ganz dramatisch wirken. Zerlina mit einem Hochzeitskleid in crème, das mehr als sexy ist und anschliessend im crèmefarbenen Spitzenkleid, in dem sie dermassen knackig wirkt, dass vermutlich viele Zuschauer gern Giovanni wären. Anna hingegen in Rottönen und hier ist für mich ein ganz dramatischer, spannender und gelungener Aspekt von Némedi und seiner begabten Kostümbildnerin, Gianpiera Bühlmann, sichtbar: beim ersten Auftritt noch im zartrosa Negligé, wird das Rot für die nächsten Auftritte kräftiger, bis Anna zum Schluss ihre Rache vollendet und wie Blut und Feuer und Leidenschaft wirkt! Toll! Die Herren hingegen sind offenbar nicht wirklich die „Herren der Schöpfung“. Ein bisschen fad sind sie, diese tollen Hechte, die Bestimmer, Macher, Macker und Machos: Weiss, écru, crème sind ihre Farben und die Herren sind austauschbar, man kann sie leicht verwechseln; Leporello und Giovanni müssen sich bei ihrem Rollentausch nicht so anstrengen. Ein bisschen fad sind sie und sie brauchen offensichtlich einen bunten Gegenpart, eben diese Frauen in Farbe…Einzig Giovanni darf im ersten Auftritt, passend zum nächtlichen Überfall schwarz gewandet sein, und für den Mittelteil einen sehr schönen (wenn auch wieder hellen), schimmernden Anzug tragen mit lindgrünem Hemd, das den dunklen Haaren des Sängers sehr schmeichelt.
Es sind die kleinen, feinen herausgearbeiteten Details, die mich an Némedi’s Arbeit immer wieder faszinieren. Seine Personenregie ist grosse Klasse! Da wird gespielt in jeder Sekunde, da ist Drama und Komödie. Kein Augenlick fadesse – Spannung und Vergnügen in absolut jeder Sekunde! Dem Regisseur ist es gelungen, die Sänger zum Spielen zu bringen, auch wenn sie NICHT singen. Und zwei ganz besonders, haben das hinreissend umgesetzt!!
Womit wir bei den Sängern und bei der Musik wären…
Mehr als uneingeschränktes Lob für Hooman Khalatbari und sein Mini-Orchester! 2 Fagotte, 1 Klarinette, 1 Oboe, 1 Querflöte, 1 Cello, 1 Bass, 1 Klavier, 2 Violinen und 1 Viola, wenn mich nichts täuscht. Auf jeden Fall hat Maestro Khalatbari die Partitur wieder auf ein elfköpfiges Ensemble gearbeitet. Ganz grossartig!! Bravo Bravo! Und was für ein Orchester! Junge Musiker, die offenbar Meister ihres Fachs sind. Die musikalische Leistung des Orchesters ist nicht genug zu loben! Und einen Sonderpunkt für den elegantesten Auftritt des Maestros am Pult (chapeau für den Geschmack in der Kleiderwahl!!!), der im Übrigen HINTER dem Bühnenpodest und den Sängern steht! Und hier hat man gehört, wie grossartig geprobt wurde! Kompliment.
Und somit sind wir bei der Musik gelandet und bei den Sängern.
Uneingeschränktes und grosses Lob gibt es von mir für die drei Damen. Alexandra Vogrin sang eine bewegende Elvira, glaubhaft in jedem Moment, mit schön geführtem und sicherem Sopran. Und sie spielte in der Schluss-Szene so bewegend, dass ich dreimal schlucken musste. Donna Anna wurde von Rodica Vica gesungen, die über einen strahlenden Sopran verfügt und ihre Einzelarien zu einem Höhepunkt des Abends für mich werden liess. Bravourös. Bitte mehr davon. Wir dürfen gespannt die Karriere dieser Sängerin verfolgen. Auch sie spielte absolut hinreissend (Danke an den Regisseur!): ihr letzter Auftritt als personifizierte Rache! Dieser stolze Blick, die Haltung,– das war Gänsehaut pur!
Absolut gespannt war ich auf die junge Sopranistin Lenka Pavlovič, die relativ kurzfristig einspringen musste/durfte. Und ich wurde nicht enttäuscht: die sehr junge Sängerin bringt eine wunderschöne Stimme, gepaart mit sehr guter Technik und dermassen grosser Spielfreude und mit so grossem Talent auf die Bühne! Eine Freude für Ohr und Auge. Dass die junge Sängerin auch noch mit Schönheit gesegnet ist – da kann sie nichts dafür. Aber der Rolle hat es nicht geschadet. Und wenn ich in einer Kritik gelesen habe „entzückende, naive Zerlina“: diese Zerlina war alles andere als naiv; die hatte es faustdick hinter den Ohren – ganz grandios; sowohl die Arbeit des Regisseurs an der Rolle als auch die Umsetzung durch die Sängerin.
Etwas durchwachsener schaut es bei mir bei den Herren aus.
Ungeteiltes Lob kann ich nur Masetto/Comtur, Dobrea Gelu aussprechen. Gesanglich war er ohne Fehl und Tadel – im Gegenteil hat er den Masetto wunderbar gesungen- und er hat gespielt. Und wie er gespielt hat! Jede Sekunde, die er auf der Bühne sein musste, war er in der Rolle, im Stück. Ganz ganz toll. Wie sein Gesicht dahingeschmolzen ist während seine Zerlina „Vedrai carino“ sang – das war vom Feinsten. Hoffentlich haben das andere auch gesehen. Manchmal liegt im Kleinen was ganz Grosses und „Nebenrollen“ so schön zu besetzen ist ein gutes Zeichen für die künstlerische Leitung dieser Produktion.
Ähnlich verhält es sich beim Leporello des polnischen Basses Leszek Solarski. Grandioses Spiel und gerechtfertigter Publikumsliebling. Némedi sei Dank, dass er seinen Leporello nicht wie den Salzburger Leporello heuer als idiotischen Volltrottel durch die Szenen stolpern lässt. Leporello IST kein Trottel. Der schaut schon auf sich und er durchschaut so manches. Feinst gespielt, bis ins Detail entsprechender Mimik. Stimmlich denke ich, dass da noch mehr geht. Meiner Meinung nach sollte Solarski an seinen italienischen „a“ und „o“ arbeiten. Dann bekommt der Ton grad nochmals einen anderen Klang. Ansonsten tadellos. Erfreulich natürlich auch, einen wirklich schönen Leporello, gross und schlank, mit langen Haaren auf der Bühne zu erleben. Die Verwechslungsszene wurde dadurch schon viel glaubhafter!
Der ecuadorianische Tenor Xavier Rivadeneira verfügt ganz zweifellos über ein sehr schönes Material. Wenn mich meine Ohren nicht getäuscht haben ist er ein lirico spinto. Und genau da hatte ich meine Einwände: in den Ensembles war das spinto genial, in seiner Arie war mir das lirico zu wenig. Auf jeden Fall eine sehr solide und schöne Leistung.
Die grösste Kritik geht von meiner Seite an den österreichischen Bariton Thomas Weinhappel, der einzige schon ziemlich bekannte der Sänger des Ensembles. Natürlich bringt Weinhappel in dieser Rolle unglaubliche optische Vorzüge auf die Bühne: gross und schlank und für viele Damen sicher fesch anzuschauen. Aber so ganz warm geworden, so ganz verführt hat mich dieser Giovanni nicht. Da war für mich viel statisches Spiel (zwei Gesichtsausdrücke), da fehlte mir der manchmal in der Partitur verlangte schmelzende, schokoladige, zärtliche Ton. Das war alles gleich laut (und manches zu laut) und manchmal wurde mir dann ein deutlich hörbares Vibrato nicht zum Genuss. Aber es war in dem jungen Sängerensemble durchaus eine gute Leistung, wie ich überhaupt an dieser Stelle sagen muss, dass die Ensemble-Stellen ganz unwahrscheinlich gut musiziert waren!!! Da waren alle gleich gut, unterstützt von einem tollen kleinen Orchester unter einem Dirigenten, der mehrmals um die eigene Achse rotiert ist, um ja auch alle Sänger zu erreichen. Köstlich!
Thomas Weinhappel interessiert mich aber. In welche Richtung wird er sich entwickeln? Der Kavaliersbariton braucht noch Schmelz und Zartheit…man darf sehr gespannt die Karriere dieses begabten österreichischen Baritons verfolgen. Wenn er mich auch nicht überzeugt hat, die Leistung eines ganzen Abends auf der Bühne und die gute Leistung in den Ensembles haben mich schon versöhnt.
Was wäre noch zu sagen? Ich stelle fest, dass ich viel geschrieben habe. Zu viel für die Leser. Aber ich sagte ja: dies ist keine Rezension, dies ist ein Bericht. Stellen Sie sich vor, liebe Leser, ich fasse das jetzt in eine Rezension zusammen. Und dann überlegen Sie sich, wem ich da wirklich gerecht werde. Worüber schreibe ich dann? So, wie in der durchschnittlichen Rezi zwei Drittel über ein abstruses und oft genug hässliches und dummes Regiekonzept? Zwei Zeilen über den Medien-Superstar? Und vielleicht nichts über einen Sänger, der toll war? (Ich habe zum Bsp. den Ferrando im Salzburger Trovatore grandios gefunden – keiner schrieb über ihn…). Dies ist einfach der Bericht meiner Eindrücke einer ganz wunderbaren „modernen“ – musikalisch hochklassigen Giovanni-Aufführung, die ich gestern erlebt habe. Ein wirklich durchdachtes Regiekonzept und so schliesst sich der Kreis:
wer spielt mit wem? Wer hat das Spiel gewonnen? Gab es einen Gewinner? Tutto nel mondo è burla…. nach dem Schluss-Ensemble gehen wir nämlich hinaus und siehe da: an den Spieltischen sitzen die Sänger…das Spiel geht weiter, immer weiter. Aber die Frauen, die werden das Spiel sicher nicht verlieren. Nicht solange die Hingabe der Elvira, die Leidenschaft der Anna und die verschmitzte, durchtriebene Zärtlichkeit der Zerlina irgend eine Bedeutung haben.

