Ei, ei, die Cosi
oder: Augen zu und durch!
Cosi fan tutte,
Salzburg, 2006
DVD, DG, 2006
Besetzung:
Ana María Martínez,
Fiordiligi
Sophie Koch,
Dorabella
Stéphane
Degout, Gugliemo
Shawn
Mathey, Ferrando
Helen
Donath, Despina
Sir
Thomas Allen, Don Alfonso
Wiener Philharmoniker
Lt. Manfred Honeck
Regie: Ursel und
Karl-Ernst Hermann
Bewertung: Zwei von
fünf Eiern … äh, Sterne
Da ist das Ei. Auf
der großen, aber dafür um so leereren Bühne des großen
Festspielhauses liegt ein überdimensionales Ei. Was es da tut und
wozu es gut ist, erschließt sich dem geneigten Zuschauer nicht.
Dazu bedarf es des Bonus-Materials zu dieser DVD, denn da erklärt
Don Alfonso Sir Thomas Allen, der Regisseur Karl-Ernst Hermann habe
sein ganzes Hirn ins Bühnenbild gesteckt. Offenkundig ist es im Ei
gelandet. Und drin geblieben. Und das schon in einem sehr frühen
Stadium dieser Produktion.
Dafür hat sich dann, wie sich aus dem Interview mit dem Ehepaar
Hermann, ebenfalls im Bonus-Material der DVD, ergibt, Ursel Hermann
ihrer Vorstellung von einer „zeitgemäßen“ Cosi fan tutte
gewidmet. Sie hat – oh Wunder – festgestellt, dass das Mozart/Da
Ponte Original eine ziemlich „frauenfeindliche“ Veranstaltung ist
und in der Tat: Was die beiden Jungs Ferrando und Gugliemo unter der
Anleitung ihres eindeutig nicht von Frau Hermanns Frauengruppe auf
Linie gebrachten alten Freundes Don Alfonso da veranstalten, ist fies
und sexistisch. Die jungen Herren schwärmen dem alten Zyniker vor,
welche Muster an Tugend, Schönheit, Liebenswürdigkeit, Treue und
Tralala ihre Damen, die Schwestern Fiordiligi und Dorabella sind. Don
Alfonso überredet sie zu einer Wette, in der die Treue der Damen
getestet werden soll – und fädelt die Geschichte mit Hilfe von
Despina, der Zofe der Schwestern, entsprechend ein: Die Schwestern
bekommen erzählt, ihre Verlobten müssten in den Krieg, die jungen
Herren reisen ab, um dann als Fremde maskiert und von Don Alfonso
eingeführt wieder zu kommen. Dann machen sie sich daran, die Braut
des jeweils anderen zu verführen, was ihnen – zu ihrem Entsetzen –
auch gelingt. Als man beim Wechsel-das-Bäumchen-Spiel zum Höhepunkt
kommt – nämlich der Hochzeit der Damen mit ihren ausländischen
Verehrern – hat Don Alfonso seine Wette gewonnen, stoppt das Spiel
und bringt die Jungen in ihrer „wahren“ Gestalt zurück. Es gibt
noch eine kleine Auseinandersetzung, doch danach finden sich die
„wahren“ Paare wieder zusammen und man beschließt „Schwamm
drüber“.
Die Story ist mit
Sicherheit nicht die gelungenste, die dem Dreamteam Mozart und Da
Ponte je eingefallen ist. Die Verwechslungen folgen dem Konzept der
Comedia del Arte und sind heute nicht mehr glaubhaft. Dementsprechend
ist es ein Problem, die Cosi glaubwürdig auf die Bühne zu bringen.
Ursel Hermann
versucht es, in dem sie die Mädchen zu Zeugen der Wette macht. Sie
wissen also von Anfang an Bescheid und spielen – aus Gründen, die
Frau Hermann nicht erklärt – mit. In Ursel Hermanns Vorstellung
sind sie damit offenkundig von dummen, hereingelegten Schäfchen zu
taffen Girls befördert. In den Augen der Zuschauer aber ergibt sich
daraus, dass sie von vielleicht etwas oberflächlichen, aber durchaus
sympathischen jungen Mädchen zu „real bitches“ werden.
