Sonntag, 24. September 2017

Grandiose Cavalleria rusticana/ I Pagliacci in Hamburg (22.09.)




Wann ist ein Opernabend wirklich gelungen? Abgesehen von einer stimmigen Inszenierung, die das Werk und nicht den x-ten Regie-Exzess zeigen sollte? Nun, wir finden, vor allem dann, wenn die Sänger so gut (weil rollengemäß besetzt) sind, dass sie es dem Publikum ermöglichen, die grandiose Musik und die Dramatik des Stoffes zu genießen und intensiv zu erleben. Eigentlich ja eine selbstverständliche Angelegenheit, aber in heutigen Zeiten, in denen stimmliches Können vielfach eben gerade nicht mehr ausschlaggebend zu sein scheint, in der Agenturen und Medien sogenannte Stars künstlich kreieren, und in der Fehlbesetzungen fast an der Tagesordnung zu sein scheinen, ist gerade das ein eher seltenes Glück geworden. Nicht so in der hanseatischen Metropole des Nordens.

Der Abend begann mit Mascagnis Cavalleria rusticana, die nach der bekannten gleichnamigen Novelle Giovanni Vergas entstand. Giancarlo del Monaco, der mit seinen späteren Regien seinem berühmten Namen nun wirklich keine Ehre gemacht hat, gelang mit dieser Arbeit (wie auch mit den Pagliacci) aus dem Jahr 1988 eine werkgerechte, stimmige  Visualisierung des bekannten Verismo-Stoffs. Und siehe da - es ist möglich, ein Werk so zu inszenieren, dass man es wiedererkennt. Es bedarf keiner Mätzchen, Umdeutungen und Belehrungen, ohne die heutige "Regisseure" ja nicht mehr auskommen. Es klappt - so ganz ohne konstruierte Nebenhandlungen durch unnötige Statisten, so ganz ohne sinnfreien Aktionismus und billige Pornographie. Selbst auf das obligatorische Pissoir bzw. Toilettenbecken wurde verzichtet. Lediglich ein typisches sizilianisches Dorf war da zu sehen, und ansonsten gute bis sehr gute Sänger zu hören. Wie konnte das nur funktionieren? 

Ein wirklich stimmgewaltiges Protagonistentrio hatte man sich da für die Aufführung gesucht.
Elena Zhidkovas Santuzza beeindruckte mit flammenden Höhen, aber auch mit lyrischen, geradezu herzzerreißenden Passagen im Duett mit Turiddo, sowie durch eine sehr kluge darstellerische Gestaltung der Rolle. Man konnte die Verzweiflung der verlassenen und exkommunizierten Sizilianerin hautnah spüren, einer Frau, die jeglichen Stolz und jede Würde vergisst, um ihren wankelmütigen früheren Geliebten vergeblich wieder für sich zu gewinnen.

Der junge rumänische Tenor Teodor Ilincai war stimmlich und darstellerisch ebenfalls das, was man von einem Turiddo erwartet. Im hochdramatischen Duett mit Santuzza entfaltete er sein ganzes Können – eine strahlende Höhe sowie eine kräftige Mittellage, die es mit dem großartigen Philharmonischen Staatsorchester durchaus aufnehmen konnten. Nein, hier wurde nicht gespart, sondern wirklich alles gegeben, auch im traurigen “Mamma ..quel vino è generoso..”, mit dem sich der todgeweihte Turiddo von seiner Mutter verabschiedet.
Dass del Monaco Mamma Lucia (Renate Spingler) die letzten Worte ihres einzigen Sohnes seltsam distanziert vom Balkon vernehmen lässt, soll vielleicht die Ahnungslosigkeit Lucias symbolisieren, erscheint aber angesichts der klaren Worte Turiddos “Un bacio..mamma, un'altro bacio..” als regielicher Irrtum.Natürlich ist da der berühmte sizilianische Stolz, aber angesichts eines so verzweifelten Sohnes, dem sein sichere Tod gewiss ist, dürfte sich gerade eine sizilianische Mutter wohl kaum dessen letzten Gruß nur vom Balkon aus anhören.
Mit dem Alfio von George Gagnidze ist aber auch wirklich nicht gut Kirschen essen gewesen. Bei so einem fulminanten ersten Auftritt (Il cavallo scalpita), der dem brutalen Fuhrmann stimmlich wie darstellerisch mehr als nur gerecht wurde, konnte man sich schon lange vorher ausrechnen, dass die Geschichte übel enden würde, noch vor Lolas (sehr schön: Dorottya Lang) sehr treffenden Worten: “Ahime che mai sarà?”. Chor und Orchester unter der Leitung von Josep Caballé-Domenech spielten und sangen in gewohnter und bewährter hoher Qualität, wenngleich es beim Chor stellenweise etwas “klapperte.”