KIRCHSTETTEN SIEHT MICH WIEDER! KIRCHSTETTEN IST EINE REISE WERT! MEHR ALS EINE!

Sonntag, 31. August 2014


„La Traviata“ am Rhein Main Theater Niedernhausen am 30.08.2014

von Stefan Simon

Nach dem Scheitern des Versuches ein Musicaltheater in die Provinz zu bauen, blieb ein überdimensionierter Theaterbau in Niedernhausen mit 1500 Sitzplätzen bei Wiesbaden zurück. Statt Andrew Lloyd Webbers „Sunset Boulevard“ läuft dort nun ein sehr bunt gemischtes Angebot zwischen Chippendales und Oper. So auch die Premiere der Produktion von Giuseppe Verdis „La Traviata“ der Opera Classica Europa. Wie funktioniert nun Oper, wenn man nur zwei Bühnenprospekte hat? Wenn ein gemalter Baum und grüne Hügel mit davor platzierten Gartenmöbeln links und einem Schreibtisch mit Stühlen rechts ein Landgut des 19. Jahrhunderts vorstellen müssen? Nach dieser Premiere muß ich sagen: Sehr gut. Hier lag die ganze Last der Aufführung auf den Sängern und wie souverän haben sie diese getragen. Das Haus hat, obschon für Oper nicht ausgelegt, eine ausgezeichnete Akustik und einen sehr tief liegenden Orchestergraben, der zum Teil verdeckt ist. Das Orchester des Nationaltheaters Constanta unter der Leitung von Peter Falk meisterte dies ausgezeichnet und erreichte mühelos den notwendigen Verdiklang. Star des Abends war unbestritten Lynette Tapia als Violetta. Sie umschiffte jede Klippe der Partie mit einer Leichtigkeit, die den Schwierigkeitsgrad der Rolle vergessen ließ. Sie konnte die ganze Bandbreite des Charakters der Violetta ausloten und die Herzen des Publikums gewinnen. Die Leichtlebigkeit von „E Strano... Sempere libera“ brachte sie ebenso über die Rampe wie ihre Sterbeszene im 3. Akt. Das Publikum lächelte und weinte mit ihr an diesem Abend, ohne dass der Sängerin von einer ausgefeilten Beleuchtung oder einem beeindruckenden Bühnenbild Hilfe zuteil wurde. Hier mußte die Künstlerin allein mit ihrer Stimme, ihrem Ausdruck und letztlich mit ihrem Können das Publikum gefangen nehmen und genau diese Magie fand an diesem Abend statt. John Osborn übernahm die Partie des Alfredo. Der erfahrene Tenor meisterte sie mit strahlender Stimme, die man sich bei manchem Tenor des deutschen Faches wünschen würde, wo man oft steifes oder gar gebrülltes zu hören bekommt. Osborn war an diesem Abend möglicherweise etwas indisponiert, was aber aller höchstens an zwei bis drei stellen nur dem sehr aufmerksamen Zuhörer aufgefallen sein dürfte. Auf jeden Fall war er ein vollkommen ebenbürtiger Partner für Lynette Tapia, was sich spätestens bei „Parigi, o caro, noi lascermo“ zeigte. Viel besser kann man das nicht hören. William Wilson als Giorgio Germont war ein weitere Höhepunkt des Abends sein „Di Provenza il mar“ blieb zurecht nicht ohne Szenenapplaus. Nicht versäumen zu erwähnen sollte man Stephen K. Foster ein aus Hawaii stammender Newcomer als Baron Douphol, der für sein Alter eine erstaunliche Bühnenpräsenz zeigte und mit einer wunderbaren Bass/Bariton Stimme gesegnet ist. Insgesamt zeigte das Ensemble eine sehr gute Leistung ohne Unsicherheiten oder gar falsche Einsätze, mit sehr viel Spielfreude und Begeisterung, die sich übertrug, so dass man mit stehenden Ovationen allen Beteiligten dankte. Es wurde einmal mehr deutlich, dass die Oper für sich selbst bestehen kann und nicht der Hilfe eines Ausstattungszirkusses oder gar der Neudeutung durch einen Starregisseur bedarf, um ein Publikum zu begeistern. Es kommt auf die Musik und die Leistungen der Künstler an. Es wäre an der Zeit für viele Opernschaffende, sich darauf zu besinnen. Weitere Vorstellungen am 05.09.14 in der Stadthalle Wetzlar und am 06.09.14 im Theater Rüsselsheim.

