Donnerstag, 23. November 2017

Wie man sich in eine Oper neu verliebt - Turandot an der Met

Wie heißt das Hassobjekt Nr.1 der Regietheater-Mafia? Richtig, Franco Zeffirelli! Und warum wird dieser wunderbare Regisseur von den Regietheater- Leuten so gehasst und verachtet? Weil er ihnen gefährlich wird. Weil sie wissen, dass sie mit ihrem Müll niemals so erfolgreich sein werden wie seine Inszenierungen, welche sich zum Teil Jahrzehnte oder sogar ein halbes Jahrhundert im Repertoire verschiedener Opernhäuser gehalten haben und sich immer noch größter Beliebtheit beim Publikum erfreuen, so wie am ersten Tag.

Und das ist für die mafiösen Strukturen, die das Regietheater in Europa etabliert hat, eben gefährlich. Deswegen versucht die Regietheater-Mafia überall dort, wo sie das Sagen hat, die Inszenierungen von Franco Zeffirelli abzusetzen, denn sie fürchten, dass die übermächtige Erinnerung an diese Meisterwerke der Regie ihr eigenes Nichtkönnen in den Schatten stellen  und in Bedeutungslosigkeit verkommen lassen wird.
Die Jugend soll diese richtige Form der Oper niemals kennenlernen und stramm linientreu im Sinne des Regietheaters erzogen werden. Wenn man jedoch einmal eine so großartige Inszenierung wie die von Turandot durch Franco Zeffirelli an der MET erlebt hat oder gar - so wie - ich das Glück hatte, mehrere seiner Inszenierungen an verschiedenen Spielorten live mitzuerleben, wird man immun gegen die Indoktrinierungen des Regietheaters und erkennt darin nichts weiter als des Kaisers neue Kleider.
Ich hatte Mitte November die Gelegenheit, Franco Zeffirellis Produktion von Puccinis Turandot live auf der Bühne der Metropolitan Opera in New York miterleben zu dürfen und muss nun für mich sagen, dass es ab jetzt schwierig wird, eine andere Inszenierung jemals zu akzeptieren, denn die Met-Produktion war so  mustergültig, dass es schwierig wird, dieses Niveau wieder zu erreichen. Schon beim Betreten des Opernhauses fiel einem die festliche Atmosphäre auf, zu der das internationale Publikum pilgerte. Alles schien in der frohen Erwartung, dass an diesem Abend etwas ganz Besonderes stattfinden würde. Voller Vorfreude nahm man im Zuschauerraum Platz und sah den prunkvollen goldenen Vorhang, der noch die Bühne bedeckte.
Als es kurz nach 8 Uhr im Saal dunkel wurde und der Dirigent unter Applaus ans Pult trat, hielt man in gespannter Erwartung den Atem an. Majestätisch dirigierte Carlo Rizzi die einleitenden Akkorde, während der goldene Vorhang kunstvoll nach seitlich und oben gezogen wurde. Die Bühne war eine wahre Augenweide. Man sah einen klassisch gemalten Prospekt im Hintergrund, während sich an den Seiten die Hütten der armen chinesischen Bevölkerung befanden. Der Chor stand als düstere gesichtslose Masse auf der Bühne, blieb jedoch dank der ausgezeichneten Chorregie Zeffirellis immer in Bewegung. So wurden ganz im Einklang mit der Musik immer wieder zahlreiche kleine individuelle Geschichten erzählt. Ein wahres Heer aus Statisten und Akrobaten brachte wiederholt Farbe in die dunkle monumentale Szenerie und setzte so vermehrt optische Akzente und Überraschungen. Die Protagonisten waren auf beeindruckende Weise immer von den Chormassen und Statisten abgrenzbar und für den Zuschauer klar im Fokus.
 Zeffirelli tat nichts anderes, als das auf die Bühne zu bringen, wozu ihn Partitur und Libretto verpflichtet haben, als er einwilligte, diese Oper zu inszenieren. Er hat nämlich im Gegensatz zu manch pseudointellektueller Pappnase begriffen, dass die Regieanweisungen genauso Teil der Partitur sind wie die Noten. Es ist bezeichnend, dass man eine Selbstverständlichkeit wie diese hier extra erwähnen muss. Die Personenregie war immer ganz genau im Einklang der Musik und äußerst sensibel gezeichnet. Es war beeindruckend mit anzusehen, wie beim stummen Auftritt des Prinzen von Persien der Palast der Turandot plötzlich im Bühnenhintergrund aus dem Nebel auftauchte  und man darin die eiskalte Prinzessin, umgeben von ihren Dienerinnen, auf einem Diwan liegen sah, von wo aus sie das Zeichen zur Hinrichtung gab.

