Donnerstag, 28. Januar 2016

Glanzvoller Rigoletto an der Mailänder Scala (24.01.2016)




Die erste Wiederaufnahme der laufenden Spielzeit 2015/16 widmete die Mailänder Scala Giuseppe Verdis Dauerbrenner Rigoletto in einer mehr als vielversprechenden Besetzung. Das musikalische Interesse richtete sich dabei vor allem auf Leo Nucci in der Titelrolle, der einmal mehr in eine seiner legendären Glanzpartien schlüpfte und die Rolle des buckligen Hofnarren mit einer atemberaubenden Intensität ausstattete, wie ich es selten erlebt habe. Nucci begann den Abend noch ein wenig zurückhaltend, fand jedoch schnell zu stimmlicher und darstellerischer Bestform, die kaum einen kalt ließ. Wie dieser Rigoletto spottete, klagte, weinte und dem Publikum Einblick in seine zutiefst zerrissene Seele gewährte, das war einfach phänomenal. Dabei beeindruckte der Sänger einmal mehr durch seine ausgezeichnete Technik, welche fast vergessen machte, dass sich der große Sänger im fortgeschrittenen Stadium seiner Karriere befindet und die einst so frische Stimme leicht spröde geworden ist. So gerieten Rigolettos Cortigiani-Arie und das folgende Duett mit Gilda zu einem wahren Höhepunkt. Dazu trug auch die junge Nadine Sierra bei, die mit ihrem glockenhellen Sopran nicht nur ein wunderbares "Caro Nome" sang sondern auch in dem den zweiten Akt beschließendem Rache-Duett "si Vendetta" zu einer dermaßen mitreißenden Fulminanz gelangte, dass dieses vor dem Vorhang zu Beginn der zweiten Pause wiederholt werden musste. Nicht mithalten mit diesem hohen Niveau konnte Vittorio Grigolo als Duca: ein paar schöne Spitzentöne bei La Donna è Mobile konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Sänger an einem ersten Haus wie der Scala im Grunde nichts verloren hat: sein meckerndes Timbre, das mich an ein Spielzeug aus meiner Kindheit erinnerte, bei dem man ziehen musste und dann eine Stimme auf Italienisch sagte: "La Pecora fa Beeeeee", sowie sein undifferenziertes Dauerforte ließen bereits bei "Questa o Quella" Schlimmstes für den weiteren Abend befürchten, was leider auch so eingelöst wurde. Grigolos Auftreten, das an einen eitlen aufgeblasenen Pfau erinnerte, trug im Übrigen zu meiner Antipathie gegen diesen Sänger bei und wird der Rolle auch nicht gerecht. Ein wunderbares mörderisches Geschwisterpaar waren Carlo Colombara als Sparafucile und Annalisa Stroppa als herrlich sinnliche Maddalena. Giovanni Furlanetto dagegen verschenkte seine beiden Auftritte als Monterone. Da klang vieles zu leichtgewichtig, um die Bedeutung dieser Szenen zu verdeutlichen. Sehr schön hatte Nicola Luisotti das Orchester einstudiert, bei dem  die einzelnen Instrumenten-Gruppen wunderbar  herausgearbeitet waren, der Chor war von Bruno Casoni bestens präpariert. Die Scala hatte für diese Serie ihre altbewährte Rigoletto-Inszenierung von 1994 durch Gilbert Deflo wiederaufgenommen. Dieser schreibt im Programmheft, dass er einzig dem Werk dienen wolle - was auf wunderbar unaufgeregte Weise passiert. Alles ergibt sich aus der Musik - der Sänger steht im Mittelpunkt des Geschehens. Ezio Frigerios große Bühnenräume sind wunderschön anzusehen, bewegen sich zwischen Realismus und angedeuteter Abstraktion und entführen einen in die Zeit der italienischen Renaissance, in der das Stück spielt. Auch das Gewitter des dritten Aktes wird mit Regen, Blitz und Donner meisterhaft umgesetzt, allerdings hätte ich auf den Kunstrasen in diesem Akt gerne verzichtet. Ein wahres Fest für die Augen sind Franca Squarciapinos opulente, historisch korrekte  Kostüme. Auch wenn die Inszenierung in einigen Details nicht die Perfektion eines Franco Zeffirelli erreicht, bietet diese wohl letzte richtige Rigoletto-Inszenierung der Welt alles, was es für einen gelungenen Opernabend braucht. "Che bella serata" meinte neben mir eine Dame  beim Verlassen der Scala begeistert. Dem möchte ich gerne beipflichten. Der ungetrübte Jubel am Ende richtete sich dabei nicht nur an die Sänger, sondern vor allem an Giuseppe Verdi, dessen Ehre in düsteren Regietheater-Zeiten wieder rehabilitiert wurde.

Mittwoch, 6. Januar 2016






Fantastische La bohème an der Münchner Staatsoper


Die ausverkaufte Bayerische Staatsoper bot am gestrigen Tag wieder einmal eine Aufführung, die dem guten Ruf dieses Hauses alle Ehre machte, was man bei vielen der letzten Produktionen eher nicht hatte feststellen können.

Asher Fisch dirigierte das gewohnt souverän spielende Staatsorchester gerade anfangs zu sänger-unsensibel, aber die hervorragende Qualität dieses Klangkörpers machte es dennoch möglich, Puccinis Meisterwerk auch orchestral genießen zu können.