Freitag, 13. Juni 2014

Richard Wagner Festival Wels 2014
 
Heuer feierte das Richard Wagner Festival in Wels sein 25-jähriges Bestehen. Das aus privater Initiative hervorgegangene Festival mauserte sich seit seinem Bestehen von konzertanten Aufführungen der Werke Richard Wagners zu szenischen Produktionen und wurde zum Magnet für Wagnerfreunde aus der ganzen Welt. „Werktreue und künstlerische Qualität“ war und ist das Motto des Festivals, welches sich  dieses Jahr in vier ausverkauften Vorstellungen die Wiederaufnahmen von „Der fliegende Holländer“ und „Lohengrin“ zeigte.
 
Wagners Gespensteroper „Der fliegende Holländer“ wurde von Herbert Adler als solche ernst genommen und umgesetzt. Konsequent erscheint die Figur des Holländers als Geist, was durch sensible Lichtführung dem Betrachter stets vor Augen geführt wird. Diese Auffassung stellt den Sänger vor eine besondere Herausforderung, gilt es doch, die seelische Qual der Rolle und die Beziehung zu Senta heraus zu arbeiten. Wolfgang Brendel löste dies, in dem er seine Baritonpartie mit einem fast lyrischen Ansatz anlegte und so einen Gegensatz zwischen äußerer Erscheinung und Stimme erzeugte. Selten hat man das Duett „Wie aus der Ferne...“ mit solch atemloser Spannung verfolgen können. Astrid Webers dramatischer Sopran ist in solch lyrischen Stellen am überzeugendsten; in den Höhen neigte sie an diesem Abend zu etwas zu schrillen Tönen, die ihr allerdings durch ihre Gesamtmeisterung der Partie, vor allem ist hier die Ballade zu erwähnen, leicht verziehen wurden.
 
Reinhard Hagens Daland hätte schwerlich besser dargeboten werden können. „Mögst du, mein Kind,...“ gehörte zu den Höhepunkten dieses Abends. Herbert Adler durchbrach die Eindimensionalität des Charakters am Ende der Oper nach Sentas Tod, als dieser sich tröstend dem verzweifelten Erik zuwendet, so dass die Figur des gierigen Seemanns hinter die des gebrochenen Vaters zurück treten konnte.
 
Clemens Bieber ist ein Erik, auf den sich das Publikum freut. Die von Wagner bewußt blass angelegte Figur, die oft als Störfaktor mit hohlem Schöngesang wahrgenommen wird, kommt hier zu Glanz und Ehre. Ein echter lyrischer Tenor, der es versteht, auch dieser Partie Leben einzuhauchen.
 
Im Besonderen ist Christian Sturm als Steuermann zu erwähnen. Der junge Tenor ist ein gern gesehener Gast des Festivals und dem Publikum auch aus dem „Tristan“ in guter Erinnerung. „Mit Gewitter und Sturm...“ ist der „Aufmacher“ der Oper, aber oft schnell vergessen, wenn der 3. Akt zu Ende ist. Herbert Adler nahm sich insbesondere dieser Rolle an und sorgte mit vielen schönen Details dafür, dass der Steuermann präsent blieb und bis zum Ende seinen Platz auf der Szene hatte. Ein liebenswertes Charakteristikum für Wels, dass man sich junger Sänger besonders annimmt.
 
Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn unter der Leitung von Jan Ocetec brachte die in der Oper enthaltenen Evergreens mit großer Sicherheit und Wortverständlichkeit über die Rampe, wie man es selten erlebt. Selbst wenn der ganze Chor in Bewegung war, kratzte dies nicht an der Einheitlichkeit des Klanges, wie es manchmal zu beklagen ist.
 
Wels-Veteran Ralf Weikert sorgte mit den Brünner Philharmonikern für den original wagnerschen „Gespensterklang“. Im relativ kleinen Welser Stadtheater gelingt es Weikert immer wieder, das Orchester so zu führen, dass die Singstimmen im Vordergrund bleiben und dennoch die Stellen, die die volle Wucht des Orchesters erfordern, zu ihrem Recht kommen. Weikert feilte sehr an den leisen Stellen und zeigt hier einen fast kammermusikalischen Ansatz. Man konnte bei ihm Instrumente hören, die man ansonsten noch nie wahrgenommen hat.
 
Das Publikum dankte den Mitwirkenden mit endlosem Applaus und zahlreichen Bravo-Rufen.
 
