La Bohème in Lübeck
Als melancholische „Winteroper“
eignet sich La Bohème wohl nicht nur durch ihren tragischen Inhalt,
sondern die allgegenwärtige Präsenz von Schnee, Eis und Kälte. So
war es denn wohl auch kein Zufall, dass das schöne Lübecker
Jugendstiltheater am 2. Weihnachtsfeiertag nahezu vollbesetzt eine
interessante und stellenweise hervorragend besetzte Aufführung der
Oper erlebte.
Allerdings hatte man es wohl versäumt,
Roman Brogli-Sacher darauf aufmerksam zu machen, dass es sich
bei einer Oper um Vokalmusik handelt und das Orchester der BEGLEITUNG
dienen sollte. Wem es Freude macht, Loriot-Gedächtnis-Wettbewerben à
la „Ich kann lauter/länger....etc. als Sie“ zwischen Sängern
und Dirigenten beizuwohnen, der wäre wohl gestern voll auf seine
Kosten gekommen; aber jemand, dem es leid um schöne Stimmen tut, und
der nicht gekommen ist, um eine Sinfonie mit Gesangsbeilage, sondern
Oper zu erleben, der hat an Brogli-Sachers Dirigat wohl kaum Freude
haben können. Natürlich ist Puccinis unsterbliche Musik
leidenschaftlich und feurig, aber sie ist auch innig, zart und
verträumt – und das ließ das Orchester sehr vermissen.
Die britische Sopranistin Anna
Patalong verlieh der Mimì mit ihrer warm timbrierten, vollen und
zugleich weichen Stimme genau das, was diese Rolle braucht. „Mi
chiamano Mimì“ gelang ihr mit Charme und Liebenswürdigkeit und
das „Donde lieta uscì“ melancholisch und rührend, ohne jemals
ins Sentimentale und Aufgesetzte abzugleiten, was übrigens auch für
die wunderbar gesungene und gespielte Sterbeszene galt.
Ein reizvoller Kontrast dazu war die
hinreißende Musette von Evmorfia Metaxaki. Besser gesungen
wird man die leichtlebige, ihren Vorteil gut zu nutzen wissende
Künstlerfreundin wohl an größeren Häusern auch nicht zu hören
bekommen. Das „Quando m'en vo“ entfaltete nicht nur dank ihrer
voluminösen, sinnlichen Stimme, die mit dem bedrohlich
lauten Orchester mühelos konkurrieren konnte, sondern auch aufgrund
ihrer darstellerischen Fertigkeiten seine Wirkung. Schade, dass die
Inszenierung gerade beim Musettewalzer so viel
verschenkt hat.
Der italienische Tenor Gabriele
Mangione in der Rolle des träumerischen Poeten Rodolfo hat ein
stimmliches Material, von dem viele „Stars“ sich gerne etwas
abzwacken würden, doch leider scheint er damit nicht richtig umgehen
zu können. Fantastische Höhen sind das Eine, aber mangelnde
stilistische Grundkenntnisse können dadurch nicht wettgemacht
werden. Unruhige Phrasierung, zeratmete Phrasen, kein ausreichendes
Legato – da gäbe es noch einiges zu tun. Es bleibt zu hoffen, dass
der noch junge Sänger diese Lücken schließen kann, denn dann wäre
er bei einem solchen tenoral-strahlenden Volumen ein echter
Geheimtip, und zwar nicht nur als Rodolfo.
Gerard Quinn in der Rolle des
Marcello ist ein altgedientes „Schlachtroß“ des Lübecker
Ensembles, der seinen vollen, wohl timbrierten Bariton hier in vielen
Rollen erfolgreich präsentiert hat. Die Höhe ist immer noch
wunderbar, aber die Mittellage ist doch im Laufe der Jahre ein wenig
grau geworden. Sein unglücklich liebender Marcello war dennoch sehr
ordentlich und solide gesungen und gespielt.
Johan Hyunbong Choi (Schaunard)
und Taras Konoshchenko (Colline) vervollständigten das
Künstlerquartett mit kraftvollem, üppigen Gesang und waren auch
darstellerisch äußerst überzeugend.
Paolo Micchichè hat bei der
Inszenierung bewusst auf ebenso überflüssige, wie aber heute nahezu
unvermeidliche Aktualisierungen verzichtet und zur Abwechslung einmal
dem Libretto vertraut, was an den projizierten Bühnenbildern nach
Entwürfen der Uraufführung der Oper als auch an den Kostümen
sofort klar wurde – wobei man auf die zwei modernen Zitate in Form
von Marcellos pelzbesetztem Parka im zweiten Akt sowie Rodolfos
Lederblouson im dritten Akt sehr gern hätte verzichten können;
derlei tut absolut nicht not und fällt aus dem ansonsten äußerst
stimmig dargestellten 19.Jahrhundert heraus. Künstlermansarde, Café
Momus und Barrière d'Enfer waren als Projektionen zu sehen und
bildeten einen durch die Zweidimensionalität wenn auch ungewohnten,
aber doch ausreichenden Rahmen zum Geschehen auf der Bühne.
Ebenfalls positiv zu erwähnen ist die Lichtregie, die mangels Können
von vielen Regie-Zwangsbeglückern heute eher stiefmütterlich
behandelt wird. Verfolger kamen dabei ebenso zum Einsatz wie ein
sehr stimmungsvolles Blau zum „O soave fanciulla“. Das in „oben“
und „unten“ unterteilte Bühnenbild im zweiten Akt ist nicht neu,
aber es genügt nicht, wenn das Künstlerquartett auf der unteren
Ebene mit Musette und Alcindoro quasi als Kammerspiel allein
interagiert, während das Pariser Volk auf der oberen Ebene
lustwandelt, Spielzeug und Süßigkeiten erwirbt und das französische
Militär preist. Musette hatte keine Gelegenheit, mit ihren Arie
junge und alte Passanten, Soldaten und Schaulustige zu betören und
durch ihren frivolen Auftritt Marcello somit vollends zum Rasen zu
bringen. Ihr blieb nur die Bezugnahme auf ihren gänzlich
überforderten, ältlichen (obwohl hier leider gar nicht so
lächerlich-ältlich wirkenden) Liebhaber Alcindoro, was auf die
Dauer dann doch ein wenig eintönig wirkte.
Im vierten Akt sind Piccichè dann wohl
die Ideen ausgegangen, denn die Projektion des zumal sehr
unansehnlichen Madonnenbilds ( eine verworfene, frühere Skizze
Marcellos??), das wie ein unattraktiver Todesengel über den Szenerie
thronte, hatte mit der Mansarde und auch der Szene nichts mehr zu
tun. Auch der Gedanke, die Bühne bei den letzten Takten der Oper in
gleißendes Licht zu tauchen und somit eine sterile
Krankenhausatmosphäre zu schaffen, ging an Musik und Text vorbei.
Dennoch – angesichts dessen, was man
heute an großen wie an kleinen Häusern in punkto „Neuinszenierung“
so vorgesetzt bekommt, muss sich Lübeck mit dieser Produktion
keineswegs verstecken, zumal das sängerische Niveau größtenteils
sehr hoch ist.
Weitere Infos hier: http://www.theaterluebeck.de/index.php?seid=11&St_ID=699
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