Doch das ist nicht
das einzige Problem mit diesem Regiekonzept. Das Größte ist, dass
Mozarts Musik es nicht trägt. Ganz im Gegenteil: Im Fall dieser Cosi
widersprechen sich Musik und Regie. Das beginnt in der
Abschiedsszene, wenn die jungen Herren angeblich in den Krieg ziehen.
Wenn die Mädchen wissen, dass es um einen Plot geht, ist ihr Schmerz
nicht glaubhaft – und damit wird die Musik konterkariert, die eben
diesen Schmerz sehr berührend darstellt.
Und so geht es
weiter. Eine der wichtigsten, musikalisch schönsten Szenen in der
„Cosi“ – und vermutlich einer der Gründe, warum diese doch
eher alberne Geschichte zum Standardrepertoire jeden Opernhauses
gehört – ist die zwischen Fioridiligi und Ferrando. Er weiß, dass
sein Freund Gugliemo seine Braut Dorabella bereits für sich gewonnen
hat. Und nun setzt er alles daran, Gugliemos Fioridiligis zu erobern.
Und hier bekommt die Komödie durch Mozarts Musik plötzlich
ungeheuren Tiefgang. Fioridiligi kämpft wirklich. Für sie ist das,
was da passiert, existentiell. Sie stellt ihr ganzes Lebenskonzept in
Frage, sie ist zerrissen, sie leidet. Und auch bei Ferrando geht es
nicht mehr um die Wette. Er ist bereit, sein Leben daran zu setzen
und in dem ist nicht nur „Ich will gewinnen“ und verletzte
Eitelkeit, weil seine Dorabella ihn betrogen hat, da ist auch die
Verwirrung seiner Gefühle. Er müsste schon sehr abgebrüht sein,
wenn Fiorididiligis Kampf um die ihren ihn nicht ergreifen würde.
Diese Szene, die so
zentral für „Cosi“ ist, in der Mozart seine ganze psychologische
Meisterschaft, seine ganze Teife zeigt, wird beim Regiekonzept der
Hermanns – um es mit der gebotenen Deutlichkeit zu sagen –
vermasselt und verwässert. Man kann sie nicht sehen, ohne sich zu
fragen, ob die beiden Regisseure gar nicht begriffen haben, was da
eigentlich passiert oder ob es ihnen vollkommen wurst war.
Es gibt ganz sicher
schlimmere Regietheater-Produktionen als diese Salzburger Cosi. Aber
sie ist in dem symptomatisch für das Generalproblem: Den mangelnden
Respekt vor der Werk und das fehlende Verständnis für das, was die
Musik eigentlich ausdrücken will.
Was bleibt noch zu
sagen? Über die Regie nur noch, dass die Kostüme häßlich und das
Bühnenbild langweilig ist. Das Ei reißt es nicht raus.
Dennoch bedauere ich
nicht, diese DVD im Schrank zu haben. Ich verwende sie nämlich als
CD: Einlegen, Augen zu und mit Hochgenuss durch. Die Wiener
Philharmoniker unter Manfred Honeck spielen Mozart auf höchstem
Niveau. Er schwebt, er swingt, er geht in die Tiefe, er hat Schmelz,
Charme und er ergreift.
Die Sänger sind, was
man in Salzburg erwartet. Ana María Martínez brilliert als
wunderbare Fioridiligi mit Tiefe und Wärme und perfekter
Phrasierung; Sophie Koch ist eine zauberhafte Dorabella. Der lyrische
Tenor Shawn Mathey als Ferrando könnte einen Eisberg zum Schmelzen
bringen und Stéphane Degout ist ein viriler, jungenhafter Gugliemo,
der Stimmkultur und Eleganz mitbringt. Sir Thomas Allen beweist, dass
er nicht nur der Meister des Parlandos ist, sondern das manche
Stimmen nicht altern, sondern höchsten reifen. Der einzige
Schwachpunkt ist Helen Donath, deren Stimme manchmal ein wenig scharf
wird.
von Sibylle Luise Binder
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