 
Zum zweiten Mal stand in diesem Jahr „Lohengrin“ auf dem Programm. Wagners romantische Oper wird hier vollständig in diesem Sinne inszeniert. Hierbei ist anzumerken, dass Wels durchaus nicht als "Ausstattungstheater" bezeichnet werden kann. Das erste Bild besteht aus einem gebauten Kreis in der Bühnenmitte, dem Sitz König Heinrichs und einer Rampe dem Hintergrund dazu. 
Der Bühnenhintergrund wird von einer Rückprojektionswand begrenzt. Mit diesen Mitteln versteht es der Lichtzauberer Herbert Adler jede benötigte Atmosphäre so unmerklich und fließend zu erzeugen, dass man denken möchte, erheblich mehr auf der Bühne gesehen zu haben, als tatsächlich da war. Im Ganzen bleibt der „Lohengrin“ innerhalb dieser Schlichtheit. Während im Holländer aufwändige Animationen im Hintergrund zum Einsatz kamen; Sturm und Wellen, die beeindruckende Manifestation des Gespensterschiffes und die Erscheinung der Geistermannschaft, muß man erwähnen, dass es bei Lohengrin bei einer ruhigen blauen Wasserfläche im Hintergrund bleibt.  Chor und Sänger stehen im wahrsten Sinne des Wortes im Mittelpunkt.
 
Der Heerrufer des Königs Thomas Berau, dessen Rolle schwerer zu singen ist, als man annehmen möchte, meisterte die Partie, welche manchmal nicht das gebührende Publikumsinteresse zu erwecken vermag, in einer Weise, die ihm viele begeisterte Äußerungen des Publikums einbrachte.
 
Reinhard Hagen wird nicht nur als König Heinrich Herr der zwei Chöre, sondern auch mit seiner Stimme. An dieser Stelle kann gleich erwähnt werden, dass insbesondere die Chor- und Ensemblestellen in dieser Aufführung außerordentlich gelungen sind. Beispielhaft sei hier „Mein Herr und Gott,...“ erwähnt. Man hört diesen Part selten so exakt ausgeführt, es sei denn, auf einer Aufnahme. Hier gelang wirklich ein Klangzauber.
 
Petra Maria Schnitzers Elsa ist am stärksten in den lyrischen Stellen; ihre Stimme verleiht der Rolle die notwendige, überirdische Strahlkraft, die ihre Verbindung zur Gralswelt Lohengrins glaubhaft macht. Hin und wieder in den Höhen nicht völlig sicher an diesem Abend, überzeugte sie ihr Publikum dennoch vollständig.
 
Die Schwanenerscheinung ist ein beliebter Diskussions- wenn nicht gar Streitpunkt. Im modernen Regietheater als uninszenierbarer Kitsch abgetan, wird häufig übersehen, dass es hier um die Darstellung eines Wunders geht, das von den einen als solches akzeptiert wird, um von der Politikerin Ortrud zum Zauberwerk umgedeutet zu werden. Es ist dieser Konflikt, der vor allem in Elsa ausgetragen wird, um schließlich zum Verhängnis zu werden.
 
Herbert Adler läßt im Hintergrund Nebelschwaden über dem Wasser zusammenziehen, die dann zu einer stilisierten Schwanenerscheinung verschmelzen. Dies gelang so beeindruckend, dass man erstaunte Reaktionen aus dem Publikum wahrnehmen konnte. Dies geschieht derzeit selten.
 
Jon Kettilson ist ein ordentlicher, wenn auch kein strahlender Lohengrin. Stimmlich wirkte er insbesondere im ersten und zweiten Akt etwas zu steif, steigerte sich aber in der Brautgemachszene und natürlich für „In fernem Land...“, das man an diesem Abend ausgezeichnet zu hören bekam. Leider verzichtet auch diese Inszenierung nicht auf eine Strich im 3. Akt ab „O Elsa! Was hast du mir angetan?“ bis „Der Schwan! Der Schwan!“. Leider, weil diese Stelle explizit enthält, dass Lohengrin Elsa wirklich liebt, die ihn aber als höheres Wesen anbetet. Sie enthält somit eine nicht unerhebliche Aussage des Werkes und trüge zu einer weitergehenden „Vermenschlichung“ Lohengrins bei, die dem Charakter nicht gut genug tun kann, da Lohengrin häufig als blass und unnahbar empfunden wird. Diesem Strich fällt auch Lohengrins Prophezeihung „Nach Deutschland sollen noch in fernsten Tagen des Ostens Horden siegreich nimmer zieh'n!“ zum Opfer. Dies mag als politisch korrekt und entschärfend wirken, aber man sollte immer bedenken, dass dies eine Projektion unserer Erfahrung ist, die zur Entstehungszeit des Werkes nicht gegeben war. Darüber hinaus ist man bei Wagners Werken immer gut beraten, äußere von innerer Handlung zu unterscheiden.
 
Ein Teil dieser inneren Handlung ist die Unfähigkeit, das Spirituelle als solches zu akzeptieren und die Tendenz der Profanierung dessen. Eine Problematik, die heute erheblich näher an unserer Haut ist, als dies zu Wagners Zeit der Fall gewesen sein mag. In gewisser Hinsicht ist die Unmöglichkeit oder Verweigerung einer  traditionellen Inszenierung des Stückes in vielen Aufführungen ein Symptom für den im „Lohengrin“ beschriebenen Konflikt zwischen materialistisch/nihilistischer Weltsicht und Spiritualität in unserer Zeit.
 
Ein weitere interessanter Aspekt ist das Werk als Vier-Personen-Stück: Lohengrin und Elsa sowie Ortrud und Telramund.
 
Publikumslieblinge waren Lioba Brau als Ortrud und Clemens Unterreiner als Telramund. Selten hat man eine so wortverständliche und souveräne Ortrud, die darüber hinaus noch in der Lage ist, diesen Charakter als die „politische Frau“ oder auch den personifizierten Zweifel darzustellen. Man traut ihr ohne weiteres zu, Telramund in der gezeigten Weise von sich abhängig gemacht zu haben. Am Rande sei hier erwähnt, wie klug die Kräfteverhältnisse innerhalb dieses Paares von Wagner komponiert worden sind.
 
Sein Rollendebüt hatte in diesem Jahr Clemens Unterreiner als Telramund. Trotz dieses Heimspiels ist es nicht leicht, vor dem Welser Publikum zu bestehen, zumal Unterreiner dem Publikum durch seinen Wolfram im „Tannhäuser“ des Vorjahres einen sehr positiven Eindruck hinterlassen hatte. Damals war schon zu vernehmen, dass man von diesem Bariton noch einiges erwarte.
 
Diese Erwartungen wurden ohne weiteres erfüllt. Telramund ist durchaus nicht immer für das Publikum als der Betrogene erkennbar, doch ist er ein Charakter, der an den Wertvorstellungen seiner Zeit hängt und Ortruds Lügen glaubt, was ihn letztlich zu Grunde richtet. Ortrud verachtet die Welt, in der sie lebt. Oberflächlich betrachtet, erscheint sie als rückwärtsgewandt, doch bei genauerem Hinsehen repräsentiert sie die Moderne. Materialistisch und zynisch. Telramund existiert zwar auch durch weltliche Werte wie Ruhm und Ehre und passt insofern zu seiner Frau, doch ihr Materialismus reicht weit über den seinen hinaus.
 