Das Bühnenbild des zweiten Aktes stellte - ebenfalls librettogemäß - einen dreiteiligen Pavillon mit den Ministern Ping, Pang und Pong dar.
 Als nun am Ende dieser Szene der Kaiserpalast in strahlendem Gold auftauchte, erschien das aus den Plakaten der Metropolitan Opera wohlbekannte Bild. Regietheater-Jünger haben an ihm immer wieder ausgesetzt, dass Zeffirelli ja in dieser Szene den Vorgaben des Librettos nicht gefolgt sei, da die dort verlangte Treppe, auf der Turandot hinabsteigt, so nicht vorkommt. Aber, liebe Regietheater-Knalltüten: Ätsch! Wer sehen kann, ist klar im Vorteil, denn die Treppe gibt es, genauso wie im Libretto gefordert. Der Kaiserpalast steht nämlich gegenüber dem Bühnenboden stark erhöht auf einem Sockel, und die Treppe führt von hinten oben schräg nach vorne unten. Und Prinzessin Turandot darf sie bei ihren Fragen genauso hinunter schreiten, wie es sein soll.

Haltet doch einfach die Klappe und akzeptiert, dass es andere besser können als ihr. Kommt Kunst nicht vom Können? Erwähnenswert ist auch, dass begeisterter Applaus spontan aufbrandete, als diese wunderbare goldene Szenerie zum ersten Mal auf der Bühne sichtbar wurde, Chorsänger und Statisten waren in prächtige, fantasievolle Kostüme gekleidet, so dass man aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam. Zeffirellis langjährige Kostümbildnerin, die 1987 verstorbene Anna Anni, hatte gemeinsam mit Dada Saligeri wirklich ganze Arbeit geleistet.

Nach einer weiteren Pause begann der dritte Akt. Wie im Libretto gefordert, befand man sich nun in einem nächtlichen chinesischen Garten, in welchem  Calaf sein berühmtes Nessun Dorma sang. Abermals ergänzten sich traditionell gemalte Prospekte und gebaute Elemente des Bühnenbildes perfekt, und auch auch die Ausleuchtung der Szene war optimal gelungen.  Als die Prinzessin bekanntgab, dass der Name des Fremden Liebe sei, brach das umstehende Volk in Jubel aus, Glitter fiel von oben herab und der Vorhang fiel unter dem überwältigenden Jubel des Publikums.

Wann hat man in Regietheater-vergifteten Zeiten so etwas zuletzt gesehen?

