Die erste Wiederaufnahme der laufenden Spielzeit 2015/16 widmete
die Mailänder Scala Giuseppe Verdis Dauerbrenner Rigoletto in einer mehr als
vielversprechenden Besetzung. Das musikalische Interesse richtete sich dabei vor
allem auf Leo Nucci in der Titelrolle, der einmal mehr in eine seiner legendären
Glanzpartien schlüpfte und die Rolle des buckligen Hofnarren mit einer
atemberaubenden Intensität ausstattete, wie ich es selten erlebt habe. Nucci
begann den Abend noch ein wenig zurückhaltend, fand jedoch schnell zu
stimmlicher und darstellerischer Bestform, die kaum einen kalt ließ. Wie dieser
Rigoletto spottete, klagte, weinte und dem Publikum Einblick in seine zutiefst
zerrissene Seele gewährte, das war einfach phänomenal. Dabei beeindruckte der
Sänger einmal mehr durch seine ausgezeichnete Technik, welche fast vergessen
machte, dass sich der große Sänger im fortgeschrittenen Stadium seiner Karriere
befindet und die einst so frische Stimme leicht spröde geworden ist. So gerieten
Rigolettos Cortigiani-Arie und das folgende Duett mit Gilda zu einem
wahren Höhepunkt. Dazu trug auch die junge Nadine Sierra bei, die mit ihrem
glockenhellen Sopran nicht nur ein wunderbares "Caro Nome" sang sondern
auch in dem den zweiten Akt beschließendem Rache-Duett "si Vendetta" zu einer
dermaßen mitreißenden Fulminanz gelangte, dass dieses vor
dem Vorhang zu Beginn der zweiten Pause wiederholt werden musste. Nicht
mithalten mit diesem hohen Niveau konnte Vittorio Grigolo als Duca: ein paar
schöne Spitzentöne bei La Donna è Mobile konnten nicht darüber
hinwegtäuschen, dass dieser Sänger an einem ersten Haus wie der Scala im Grunde
nichts verloren hat: sein meckerndes Timbre, das mich an ein Spielzeug aus
meiner Kindheit erinnerte, bei dem man ziehen musste und dann eine Stimme auf
Italienisch sagte: "La Pecora fa Beeeeee", sowie sein
undifferenziertes Dauerforte ließen bereits bei "Questa o Quella"
Schlimmstes für den weiteren Abend befürchten, was leider auch so eingelöst
wurde. Grigolos Auftreten, das an einen eitlen aufgeblasenen Pfau erinnerte,
trug im Übrigen zu meiner Antipathie gegen diesen Sänger bei und wird der Rolle auch nicht gerecht. Ein wunderbares
mörderisches Geschwisterpaar waren Carlo Colombara als Sparafucile und Annalisa
Stroppa als herrlich sinnliche Maddalena. Giovanni Furlanetto dagegen
verschenkte seine beiden Auftritte als Monterone. Da klang vieles zu
leichtgewichtig, um die Bedeutung dieser Szenen zu verdeutlichen. Sehr schön
hatte Nicola Luisotti das Orchester einstudiert, bei dem die einzelnen
Instrumenten-Gruppen wunderbar herausgearbeitet waren, der Chor war von Bruno Casoni
bestens präpariert. Die Scala hatte für diese Serie ihre altbewährte
Rigoletto-Inszenierung von 1994 durch Gilbert Deflo wiederaufgenommen. Dieser
schreibt im Programmheft, dass er einzig dem Werk dienen wolle - was auf
wunderbar unaufgeregte Weise passiert. Alles ergibt sich aus der Musik - der
Sänger steht im Mittelpunkt des Geschehens. Ezio Frigerios große Bühnenräume sind
wunderschön anzusehen, bewegen sich zwischen Realismus und angedeuteter
Abstraktion und entführen einen in die Zeit der italienischen Renaissance, in der das Stück spielt. Auch das Gewitter des dritten Aktes wird mit Regen, Blitz
und Donner meisterhaft umgesetzt, allerdings hätte ich auf den Kunstrasen in
diesem Akt gerne verzichtet. Ein wahres Fest für die Augen sind Franca
Squarciapinos opulente, historisch korrekte Kostüme. Auch wenn die Inszenierung in einigen Details
nicht die Perfektion eines Franco Zeffirelli erreicht, bietet diese wohl letzte
richtige Rigoletto-Inszenierung der Welt alles, was es für einen gelungenen
Opernabend braucht. "Che bella serata" meinte neben mir eine Dame beim Verlassen der Scala begeistert. Dem möchte ich gerne beipflichten. Der ungetrübte Jubel am Ende
richtete sich dabei nicht nur an die Sänger, sondern vor allem an Giuseppe
Verdi, dessen Ehre in düsteren Regietheater-Zeiten wieder rehabilitiert
wurde.
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