Lioba Braun und Clemens Unterreiner gelingt es, dieses Spannungsverhältnis auf die Bühne zu bringen, womit ein Gutteil des Stückes steht und fällt. Das Publikum dankte es den Sängern durch viele Bravo Rufe, natürlich wurde Unterreiner besonders gefeiert. Trotz der allgemeinen Begeisterung sollte kritisch angemerkt werden, dass er unter dem Druck des Rollendebüts dazu tendierte, schauspielerisch an manchen Stellen etwas zu viel zu tun, was aufgrund seiner stimmlichen Möglichkeiten als durchaus unnötig erschien. Dies sei einem jungen Sänger aber verziehen.
 
Die Slowakischen Philharmoniker sorgten unter der Leitung von Ralf Weikert für den nötigen Wagnersound. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass man den „Lohengrin“ schwerlich besser hören kann. Hierfür sorgte, man sollte nicht vergessen, dass es sich auch um eine Choroper handelt, auch der Chor der Slowakischen Philharmonie, der unter der Leitung von Jozef Chabron alle Klippen der Partitur meisterte.
 
Wer nach solchen Aufführungen mit vom Applaus schmerzenden Händen das Theater am Abend verläßt, freut sich bereits auf das nächste Jahr, wenn in Wels „Tannhäuser“ und „Tristan und Isolde“ gegeben werden.
 
Stefan Simon

Mittwoch, 28. Mai 2014

IL BARBIERE DI SIVIGLIA, STAATSOPER MÜNCHEN, 26.05.2014
Nur weil ein sogenannter Star absagt, heißt das noch lange nicht, dass eine Aufführung schlecht sein muss. So geschehen in München. Juan Diego Florez war vorgesehen  und wurde durch den eher unbekannten Eduardo Rocha ersetzt.  Letzterer ergriff die Gelegenheit beim Schopf und lieferte eine sehr respektable Gesangsleistung ab. Ein hoher schlank-geführter  Tenor mit angenehmem Timbre und sicher gesungenen Koloraturen vermochte durchaus für sich einzunehmen. Auch das engagierte Spiel Rochas konnte den positiven Eindruck  abrunden. Schade war nur, dass man Almavivas große Arie am Ende verzichtet hatte - diese hätte ich dem Sänger durchaus zugetraut.
 Mit Kate Lindsey war auch die Rosina an diesem Abend sehr gut besetzt. Sie verfügt über einen dunklen, klangvollen Mezzo und sang die Koloraturen sehr sauber und virtuos. Auch darstellerisch nahm man ihr sowohl das freche Gör, als auch das verliebte Mädchen gleichermassen jederzeit ab. So soll es sein.  
Rodion Pogassovs Faktotum Figaro hat einen hellen, sehr  schönen Bariton, der stimmlich keine Wünsche offen ließ, allerdings hätte ich mir von seinem Figaro etwas mehr Schlitzohrigkeit gewünscht um restlos überzeugen zu können.  
Renato Girolami als Bartolo ist derzeit wohl unübertroffen. Er scheint das Buffo-Talent im Blut zu haben und kostete die diesbezüglich in dieser Inszenierung gegeben Freiheiten voll aus. Das war nicht nur ein boshafter, schrulliger alter Mann, sondern ein Mensch der alles darum geben würde, mit der jungen Generation noch einmal mithalten zu können. Köstlich seine Wutausbrüche, in denen er  als "Dottor' della mia sorte" vergeblich versuchte, sich als Autorität in Szene zu setzen. 
Leider konnte Peter Rose als Basilio trotz engagiertem Spiel nicht ganz auf diesem Niveau mithalten. Man vermisste bisweilen das verschlagene, ja dämonische in dessen eher trocken timbrierten Bass, so dass das Gift der Calunnia bisweilen seine Wirkung verfehlte. 
Trotz angestrengter Höhe trug Hanna Elisabeth Müller als koloraturniesende Berta mit ihrem komödiantischen Talent viel zum Gelingen der Aufführung bei.
Während der Chor als liebevoll im Stil des 18. Jahrhunderts kostümierte  Soldatentruppe mit Bravour sang und spielte, hätte ich  Antonello Allemandi am Pult an diesem Abend etwas mehr Geist gewünscht, um  Rossinis Juwelen restlos zum Funkeln zu bringen. 
Immer noch als mustergültig zu bezeichnen ist Feruccio Soleris hinreißende Inszenierung aus dem Jahr 1989. Ganz in der Tradition der Commedia dell' Arte verhaftet, setzt sie auf spontane Situationskomik und ehrliche Emotionen. Alles ergibt sich aus der Musik und wird in den Rezitativen durch die wunderbaren Improvisationen am Cembalo unterstützt. Von platten Gags, wie man sie heute in Rossini-Inszenierungen erleben muss, bleibt man dabei glücklicherweise verschont. Ehrliche Emotionen und aufrichtiger Humor führen hier zurück zu dem, was die Oper sein sollte: ein Gesamtkunstwerk. Dazu trägt auch das liebevoll gestaltete, wunderschöne Bühnenbild von Carlo Tommasi bei. Ein sich drehendes herrschaftliches Haus in Sevilla zollt nicht nur den Vorgaben des Librettos Respekt, sondern ermöglicht auch reibungslose Szenenwechsel. Wunderschön und intelligent auch Ute Frühlings Kostüme, die alles in sich vereinen: Commedia dell'Arte, gesellschaftlichen Stand und Hinweise auf den Charakter der Protagonisten. Man kann nur hoffen, dass diese wunderbare Produktion noch lange erhalten bleibt und auch künftigen Generationen zeigt , was Oper sein kann und sein sollte.
 Wer so etwas  wunderbares und wertvolles als langweilig, nicht mehr zeitgemäß oder gar verstaubt bezeichnet, beweist nicht nur mangelnde Kenntnis von Rossinis  Werk, sondern sollte sich vielleicht fragen, ob er in der Oper überhaupt richtig ist.