Kommen wir nun zu den wunderbaren Sängern, die dieser mustergültigen Inszenierung erst zur vollen Wirkung verhalfen.
In der kurzen, aber ungemein anspruchsvollen Titelrolle bewies die Ukrainerin Oksana Dyka vom ersten Ton an ganz großes Format. Auch optisch entsprach sie genau dem, was man sich unter der Turandot vorstellt. So schleuderte sie mit ihrer riesigen Stimme und scheinbar grenzenlosem Tonumfang die gefürchtete Auftrittsarie „In questa reggia“ mit eisiger Kälte ins Auditorium. Man folgte ihrem Vortrag mit angehaltenem Atem. Im Verlauf des Abends bewies Dyka jedoch auch, dass sie zu wärmeren Farben und wunderschön im Piano ausgesungenen Phrasen wie in dem von Franco Alfanos komplettierten Finale fähig war. So gelang die Wandlung der Prinzessin aus Eis zur liebenden Frau musikalisch bestens. Mit dem lettischen Tenor Aleksandrs Antonenko hatte ich bisher keine guten Erfahrungen gemacht. Ich habe ihn des öfteren in München und Zürich erlebt und erinnerte mich an eine belegte, angestrengte Stimme. Entsprechend skeptisch war ich, als ich seinen Namen in der Besetzungsliste sah. Aber wie man sich täuschen kann! Als Calaf wirkte dieser Tenor wie verwandelt und begeisterte fast uneingeschränkt. Hatte ihn die grandiose Inszenierung zu dieser Höchstleistung animiert und inspiriert? Die Stimme Antonenkos war voller Strahlkraft mit ihrem metallischen Timbre und meisterte fast alle hohen Anforderungen dieser schwierigen Rolle mühelos. Auch die leiseren, lyrischen Passagen seiner Rolle wie das „Non piangere Liu“ waren gefühlvoll und sensibel interpretiert; das berühmte „Nessun Dorma“ klang strahlend heldisch und unangestrengt. Dankenswerterweise hatte man an der Met nicht die Unsitte übernommen, für diese Arie den Konzertschluss zu verwenden, um dem Publikum die Möglichkeit für störenden Applaus zu geben. Wir sind ja schließlich an der Met und nicht bei Paul Potts! Dass man den Calaf insgesamt vielleicht etwas kultivierter singen könnte, bleibt bei einer so mitreißenden Interpretation Kritik auf sehr hohem Niveau. Sehr zart und berührend gestalte Hei-Kyung Hong, Urgestein an der Metropolitan Opera, die treue Sklavin Liu. Ihre Arie im ersten Akt, sowie ihre Todesszene „Tu, che di gel sei cinta“ wurden wahrlich herzergreifend mit warmem lyrisch-strömendem Sopran gesungen. Luxuriös besetzt war auch Calafs Vater, der blinde Tataren-König Timur mit Giorgi Kirof, der mit balsamischem, warmem Bass auf bewegende Weise um Liu trauerte. Stimmlich ausgezeichnet und spielfreudig-komödiantisch präsentierte sich das Minister-Trio aus Ping, Pang und Pong mit Alexey Lavrov, Toni Stevenson und Eduardo Valdes. In ihren kurzen Rollen als düsterer Mandarin und Imperatore Altoum, konnten Jeongcheol Cha und Ronald Naldi nachhaltig auf sich aufmerksam machen. Der Chor der Metropolitan Opera war phantastisch von Donald Palumbo einstudiert, ich habe den Chorpart dieser Oper selten so textverständlich gehört. Als er am Ende des Trauermarsches „Oblia! Liù...Poesia!“, den letzten von Puccini komponierten Worten, hauchte, war das ein absoluter Gänsehautmoment, die von Carlo Rizzi lange ausgekostete Generalpause danach ein wahrer Moment des Innehaltens. Am Pult des Orchesters der Metropolitan Opera sorgte Rizzi für eine spannende, vorwärtsdrängende Interpretation,so dass einem schier der Atem stockte. Am Ende stehende Ovationen und viele Blumensträuße für die ebenfalls berührten und glücklichen Sänger. Was für ein Abend! Leider waren meine Ferien bereits am Tag darauf beendet und ich musste die Heimreise nach Europa antreten.











Samstag, 7. Oktober 2017

Überraschende Norma aus der Metropolitan Opera (7.10.)


