Wann ist ein Opernabend
wirklich gelungen? Abgesehen von einer stimmigen Inszenierung, die
das Werk und nicht den x-ten Regie-Exzess zeigen sollte? Nun, wir
finden, vor allem dann, wenn die Sänger so gut (weil rollengemäß
besetzt) sind, dass sie es dem Publikum ermöglichen, die grandiose
Musik und die Dramatik des Stoffes zu genießen und intensiv zu
erleben. Eigentlich ja eine selbstverständliche Angelegenheit, aber
in heutigen Zeiten, in denen stimmliches Können vielfach eben gerade
nicht mehr ausschlaggebend zu sein scheint, in der Agenturen und
Medien sogenannte Stars künstlich kreieren, und in der
Fehlbesetzungen fast an der Tagesordnung zu sein scheinen, ist gerade
das ein eher seltenes Glück geworden. Nicht so in der hanseatischen
Metropole des Nordens.
Der Abend begann mit
Mascagnis Cavalleria rusticana, die nach der bekannten
gleichnamigen Novelle Giovanni Vergas entstand. Giancarlo del Monaco, der mit seinen späteren Regien seinem berühmten Namen nun wirklich keine Ehre gemacht hat, gelang mit dieser Arbeit (wie auch mit den Pagliacci) aus dem Jahr 1988 eine werkgerechte, stimmige Visualisierung des bekannten Verismo-Stoffs. Und siehe da - es ist möglich, ein Werk so zu inszenieren, dass man es wiedererkennt. Es bedarf keiner Mätzchen, Umdeutungen und Belehrungen, ohne die heutige "Regisseure" ja nicht mehr auskommen. Es klappt - so ganz ohne konstruierte Nebenhandlungen durch unnötige Statisten, so ganz ohne sinnfreien Aktionismus und billige Pornographie. Selbst auf das obligatorische Pissoir bzw. Toilettenbecken wurde verzichtet. Lediglich ein typisches sizilianisches Dorf war da zu sehen, und ansonsten gute bis sehr gute Sänger zu hören. Wie konnte das nur funktionieren?
Ein wirklich
stimmgewaltiges Protagonistentrio hatte man sich da für die
Aufführung gesucht.
Elena Zhidkovas
Santuzza beeindruckte mit flammenden Höhen, aber auch mit lyrischen,
geradezu herzzerreißenden Passagen im Duett mit Turiddo, sowie durch
eine sehr kluge darstellerische Gestaltung der Rolle. Man konnte die
Verzweiflung der verlassenen und exkommunizierten Sizilianerin
hautnah spüren, einer Frau, die jeglichen Stolz und jede Würde
vergisst, um ihren wankelmütigen früheren Geliebten vergeblich
wieder für sich zu gewinnen.
Der junge rumänische
Tenor Teodor Ilincai war stimmlich und darstellerisch
ebenfalls das, was man von einem Turiddo erwartet. Im
hochdramatischen Duett mit Santuzza entfaltete er sein ganzes Können
– eine strahlende Höhe sowie eine kräftige Mittellage, die es
mit dem großartigen Philharmonischen Staatsorchester durchaus
aufnehmen konnten. Nein, hier wurde nicht gespart, sondern wirklich
alles gegeben, auch im traurigen “Mamma ..quel vino è generoso..”,
mit dem sich der todgeweihte Turiddo von seiner Mutter
verabschiedet.
Dass del Monaco Mamma
Lucia (Renate Spingler) die letzten Worte ihres einzigen
Sohnes seltsam distanziert vom Balkon vernehmen lässt, soll
vielleicht die Ahnungslosigkeit Lucias symbolisieren, erscheint aber
angesichts der klaren Worte Turiddos “Un bacio..mamma, un'altro
bacio..” als regielicher Irrtum.Natürlich ist da der berühmte
sizilianische Stolz, aber angesichts eines so verzweifelten Sohnes,
dem sein sichere Tod gewiss ist, dürfte sich gerade eine
sizilianische Mutter wohl kaum dessen letzten Gruß nur vom Balkon
aus anhören.