Montag, 26. Mai 2014

Glanzvolle Tosca im Schillertheater
am 24.5.2014

Ein gelungener Opernabend, der das Publikum aufwühlt, belebt, beglückt und anregt, ist in den Zeiten der allgegenwärtigen Regietheater-Diktatur eher seltener geworden, zumal man auf vielen Opernbühnen auch Sänger und Sängerinnen zu hören bekommt, die ihren Rollen nur bedingt gerecht werden. Umso schöner, wenn es dann und wann doch noch erfreuliche Ausnahmen gibt.
Eine solche war die 177. Vorstellung der Tosca in der Inszenierung Carl Rihas, einer äußerst erfolgreichen Produktion, die allerdings schon bald durch eine „Neuproduktion“ ersetzt werden wird, die sicherlich gar nicht so neu sein wird – denn außer der althergebrachten, immer gleichen Aktualisierungsmanie hat das sogenannte moderne Regietheater wohl kaum etwas wirklich wichtiges zu bieten - wenngleich seine Macher das auch anders sehen mögen. Die Bühnenbilder von Wolfgang Bellach sind wuchtig und düster, aber sie passen wunderbar zur bedrohlichen Atmosphäre, die sich schon gleich zu Beginn über der Oper ausbreitet. Auffallend ist eine gute Lichtregie, die noch mit Verfolgern arbeitet, was heutzutage ebenfalls einer Seltenheit gleichkommt.Im dritten Akt sehen wir nicht die im Morgenrot schimmernde Kuppel des Petersdoms, sondern befinden uns im Innern der trutzigen Engelsburg; allenfalls hinter den Zinnen sehen wir ein Stück Himmel. Im Mittelpunkt befindet sich jedoch die Zelle des unglücklichen Malers Cavaradossi, der in die Fänge der unerbittlichen Justiz des Polizeistaates geraten ist. Ein Entrinnen kann und wird es daraus nicht geben – diesen Eindruck vermittelt das bedrückend wirkende Bühnenbild.
Qualitativ hochwertige Aufführungen an einer großen Bühne - selbst wenn die (Schauspiel)bühne des Schillertheaters räumlich gesehen kaum als groß zu bezeichnen ist - werden nicht nur durch gute Solisten, sondern auch gute Sänger in  Nebenrollen bestritten. Genau dies wurde vom ersten Moment an deutlich. Sowohl Artu Kataja (Angelotti) als auch Raimund Nolte (Mesner) und Michael Smallwood (Spoletta) konnten stimmlich und darstellerisch voll überzeugen; gerade der linkisch-bigotte Mesner, dessen leichtfertiges Gerede an der Katastrophe ja keinen geringen Anteil hat, wurde von Raimund Nolte hervorragend gespielt.

Béatrice Uria-Monzon stellte eine wunderbare Tosca dar – leidenschaftlich, verzweifelt, naiv und krankhaft eifersüchtig. Ihre flammenden Höhen waren genau das, was diese Rolle braucht. Im dritten Akt waren manche ihrer hohen Töne etwas zu offen, aber beim berühmten Vissi d'arte konnte sie auch hohen Erwartungen gerecht werden, wenngleich man sich stellenweise ein etwas ausgeglicheneres Piano gewünscht hätte. Über die Qualität ihrer Stimme, die der Sängerin ein sehr breites Repertoire gestattet, kann es jedoch keine Diskussion geben.

Gute Tenöre sind ja nicht nur heuer eher Mangelware. Umso erfreulicher, dass Jorge de Leon als Cavaradossi vom Gegenteil überzeugen konnte. Seine kraftvolle, jugendlich-dramatische Stimme bekam der Rolle sehr gut, und von solch strahlenden, voluminösen Höhen könnten viele, ansonsten in den Medien ungleich präsentere Kollegen wohl nur träumen. Mittellage und Mezzavoce klangen stellenweise etwas fest, man hatte den Eindruck, dass der Tenor seine Stimme unnötig drossele, was bei so einem herrlichen Material sehr schade ist. Wenn es ihm jedoch gelingt, auch die Mittellage so locker und unverkrampft wie die Höhe anzugehen, wird er dem Publikum hoffentlich noch lange als für das italienische Tenorfach prädestinierter Sänger erhalten bleiben.

Der lettische Bassbariton Egil Silins war ein furchterregender und einschüchternder Polizeichef Scarpia – ganz  so, wie die Rolle musikalisch und darstellerisch auch angelegt ist. Vom ersten Augenblick an konnte man die Klasse dieser hervorragend geführten, voluminösen (Wagner)stimme genießen. Das Eingangsmotiv des Scarpia – eine düstere, nahezu schwarz wirkende Folge aus einem B-Dur, As-Dur und E-Dur-Akkord kündigt den Mann an, der – genau wie Cavaradossi es beschreibt – als brutaler Henker und bigotter Beichtvater zugleich Rom beherrscht. Wenn nun ein solch skrupelloser Machtmensch dann auch musikalisch so überzeugend dargeboten wird, wie es Egil Silins gelang, kann das Publikum sich ganz in die bedrückende Geschichte dieser Oper hineinversetzen.

Stefano Ranzanis Dirigat war besonders bei den fff-Stellen wuchtig und überzeugend, generell hätte man aber, vor allem zugunsten der Sänger, etwas mehr Differenzierung erwarten können, was bei einem so hochwertigen Klangkörper wie der Staatskapelle Berlin wohl kein Problem darstellen dürfte. Tosender Beifall schloss diesen großartigen Opernabend ab.

Aus der Internetseite der Staatsoper geht hervor, dass es sich bei dieser Vorstellung wohl um die letzte Aufführung dieser Inszenierung gehandelt haben muss, denn schon in der nächsten Spielzeit wird sie durch besagte Neuproduktion ersetzt. Warum? Ist es wieder einmal das äußerst fadenscheinige Argument, dass die Kulissen der nun schon seit 1976 so erfolgreich laufenden Produktion in die Jahre gekommen seien? Oder ist nicht mittlerweile eine gewisse Systematik zu beobachten, mit der die pseudointellektuellen Zwangsbeglücker alte Inszenierungen ausmustern, um die Werke ihren abstrusen Neudeutungen zu unterziehen? Wie immer es auch sei – liebe Theatermacher, bitte seid wenigstens ehrlich! Passieren kann euch, die ihr wie in keinem zweiten Land dieser Welt steuerlich subventioniert werdet, auf dass ihr eurer als "Kunst" deklarierten Minderheitenbespaßung frönen könnt, doch eigentlich gar nichts. Oder doch? Seid ehrlich und initiiert nicht noch so peinliche Schmierenkomödien wie „Schadet Regietheater der Oper ?“, indem allen Ernstes Personen wie Jürgen Flimm und Kollegen ausgerechnet zu diesem Thema befragt werden, die sich dann erwartungsgemäß selbst ausgiebig beweihräuchern und als Geschenk des Himmels an die Theaterwelt betrachten. Das ist in etwa so, als würde man eine Talkshow zum Thema „Schadet Rauchen der Gesundheit?“ senden, zu der ausschließlich Vertreter der Tabakkonzerne eingeladen und befragt werden. Bitte spart euch das in Zukunft! Seid ehrlich und inszeniert eure super-intellektuellen, super-gesellschaftskritischen, super-bewegenden Visionen für euch und eure Getreuen ergo Kritiker, vorbei an Stück und Publikum und vor halbleeren Häusern. Die Quittung dafür wird sowieso nicht ausbleiben, aber verschont uns wenigstens mit scheindemokratischen Diskussionen. Herzlichen Dank!