Längst ist es nicht mehr so, dass ein Weltopernhaus wie die Met für uneingeschränkte stimmliche und regieliche Qualität steht, und mittlerweile ist es wohl Alltag, dass neben gesanglichen Höchstleistungen auch Fehlbesetzungen gang und gäbe zu sein scheinen. Doch der Reihe nach.

David McVicars Inszenierung belässt Norma im Druidenwald und verzichtet erfreulicherweise auf die sonst bei dieser Oper schon fast zum Standard gehörenden SS-Schergen, Maschinengewehre und sonstigen Kokolorus, den heutige „Regisseure“ so lieben. Nein, es gibt richtige gallische Krieger, die just Vercingetorix' Armee entsprungen zu sein scheinen. Irminsuls Eiche für Normas Casta Diva gibt es ebenso wie Sichel und Mistel; desgleichen sind Normas Gemächer mit Liebe zum Detail ausgestattet, und das Schlussbild beeindruckt mit prächtigem Farbspiel der rotglühenden Flammen, welche die nun Wieder-Vereinten Norma und Pollione verzehren. Man hätte sich stellenweise mehr Licht und überhaupt eine einfallsreichere Lichtregie gewünscht, aber dies sei angesichts eines wirklich gut geratenen Regieansatzes für dieses so oft missbrauchte Werk geschenkt.

Umso mehr überrascht es, dass bei so einer Detailgenauigkeit Adalgisa nicht nur mit perfekt lackierten Fingernägeln, sondern auch mit einer flotten, hochmodernen Kurzhaar-Frisur daherkommt, die anscheindend frisch vom Starcoiffeur Udo Walz kreiert worden ist, der nun wohl auch in Gallien eine Filiale eröffnet hat. Nun ja, Perücken scheinen wohl leider ganz aus der Mode gekommen zu sein, und diese neue Manie, dass jeder mit privatem Haupthaar auftreten muss, egal, ob es nun rollengemäß ist oder nicht, erfuhr mit Joyce DiDonatos Frisur einen sehr zweifelhaften Höhepunkt.

In der Titelrolle brillierte Sondra Radvanovsky mit einer Darbietung ihrer wirklich beeindruckenden Gesangstechnik. Wenngleich ihre Mittellage leicht scheppernd und etwas abgesungen erscheint, sind doch die Höhen sternenklar, dramatisch und in allen dynamischen Schattierungen zu haben und werden durch ein fantastisches Brustregister ergänzt. Stellenweise verfällt sie in ein sehr an die Callas erinnerndes, bedrohliches Gurren, was der Rolle sehr zugute kommt. Zudem verleiht sie durch ihre kluge Gestaltung, ihre durchdachten Bewegungen und Blicke der Rolle eine Würde, die man heute oftmals vergeblich sucht.

Joyce DiDonato in der Rolle der Novizin Adalgisa steht ihrer „Chefin“ Norma in nichts nach. Ihr herrlicher Mezzosopran, der wie aus einem Guss klingt, war gerade im berühmten Mira o Norma ein absoluter Ohrenschmaus. Sie beherrscht alle Finessen, sie kann flehen, bitten, jammern, ohne jemals dem Belcanto abtrünnig zu werden. Schade, dass ihre völlig unpassende Frisur diesen akustischen Genuss nicht auch optisch ergänzen konnte. Zudem störte ihr stellenweise recht hyperaktives Spiel, und gerade in der Szene des ersten Aktes, in der sie Norma aufsucht, um dieser ihr Herz auszuschütten, hätte man sich gewünscht, dass in einer der vielen schönen Amphoren in Normas Behausung ein wenig Ritalin für Ms DiDonato zu finden gewesen wäre.

Pollione ist eine undankbare Rolle – ein treuloser, verräterischer Liebhaber, dem sogar seine beiden Kinder egal sind, und zudem noch ein römischer Usurpator. Das Schöne an Opern ist aber ja gerade, dass selbst die gemeinsten Schurken noch die schönsten Melodien singen, und was die Kantilenen anbetrifft, ist Bellini nun einmal der unangefochtene Sieger, worin sich sogar Verdi und Wagner einig waren, welche die „Norma“ gleichermaßen hoch schätzten. Schmerzlich ist jedoch, wenn eine Rolle so unangemessen besetzt ist, wie es diesmal mit Joseph Calleja geschah.