Mit dem Alfio von George
Gagnidze ist aber auch wirklich nicht gut Kirschen essen
gewesen. Bei so einem fulminanten ersten Auftritt (Il cavallo
scalpita), der dem brutalen Fuhrmann stimmlich wie darstellerisch
mehr als nur gerecht wurde, konnte man sich schon lange vorher
ausrechnen, dass die Geschichte übel enden würde, noch vor Lolas
(sehr schön: Dorottya Lang) sehr
treffenden Worten: “Ahime che mai sarà?”. Chor und Orchester
unter der Leitung von Josep Caballé-Domenech
spielten und sangen in gewohnter und bewährter hoher Qualität,
wenngleich es beim Chor stellenweise etwas “klapperte.”
Insgesamt
eine Cavalleria, die so ganz mit dem übereinstimmte, was der
sizilianische Schriftsteller Giuseppe Tomasi de Lampedusa in seinem
Meisterwerk Il Gattopardo
den Fürsten von Salina über seine Landsleute sagen lässt: “ Die
Offenbarungen des sizilianischen Wesens kommen aus krankhafter
Träumerei. Unsere Sinnlichkeit ist Sehnsucht nach Vergessen...Unsere
Flintenschüsse und Messerstiche Sehnsucht nach Tod.”
Nach
diesem berauschenden Auftakt hätte man von den Pagliacci kaum eine
Steigerung erwarten können – wohl aber gleichbleibende Qualität,
was auch so geschah.
Zeffirelli
hatte in seinem Film von 1982 die Handlung, die eigentlich auf der
Basis einer wahren Begebenheit 1865 spielt, in die Zeit zwischen den
beiden Weltkriegen verlagert; del Monaco versetzt sie in die
Fünfziger Jahre. Wenn es überhaupt eine Oper gibt, die eine
Zeitversetzung (allerdings natürlich nicht mit unbegrenztem
Spielraum) mitmachen kann, dann ist es I Pagliacci.
Es
tut der ärmlichen Schauspieltruppe Canios also keinen Abbruch, wenn
der Wagen mit den Bühnenutensilien nicht von einem Maultier gezogen
wird, sondern aus der Ladefläche einer typischen Ape besteht. Die
reizende Commedia dell'arte-Anspielung, die sich dann in sehr
treffenden Kostümen später im 2. Akt auf genau dieser Ladefläche
entspinnt, steht in bester Tradition.
Wenn
ein des zweifachen Mordes schuldig gewordener Mann wie Canio dennoch
den meisten Applaus erhält, liegt das einerseits an der
unsterblichen Musik, die Leoncavallo ihm komponiert hat, andererseits
aber natürlich an einer Leistung, wie sie der Koreaner Alfred
Kim in der Rolle des
unglücklichen Chefs des Wandertheaters ablieferte. Sein
durchgeformter, ungemein metallisch-voluminöser Tenor wurde vor
allem in den hohen Lagen spielend mit den orchestralen Anforderungen
fertig, und das tragische Ridi
pagliacci geriet gar zu
einer Lehrstunde in Sachen Atemtechnik, ebenso wie das
zornig-verzweifelte No,
pagliaccio non son.
Hayoung Lee
in der Rolle der lebenslustigen und freiheitsliebenden Nedda stand
ihm in nichts nach. Im träumerischen Stridono
lassù und den
glockenhellen Höhen der koreanischen Sopranistin konnte man die
ganze Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit heraushören und
erleben. Dankbarkeit – so begründet sie auch sein mag – kann
eben keine Liebe sein, und mehr kann Nedda für den unglücklichen
Canio kaum empfinden. In der Szene mit Tonio, den ebenfalls George
Gagnidze als bösartigen, aber
sich – wie alle Lebenden- dennoch nach Liebe und Anerkennung
Sehnenden wunderbar glaubhaft interpretierte, konnte sie dann auch
ihre dramatische Seite zeigen, desgleichen auch im Duett mit ihrem
Geliebten Silvio ( zu lyrisch: Alexey Bogdanchikov).
Eine
schöne Commedia konnte man dann sehen, inklusive hervorragend
gesungenem Ständchen eines sogar akrobatisch veranlagten Arlecchino
(Oleksiy Palchykov),
überzogenen Scherzen und dem bekannten, gar nicht komischen Ende,
das immer wieder für Gänsehaut sorgt, egal, wie oft man die Oper
nun schon erlebt hat.
Dem
Zauber dieses Abends konnten sich die eher zurückhaltenden
Hanseaten dann auch nicht entziehen und spendeten dem Sängerensemble
den wirklich verdienten, üppigen Applaus.