Insgesamt eine Cavalleria, die so ganz mit dem übereinstimmte, was der sizilianische Schriftsteller Giuseppe Tomasi de Lampedusa in seinem Meisterwerk Il Gattopardo den Fürsten von Salina über seine Landsleute sagen lässt: “ Die Offenbarungen des sizilianischen Wesens kommen aus krankhafter Träumerei. Unsere Sinnlichkeit ist Sehnsucht nach Vergessen...Unsere Flintenschüsse und Messerstiche Sehnsucht nach Tod.”

Nach diesem berauschenden Auftakt hätte man von den Pagliacci kaum eine Steigerung erwarten können – wohl aber gleichbleibende Qualität, was auch so geschah.

Zeffirelli hatte in seinem Film von 1982 die Handlung, die eigentlich auf der Basis einer wahren Begebenheit 1865 spielt, in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen verlagert; del Monaco versetzt sie in die Fünfziger Jahre. Wenn es überhaupt eine Oper gibt, die eine Zeitversetzung (allerdings natürlich nicht mit unbegrenztem Spielraum) mitmachen kann, dann ist es I Pagliacci.
Es tut der ärmlichen Schauspieltruppe Canios also keinen Abbruch, wenn der Wagen mit den Bühnenutensilien nicht von einem Maultier gezogen wird, sondern aus der Ladefläche einer typischen Ape besteht. Die reizende Commedia dell'arte-Anspielung, die sich dann in sehr treffenden Kostümen später im 2. Akt auf genau dieser Ladefläche entspinnt, steht in bester Tradition.

Wenn ein des zweifachen Mordes schuldig gewordener Mann wie Canio dennoch den meisten Applaus erhält, liegt das einerseits an der unsterblichen Musik, die Leoncavallo ihm komponiert hat, andererseits aber natürlich an einer Leistung, wie sie der Koreaner Alfred Kim in der Rolle des unglücklichen Chefs des Wandertheaters ablieferte. Sein durchgeformter, ungemein metallisch-voluminöser Tenor wurde vor allem in den hohen Lagen spielend mit den orchestralen Anforderungen fertig, und das tragische Ridi pagliacci geriet gar zu einer Lehrstunde in Sachen Atemtechnik, ebenso wie das zornig-verzweifelte No, pagliaccio non son.

Hayoung Lee in der Rolle der lebenslustigen und freiheitsliebenden Nedda stand ihm in nichts nach. Im träumerischen Stridono lassù und den glockenhellen Höhen der koreanischen Sopranistin konnte man die ganze Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit heraushören und erleben. Dankbarkeit – so begründet sie auch sein mag – kann eben keine Liebe sein, und mehr kann Nedda für den unglücklichen Canio kaum empfinden. In der Szene mit Tonio, den ebenfalls George Gagnidze als bösartigen, aber sich – wie alle Lebenden- dennoch nach Liebe und Anerkennung Sehnenden wunderbar glaubhaft interpretierte, konnte sie dann auch ihre dramatische Seite zeigen, desgleichen auch im Duett mit ihrem Geliebten Silvio ( zu lyrisch: Alexey Bogdanchikov).

Eine schöne Commedia konnte man dann sehen, inklusive hervorragend gesungenem Ständchen eines sogar akrobatisch veranlagten Arlecchino (Oleksiy Palchykov), überzogenen Scherzen und dem bekannten, gar nicht komischen Ende, das immer wieder für Gänsehaut sorgt, egal, wie oft man die Oper nun schon erlebt hat.

Dem Zauber dieses Abends konnten sich  die eher zurückhaltenden Hanseaten dann auch nicht entziehen und spendeten dem Sängerensemble den wirklich verdienten, üppigen Applaus.