opera head 
Le Corsaire - ein fantastischer Ballettabend mit der Staatlichen Ballettschule Berlin

Ein Berlinbesuch ohne eine Vorstellung des Berliner Staatsballetts ist kaum denkbar; ebenso interessant ist es jedoch, auch die Ausbildungsabteilung des Balletts einmal in Aktion zu erleben, denn schnell wird klar, dass die hohe Qualität der Compagnie nicht von ungefähr kommt, wenn schon die Ballettschule einen so grandiosen Tanzabend mit der Darbietung des äußerst anspruchsvollen „Corsaire“ gestalten kann. Die Qualität, die nicht zuletzt auch durch die künstlerische Professionalität des vorherigen Intendanten Vladimir Malakhov weiterentwickelt wurde, war jedenfalls deutlich zu spüren, und es bleibt zu hoffen, dass auch sein Nachfolger Nacho Duato dies in  Form eines abwechslungsreichen Programms,in dem der klassischen Balletttradition ein hoher Anteil zugesprochen wird, auf diesem Niveau weiterzuführen weiß.

Eine spannende Geschichte um Piraten, Sklavinnen, einen Sklavenhändler und natürlich eine große Liebe fesselte das durchschnittlich recht junge Publikum im Schillertheater. Daran hatten neben der Tanzkunst sicherlich auch die farbenprächtigen Kostüme und das einfache, aber sehr elegante und passende Bühnenbild ihren Anteil.

Die anspruchsvolle Choreographie nach Marius Petipa, welche von Christoph Böhm einstudiert wurde, wurde von Solisten und Corps de Ballett sehr eindrucksvoll getanzt.
Star des nahezu ausverkauften Premierenabends war die sich nunmehr im achten Ausbildungsjahr befindende Nemu Kondo in der Rolle der Medora. Kondo tanzt die schwierigsten Figuren (inklusive der so gefürchteten Fouettés) mit einer Leichtigkeit, die nur verblüffen kann. Man kann sich sicher sein, dass man eine so begabte Ballerina bald auch auf anderen großen Bühnen in klassischen und modernen Balletten erleben wird. Sara Zinna in der Rolle der Gulnare ist eine ebenso vielversprechende Tänzerin. Shotaro Shimazaki als Piratenkapitän Konrad tanzte sehr kraftvoll, und die Battements gelangen ihm ausgezeichnet. Auch seine Piraten-“Kollegen“ Indra Stark als Birbanto und Michael Beliov (Ali) beeindruckten mit einem technisch hochwertigem Tanzstil, letzterer besonders im Pas de trois mit Nemu Kondo und Shotaro Shimazaki. Justin Rimke in der Rolle des Sklavenhändlers Lankendem stellte seiner Qualitäten gleich im ersten Akt unter Beweis, eine tadellose Manège weist auf die kommende Tanzkarriere hin.

Es ist sehr erfreulich, dass ein so entbehrungsreicher Beruf wie der des klassischen Tänzers keine Nachwuchssorgen zu kennen scheint und dass es nicht an jungen, talentierten Menschen mangelt, die aus Liebe zum klassischen Tanz eine Profi-Karriere, so hart sie auch sein mag, als Lebensweg wählen. Hut ab!

opera head

Montag, 14. April 2014

Arabella in Salzburg

Gestern kam auf 3-Sat die Übertragung der "Arabella" aus Salzburg. Ich war deshalb besonders neugierig, weil in der neuen Spielzeit diese Inszenierung mit fast derselben Besetzung in Dresden zu sehen sein wird.

Zunächst mein Gesamteindruck - es hat mich nicht vom Stuhle gerissen, die sonst üblichen kalten Schauer über den Rücken blieben aus. Warum? Ich versuche es zu erklären.

Die Regie war kein Regietheater im Sinne einer Verunstaltung, es war eine originalgetreue Arabella. Im 1. Akt ein der finanziellen Situation der Fam. Waldner angepaßtes zweitklassiges Hotel-Appartement, da gab es nichts zu meckern. Im 2. Akt der Ballsaal war zwar kein Ballsaal, aber das geräumige Hotelfoyer wurde durch geschickte Kulissenverschiebungen zum Ballsaal gemacht. Und der 3. Akt war wieder im reinen Foyer. Trotzdem fehlte etwas, es hat mich nicht berührt. War es die fehlende Treppe, die fehlende gewohnte rote Farbe der Plüschmöbel? Weiß nicht, ich fand es unpersönlich und wenig athmosphärisch.

Die Kostüme waren teilweise sehr schön. Arabella im 1. Akt zweckmößig, Graf Waldner und Frau ebenso, und über Zdenka in Männersachen gab es auch nichts zu meckern. Mandryka paßte optisch gut in seine Rolle. Matteo hätte man etwas anders ausstaffieren können. Im 2. und 3. Akt war das Kleid von Arabella ein echter Hingucker, tolles Kleid. Die ihrer Männerkleider entledigte Zdenka machte allerdings einen etwas platten und bubernen Eindruck. Die Fiakermilli kann man so darstellen.

Gar nicht gefallen hat mir die Positionierung des Männerchores mit militärisch exakt ausgerichteter Aufstellung im 3. Akt. In meinen Augen waren die Herren in Horch und Guck-Pose ohne jede Bewegung zu statisch, ausdruckslos, ohne Emotion.

Also Inszenierung und Kostüme mit Schulnoten waren etwa eine 3, mehr nicht. Ich glaube, beim Schlußapplaus auch vereinzelte Mißfallensrufe gehört zu haben. Ein Buhkonzert gab es aber nicht, das wäre auch unverdient gewesen.