Sicher, es gibt lyrische Tenöre, die ins dramatischere Fach wechseln, aber auf Calleja trifft dies nun wahrlich nicht zu. Bellinis erster Pollione Domenico Donzelli gehörte zu den sogenannten Baritenori, also einem Sängertypus mit baritonal gefärbtem, bronzenem Timbre, wie es auch Caruso besaß. Für so einen Tenor wurde diese Rolle geschrieben, nicht aber für einen Duca di Mantova, der sich auf Urlaub in Gallien als römischer Offizier verkleidet hat. Nach seinem Meco all'altar di Venere wünschte man sich für die folgende Cabaletta den Druiden Miraculix herbei, der Calleja eine große Portion seines Zaubertranks einflößt oder ihn gleich ganz in Franco Corelli oder wenigstens Jon Vickers verwandelt. Doch leider geschah das nicht – das hohe C der Cabaletta wurde kurz angetippt, riss ab und war weg. Überhaupt singt Calleja seltsam emotionslos und unbeteiligt, und im wunderbaren Va crudele mit Aldagisa war er neben DiDonato gar nicht mehr zu hören, desgleichen, wenn er sich mit Radvanovsky zu messen hatte. Ein sehr ungleicher Kampf. Da nützen auch keine ansehnlichen Piani im Schlussduett mit Norma. Pollione ist weder Edgardo di Ravenswood noch Arturo Talbo, es gibt so gut wie gar keine Koloraturen, dafür aber umso mehr Dramatik. Es scheint aber auch dies ein Tick unserer Zeit zu sein, Spinto-Rollen mit viel zu lyrischen Tenören zu besetzen, und in einer (Opern)welt, in der Pjotr Beczala (!) und Klaus-Florian Vogt (!) sich an Wagner (!) versuchen, erscheint Calleja eben als Pollione. Demnächst hören wir Vittorio Grigolo vielleicht als Siegfried, wer weiß...
Warum nur wissen manche  lyrischen Tenöre ihr Talent, ihre Gaben und  ihre Stimmen nicht zu schätzen und müssen um jeden Preis dramatische Rollen singen?

Matthew Rose in der Rolle des Priesters Oroveso, war für ein Haus wie die Met völlig unzureichend, wohingegen die wenigen Passagen der Clotilde von Michelle Bradley sehr vielversprechend waren und man Bellini fast ein wenig grollte, dass er ihre Rolle nur mit so wenig Gesang bedacht hat.

Carlo Rizzi ehrte Bellini mit seinem gefühlvollen, aber auch leidenschaftlichen und ganz dem Belcanto verpflichteten Dirigat, ebenso waren Chor und Orchester die Garanten für bekannte und geschätzte Qualität.

Insgesamt eine beachtliche Aufführung  ohne Regiewahnsinn und mit mehrheitlich toller Besetzung.

Sonntag, 24. September 2017

Grandiose Cavalleria rusticana/ I Pagliacci in Hamburg (22.09.)




Wann ist ein Opernabend wirklich gelungen? Abgesehen von einer stimmigen Inszenierung, die das Werk und nicht den x-ten Regie-Exzess zeigen sollte? Nun, wir finden, vor allem dann, wenn die Sänger so gut (weil rollengemäß besetzt) sind, dass sie es dem Publikum ermöglichen, die grandiose Musik und die Dramatik des Stoffes zu genießen und intensiv zu erleben. Eigentlich ja eine selbstverständliche Angelegenheit, aber in heutigen Zeiten, in denen stimmliches Können vielfach eben gerade nicht mehr ausschlaggebend zu sein scheint, in der Agenturen und Medien sogenannte Stars künstlich kreieren, und in der Fehlbesetzungen fast an der Tagesordnung zu sein scheinen, ist gerade das ein eher seltenes Glück geworden. Nicht so in der hanseatischen Metropole des Nordens.

