Mittwoch, 6. Januar 2016






Fantastische La bohème an der Münchner Staatsoper


Die ausverkaufte Bayerische Staatsoper bot am gestrigen Tag wieder einmal eine Aufführung, die dem guten Ruf dieses Hauses alle Ehre machte, was man bei vielen der letzten Produktionen eher nicht hatte feststellen können.

Asher Fisch dirigierte das gewohnt souverän spielende Staatsorchester gerade anfangs zu sänger-unsensibel, aber die hervorragende Qualität dieses Klangkörpers machte es dennoch möglich, Puccinis Meisterwerk auch orchestral genießen zu können.

Die amerikanische Sopranistin Kristin Lewis gestaltete die tragische Rolle der Mimì sowohl stimmlich als auch darstellerisch sehr ansprechend; ihr eher dunkler, voller Sopran kam besonders im dritten Akt zur Geltung und „Donde lieta uscì“ gelang ihr sehr anrührend und dramatisch, ohne übertrieben sentimental zu wirken. Eine bescheidene, liebenswürdige Näherin, deren ganze Freude die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings sind und die Rodolfos Herz im Sturm erobert – genau dies konnte Lewis mit ihrer bewusst zurückhaltenden, aber sehr durchdachten Interpretation vermitteln. Der üppige Schlussapplaus würdigte ihre Leistung völlig zu Recht.

Die Musette der Kanadierin Joyce El-Khoury geriet ebenfalls zu einem wunderbaren Rollenbild der launischen, aber betörenden Grisette, nach der sich alle Männer verzehren, wenn sie nur eine Straße entlang geht. Anfangs etwas schrill (doch zu dem einmaligen Auftritt gut passend), gelang ihr das „Quando m'en vo“ ganz hervorragend. Im Quartett des dritten Aktes hatte sie dann noch einmal Gelegenheit, ihre stimmlichen Fähigkeiten sehr überzeugend zur Geltung zu bringen. Auch darstellerisch beglückte die köstliche  Szene mit Marcello, die mit den bekannten, wenig schmeichelhaften Bezeichnungen endet.

Der aus der Ukraine stammende Tenor Dmytru Popov war ein großartiger Rodolfo mit strahlenden Spitzentönen, einer kräftigen Mittellage und einer stilistisch sehr geschmackvoll geführten Stimme, die keine Wünsche offen ließ. Den Wettkampf mit Asher Fischs Staatsorchester konnte er nicht immer für sich entscheiden, aber der Sieg bei einem so ungleichen Kräftemessen ist auch von keinem Sänger zu erwarten. Von vielen, wesentlich bekannteren „Stars“ würde man sich jedenfalls eine solche (auch darstellerisch natürliche und ansprechende) Interpretation wünschen.

Markus Eiche als unglücklich liebender Marcello, dem die Schönheit und Launenhaftigkeit Musettes so zu schaffen machen, gestaltete die Rolle mit seinem kräftigen, wohltimbrierten Bariton hervorragend; ein echter Hörgenuss war das wunderbare Duett des vierten Aktes, in dem beide Künstler ihren großen Lieben Mimì und Musette nachtrauern.

Andrea Borghini (Schaunard) und Goran Joric (Colline) komplettierten das leidenschaftliche Künstlerensemble ebenfalls sehr überzeugend.

Otto Schenk hat einmal die Aufgabe des Regisseurs in der ihm eigenen, unnachahmlichen Art und Weise so beschrieben: „Keinen eigenen Käse machen“. Diesem Motto folgt seine nun schon seit 1969 an der Bayerischen Staatsoper zu bewundernde, absolut stimmige Inszenierung, die das Werk – entgegen heutiger Standardpraxis – nicht verfälscht, nicht verbiegt und verhöhnt, sondern schlicht und einfach zur Geltung bringt. Ein perfektes Werk wurde zum Leben erweckt, und zwar ganz ohne diverse „Verschlimmbesserungen“ diverser Werk-oder Weltverbesserer, als die sich heutige Regisseure so gern gerieren. Und siehe da – es funktionierte! Der spontane Applaus beim Aufgehen des Vorhangs im zweiten und das zusätzliche bewundernde Raunen beim Anblick des dritten Akt waren beredte Zeugnisse dafür, dass das Publikum keineswegs so dumm ist, wie es sich viele Regisseure und Intendanten in ihrer Borniertheit einbilden, andererseits aber auch einen offensichtlichen Mangel an solchen Inszenierungen zu beklagen hat. Vor der Kulisse der detailverliebten Bühnenbilder Rudolf Heinrichs, die übrigens Zitate seiner an der Komischen Oper Berlin unter der Regie Walter Felsensteins aufgeführten Bohème sind, entfaltet sich die Kunst einer äußerst gelungenen, aber nie aufdringlichen oder unpassenden Personenregie. Ganz besonders war dies in den Massenszenen im zweiten Akt zu spüren. Das bunte Gewusel des Quartier Latin und mittendrin das tragikkomische Geschehen um Musette, Marcello und Alcindoro, die melancholische Stimmung der Barriere Enfer, der Gegensatz zwischen den anrührenden Liebesschwüren Mimìs und Rodolfos und dem eifersüchtigen Gezänk zwischen Musette und Marcello, die nahezu kindliche Ausgelassenheit der vier Künstler, die außer einem Hering zwar nichts zu beißen, aber dennoch genug Fantasie für übermütige Rollenspiele haben und der abrupte Einbruch des Todes in diese Ausgelassenheit - genau dies ist es, was in der Musik Puccinis zum Ausdruck kommt und so visualisiert werden sollte.

Und genau dies ist Otto Schenk gelungen.

Ein großartiger Opernabend, den das Publikum verdientermaßen mit begeistertem Applaus bedachte. So kann es weiter gehen, liebe Bayerische Staatsoper!

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