Die amerikanische Sopranistin Kristin Lewis gestaltete die tragische Rolle der Mimì sowohl stimmlich als auch darstellerisch sehr ansprechend; ihr eher dunkler, voller Sopran kam besonders im dritten Akt zur Geltung und „Donde lieta uscì“ gelang ihr sehr anrührend und dramatisch, ohne übertrieben sentimental zu wirken. Eine bescheidene, liebenswürdige Näherin, deren ganze Freude die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings sind und die Rodolfos Herz im Sturm erobert – genau dies konnte Lewis mit ihrer bewusst zurückhaltenden, aber sehr durchdachten Interpretation vermitteln. Der üppige Schlussapplaus würdigte ihre Leistung völlig zu Recht.

Die Musette der Kanadierin Joyce El-Khoury geriet ebenfalls zu einem wunderbaren Rollenbild der launischen, aber betörenden Grisette, nach der sich alle Männer verzehren, wenn sie nur eine Straße entlang geht. Anfangs etwas schrill (doch zu dem einmaligen Auftritt gut passend), gelang ihr das „Quando m'en vo“ ganz hervorragend. Im Quartett des dritten Aktes hatte sie dann noch einmal Gelegenheit, ihre stimmlichen Fähigkeiten sehr überzeugend zur Geltung zu bringen. Auch darstellerisch beglückte die köstliche  Szene mit Marcello, die mit den bekannten, wenig schmeichelhaften Bezeichnungen endet.

Der aus der Ukraine stammende Tenor Dmytru Popov war ein großartiger Rodolfo mit strahlenden Spitzentönen, einer kräftigen Mittellage und einer stilistisch sehr geschmackvoll geführten Stimme, die keine Wünsche offen ließ. Den Wettkampf mit Asher Fischs Staatsorchester konnte er nicht immer für sich entscheiden, aber der Sieg bei einem so ungleichen Kräftemessen ist auch von keinem Sänger zu erwarten. Von vielen, wesentlich bekannteren „Stars“ würde man sich jedenfalls eine solche (auch darstellerisch natürliche und ansprechende) Interpretation wünschen.

Markus Eiche als unglücklich liebender Marcello, dem die Schönheit und Launenhaftigkeit Musettes so zu schaffen machen, gestaltete die Rolle mit seinem kräftigen, wohltimbrierten Bariton hervorragend; ein echter Hörgenuss war das wunderbare Duett des vierten Aktes, in dem beide Künstler ihren großen Lieben Mimì und Musette nachtrauern.

Andrea Borghini (Schaunard) und Goran Joric (Colline) komplettierten das leidenschaftliche Künstlerensemble ebenfalls sehr überzeugend.

Otto Schenk hat einmal die Aufgabe des Regisseurs in der ihm eigenen, unnachahmlichen Art und Weise so beschrieben: „Keinen eigenen Käse machen“. Diesem Motto folgt seine nun schon seit 1969 an der Bayerischen Staatsoper zu bewundernde, absolut stimmige Inszenierung, die das Werk – entgegen heutiger Standardpraxis – nicht verfälscht, nicht verbiegt und verhöhnt, sondern schlicht und einfach zur Geltung bringt. Ein perfektes Werk wurde zum Leben erweckt, und zwar ganz ohne diverse „Verschlimmbesserungen“ diverser Werk-oder Weltverbesserer, als die sich heutige Regisseure so gern gerieren. Und siehe da – es funktionierte! Der spontane Applaus beim Aufgehen des Vorhangs im zweiten und das zusätzliche bewundernde Raunen beim Anblick des dritten Akt waren beredte Zeugnisse dafür, dass das Publikum keineswegs so dumm ist, wie es sich viele Regisseure und Intendanten in ihrer Borniertheit einbilden, andererseits aber auch einen offensichtlichen Mangel an solchen Inszenierungen zu beklagen hat. Vor der Kulisse der detailverliebten Bühnenbilder Rudolf Heinrichs, die übrigens Zitate seiner an der Komischen Oper Berlin unter der Regie Walter Felsensteins aufgeführten Bohème sind, entfaltet sich die Kunst einer äußerst gelungenen, aber nie aufdringlichen oder unpassenden Personenregie. Ganz besonders war dies in den Massenszenen im zweiten Akt zu spüren. Das bunte Gewusel des Quartier Latin und mittendrin das tragikkomische Geschehen um Musette, Marcello und Alcindoro, die melancholische Stimmung der Barriere Enfer, der Gegensatz zwischen den anrührenden Liebesschwüren Mimìs und Rodolfos und dem eifersüchtigen Gezänk zwischen Musette und Marcello, die nahezu kindliche Ausgelassenheit der vier Künstler, die außer einem Hering zwar nichts zu beißen, aber dennoch genug Fantasie für übermütige Rollenspiele haben und der abrupte Einbruch des Todes in diese Ausgelassenheit - genau dies ist es, was in der Musik Puccinis zum Ausdruck kommt und so visualisiert werden sollte.

Und genau dies ist Otto Schenk gelungen.

Ein großartiger Opernabend, den das Publikum verdientermaßen mit begeistertem Applaus bedachte. So kann es weiter gehen, liebe Bayerische Staatsoper!