Der Abend begann mit Mascagnis Cavalleria rusticana, die nach der bekannten gleichnamigen Novelle Giovanni Vergas entstand. Giancarlo del Monaco, der mit seinen späteren Regien seinem berühmten Namen nun wirklich keine Ehre gemacht hat, gelang mit dieser Arbeit (wie auch mit den Pagliacci) aus dem Jahr 1988 eine werkgerechte, stimmige  Visualisierung des bekannten Verismo-Stoffs. Und siehe da - es ist möglich, ein Werk so zu inszenieren, dass man es wiedererkennt. Es bedarf keiner Mätzchen, Umdeutungen und Belehrungen, ohne die heutige "Regisseure" ja nicht mehr auskommen. Es klappt - so ganz ohne konstruierte Nebenhandlungen durch unnötige Statisten, so ganz ohne sinnfreien Aktionismus und billige Pornographie. Selbst auf das obligatorische Pissoir bzw. Toilettenbecken wurde verzichtet. Lediglich ein typisches sizilianisches Dorf war da zu sehen, und ansonsten gute bis sehr gute Sänger zu hören. Wie konnte das nur funktionieren? 

Ein wirklich stimmgewaltiges Protagonistentrio hatte man sich da für die Aufführung gesucht.
Elena Zhidkovas Santuzza beeindruckte mit flammenden Höhen, aber auch mit lyrischen, geradezu herzzerreißenden Passagen im Duett mit Turiddo, sowie durch eine sehr kluge darstellerische Gestaltung der Rolle. Man konnte die Verzweiflung der verlassenen und exkommunizierten Sizilianerin hautnah spüren, einer Frau, die jeglichen Stolz und jede Würde vergisst, um ihren wankelmütigen früheren Geliebten vergeblich wieder für sich zu gewinnen.

Der junge rumänische Tenor Teodor Ilincai war stimmlich und darstellerisch ebenfalls das, was man von einem Turiddo erwartet. Im hochdramatischen Duett mit Santuzza entfaltete er sein ganzes Können – eine strahlende Höhe sowie eine kräftige Mittellage, die es mit dem großartigen Philharmonischen Staatsorchester durchaus aufnehmen konnten. Nein, hier wurde nicht gespart, sondern wirklich alles gegeben, auch im traurigen “Mamma ..quel vino è generoso..”, mit dem sich der todgeweihte Turiddo von seiner Mutter verabschiedet.
Dass del Monaco Mamma Lucia (Renate Spingler) die letzten Worte ihres einzigen Sohnes seltsam distanziert vom Balkon vernehmen lässt, soll vielleicht die Ahnungslosigkeit Lucias symbolisieren, erscheint aber angesichts der klaren Worte Turiddos “Un bacio..mamma, un'altro bacio..” als regielicher Irrtum.Natürlich ist da der berühmte sizilianische Stolz, aber angesichts eines so verzweifelten Sohnes, dem sein sichere Tod gewiss ist, dürfte sich gerade eine sizilianische Mutter wohl kaum dessen letzten Gruß nur vom Balkon aus anhören.
Mit dem Alfio von George Gagnidze ist aber auch wirklich nicht gut Kirschen essen gewesen. Bei so einem fulminanten ersten Auftritt (Il cavallo scalpita), der dem brutalen Fuhrmann stimmlich wie darstellerisch mehr als nur gerecht wurde, konnte man sich schon lange vorher ausrechnen, dass die Geschichte übel enden würde, noch vor Lolas (sehr schön: Dorottya Lang) sehr treffenden Worten: “Ahime che mai sarà?”. Chor und Orchester unter der Leitung von Josep Caballé-Domenech spielten und sangen in gewohnter und bewährter hoher Qualität, wenngleich es beim Chor stellenweise etwas “klapperte.”