Nun zur Musik. Die Staatskapelle Dresden unter Thielemann machte einen guten Job. Aber ob es an der Übertragung oder an der Akustik lag - es war mir zu trocken, zu wenig der typische Strauß-Streicherklang, den gerade die Dresdener so gut beherrschen.
Gesanglich ist festzustellen, daß Renee Fleming als Arabella etwas Zeit brauchte, um in Form zu kommen. Allerdings war sie im 2. und 3. Akt auf der Höhe und optisch nach wie vor sehr sehenswert. Im Finale war sie das, was ich erwartet hatte - eine große Sängerin. Man kann verstehen, daß Mandryka (Thomas Hampson) sich in diese Frau verguckt hat. Nicht verstehen kann ich allerdings die Hype, die um Hampson gemacht wird. Er hat mir überhaupt nicht gefallen, selbst in Chemnitz habe ich bessere Stimmen erlebt, von Tonaufnahmen ganz zu schweigen. Sicher ist die Partie schwierig, aber das weiß ich doch, wenn ich sie annehme!
Die Zdenka war phantastisch, im Duett "Aber der Richtige.." war sie der Fleming fast überlegen. Daniel Behle als Matteo war gut. Die Fiakermilli sehr gut. Graf Waldner (Albert Dohmen) paßte sehr gut in die Rolle, optisch, auch gesanglich. Der Sänger des Grafen Elemer stand dem Herrn Behle in nichts nach, auch wenn sein Name mir entfallen ist. Alle anderen Sänger waren auf der Bühne ohne nachhaltigen Eindruck.

Alles in Allem eine angenehme Aufführung, mehr nicht. Ich habe sie aufgenommen, aber ob ich sie behalte oder wieder lösche, das weiß ich noch nicht.

Mich würde schon interessieren, ob und wie andere Opernfreunde diese Inszenierung gesehen haben.

U.B.

Freitag, 11. April 2014


Der neue "Lodengrün" an der Wiener Staatsoper - Ein Generalprobenbesuch von Saskia Ellmer


Mikko Franck | Dirigent
Andreas Homoki | Regie
Wolfgang Gussmann | Ausstattung
Franck Evin | Licht
Werner Hintze | Dramaturgie
Thomas Bruner | Bühnenbildmitarbeit
Carl-Christian Andresen | Kostümmitarbeit

Günther Groissböck | Heinrich der Vogler, deutscher König
Klaus Florian Vogt | Lohengrin
Camilla Nylund | Elsa von Brabant
Wolfgang Koch | Friedrich von Telramund, brabantischer Graf
Michaela Martens | Ortrud, seine Gemahlin
Detlef Roth | Der Heerrufer des Königs


Ich möchte vorausschicken, sehr positiv in diese Generalprobe gegangen zu sein, da ich der festen Meinung war, es könnte nicht schlimmer kommen, als die letzte "Inszenierung" von Barrie Kosky war. Nun, ich fand es auch nicht schlimmer, aber anders schlimm. 

Ich fürchte, ich bin ein sehr dummer Mensch, denn ich habe nicht verstanden, was "Lohengrin" im Trachtenverein verloren hat. Es bestehen durchgehend alle Kostüme aus Trachtenkleidern, Dirndln, Trachtenanzügen, Hüten mit Gamsbärten, etc. Dazu "Gretelfrisuren", und ich frage mich wirklich, was z.B. Elsa von Brabant anficht, eine solche zu tragen. Was wollen Andreas Homoki und Wolfgang Gussmann damit ausdrücken? Soll das lustig sein? Macht er sich über die "Deutschtümelei" lustig? Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen. Trachten sind zeitlose Kleidungsstücke, die gerade jetzt wieder sehr modern sind und mit einer etwaigen Gesinnung überhaupt nichts zu tun haben. Das scheinen die Herren in ihrer Regietheater-Ignoranz verschlafen zu haben. 
Verschlafen hätte ich aber beinahe sonst so einiges, da ich mich großteils tödlich gelangweilt habe. Der finnische Dirigent Mikko Franck verschleppt die sonst so spannungsgeladene Musik teilweise bis zur Unkenntlichkeit. Man muss ihm zwar zugute halten, dass er erst so kurzfristig von Bertrand de Billy übernommen hat, ich nehme allerdings an, er hat bereits Erfahrung mit dem Werk, da es ja sonst unverantwortlich wäre, ihn an so einem Haus übernehmen zu lassen. Klaus Florian Vogt in der Titelrolle ist ein sehr erfreulicher Anblick, allerdings endet die Freude hier auch schon wieder. Er ist stimmlich heillos überfordert, ist teilweise kaum zu hören und das, was man hört, ist von Wohlklang leider ziemlich weit entfernt. In den letzten Tagen fiel immer wieder das Wort 'Knabensopran'...Mei, wir wollen es nicht vertiefen. Abschließend zu Herrn Vogt bleibt die Feststellung, dass dieser Sänger allenfalls als Lohengrin-Paradie gemeint sein kann, was aber in Regietehater-Zeiten, in denen keiner mehr was von Stimmen versteht, leider nichts ungewöhnliches wäre.... Camilla Nylund singt und spielt ihn locker an die Wand, besticht durch eine wunderbare Mittellage, sichere Höhen und gibt das gute Gefühl, keinerlei Probleme zu haben. Positiv überrascht hat mich auch Michaela Mertens als Ortrud, der man ein paar kleine Schärfen gerne verzeiht. Unbedingt hervorzuheben ist Günther Groissböck als Heinrich der Vogler, der in diesem Ensemble die Ehre der Herren rettet. Mit prachtvoller, gut geführter Stimme gibt er seiner Figur Konturen und erzeugt spannende Momente, obwohl auch er, wie alle, in ständigem Clinch mit den seltsamen Tempi des Dirigenten lag..

 Zuletzt wollte ich über die Personenführung berichten, alleine, ich konnte keine entdecken. Hätten die Sänger untereinander vereinbart, wie sie sich in der eigenartigen Kulisse bewegen und geben wollen, wäre es wahrscheinlich noch besser und glaubwürdiger geworden. So stolpern sie in Szenen herum, die von wenig Sinn und Verstand zeugen. Es wird mit einem Spielzeugschwänchen herumgespielt, Herr Vogt darf in einem kurzen Nachthemd seine ansehnlichen nackten Beine zeigen und mit Elsa einmal mehr am Boden sitzend Hochzeit feiern. Wie originell....!

 Fazit: die ganze Inszenierung bleibt in einem Wust an langweiligen Banalitäten hängen. Auch musikalisch haben wir schon viel bessere Zeiten in Wien erleben dürfen. Wir haben nun eine weitere Aufführung im Repertoire, deren Besuch man sich getrost sparen kann. Schade, eine weitere vertane Chance.