Insgesamt eine Cavalleria, die so ganz mit dem übereinstimmte, was der sizilianische Schriftsteller Giuseppe Tomasi de Lampedusa in seinem Meisterwerk Il Gattopardo den Fürsten von Salina über seine Landsleute sagen lässt: “ Die Offenbarungen des sizilianischen Wesens kommen aus krankhafter Träumerei. Unsere Sinnlichkeit ist Sehnsucht nach Vergessen...Unsere Flintenschüsse und Messerstiche Sehnsucht nach Tod.”

Nach diesem berauschenden Auftakt hätte man von den Pagliacci kaum eine Steigerung erwarten können – wohl aber gleichbleibende Qualität, was auch so geschah.

Zeffirelli hatte in seinem Film von 1982 die Handlung, die eigentlich auf der Basis einer wahren Begebenheit 1865 spielt, in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen verlagert; del Monaco versetzt sie in die Fünfziger Jahre. Wenn es überhaupt eine Oper gibt, die eine Zeitversetzung (allerdings natürlich nicht mit unbegrenztem Spielraum) mitmachen kann, dann ist es I Pagliacci.
Es tut der ärmlichen Schauspieltruppe Canios also keinen Abbruch, wenn der Wagen mit den Bühnenutensilien nicht von einem Maultier gezogen wird, sondern aus der Ladefläche einer typischen Ape besteht. Die reizende Commedia dell'arte-Anspielung, die sich dann in sehr treffenden Kostümen später im 2. Akt auf genau dieser Ladefläche entspinnt, steht in bester Tradition.

Wenn ein des zweifachen Mordes schuldig gewordener Mann wie Canio dennoch den meisten Applaus erhält, liegt das einerseits an der unsterblichen Musik, die Leoncavallo ihm komponiert hat, andererseits aber natürlich an einer Leistung, wie sie der Koreaner Alfred Kim in der Rolle des unglücklichen Chefs des Wandertheaters ablieferte. Sein durchgeformter, ungemein metallisch-voluminöser Tenor wurde vor allem in den hohen Lagen spielend mit den orchestralen Anforderungen fertig, und das tragische Ridi pagliacci geriet gar zu einer Lehrstunde in Sachen Atemtechnik, ebenso wie das zornig-verzweifelte No, pagliaccio non son.

Hayoung Lee in der Rolle der lebenslustigen und freiheitsliebenden Nedda stand ihm in nichts nach. Im träumerischen Stridono lassù und den glockenhellen Höhen der koreanischen Sopranistin konnte man die ganze Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit heraushören und erleben. Dankbarkeit – so begründet sie auch sein mag – kann eben keine Liebe sein, und mehr kann Nedda für den unglücklichen Canio kaum empfinden. In der Szene mit Tonio, den ebenfalls George Gagnidze als bösartigen, aber sich – wie alle Lebenden- dennoch nach Liebe und Anerkennung Sehnenden wunderbar glaubhaft interpretierte, konnte sie dann auch ihre dramatische Seite zeigen, desgleichen auch im Duett mit ihrem Geliebten Silvio ( zu lyrisch: Alexey Bogdanchikov).

Eine schöne Commedia konnte man dann sehen, inklusive hervorragend gesungenem Ständchen eines sogar akrobatisch veranlagten Arlecchino (Oleksiy Palchykov), überzogenen Scherzen und dem bekannten, gar nicht komischen Ende, das immer wieder für Gänsehaut sorgt, egal, wie oft man die Oper nun schon erlebt hat.

Dem Zauber dieses Abends konnten sich  die eher zurückhaltenden Hanseaten dann auch nicht entziehen und spendeten dem Sängerensemble den wirklich verdienten, üppigen Applaus.