Sonntag, 6. April 2014

Ei, ei, die  Cosi oder: Augen zu und durch!

Cosi fan tutte, Salzburg, 2006
DVD, DG, 2006

Besetzung:
Ana María Martínez, Fiordiligi
Sophie Koch, Dorabella
Stéphane Degout, Gugliemo
Shawn Mathey, Ferrando
Helen Donath, Despina
Sir Thomas Allen, Don Alfonso

Wiener Philharmoniker
Lt. Manfred Honeck
Regie: Ursel und Karl-Ernst Hermann

Bewertung: Zwei von fünf Eiern … äh, Sterne


Da ist das Ei. Auf der großen, aber dafür um so leereren Bühne des großen Festspielhauses liegt ein überdimensionales Ei. Was es da tut und wozu es gut ist, erschließt sich dem geneigten Zuschauer nicht. Dazu bedarf es des Bonus-Materials zu dieser DVD, denn da erklärt Don Alfonso Sir Thomas Allen, der Regisseur Karl-Ernst Hermann habe sein ganzes Hirn ins Bühnenbild gesteckt. Offenkundig ist es im Ei gelandet. Und drin geblieben. Und das schon in einem sehr frühen Stadium dieser Produktion.

Dafür hat sich dann, wie sich aus dem Interview mit dem Ehepaar Hermann, ebenfalls im Bonus-Material der DVD, ergibt, Ursel Hermann ihrer Vorstellung von einer „zeitgemäßen“ Cosi fan tutte gewidmet. Sie hat – oh Wunder – festgestellt, dass das Mozart/Da Ponte Original eine ziemlich „frauenfeindliche“ Veranstaltung ist und in der Tat: Was die beiden Jungs Ferrando und Gugliemo unter der Anleitung ihres eindeutig nicht von Frau Hermanns Frauengruppe auf Linie gebrachten alten Freundes Don Alfonso da veranstalten, ist fies und sexistisch. Die jungen Herren schwärmen dem alten Zyniker vor, welche Muster an Tugend, Schönheit, Liebenswürdigkeit, Treue und Tralala ihre Damen, die Schwestern Fiordiligi und Dorabella sind. Don Alfonso überredet sie zu einer Wette, in der die Treue der Damen getestet werden soll – und fädelt die Geschichte mit Hilfe von Despina, der Zofe der Schwestern, entsprechend ein: Die Schwestern bekommen erzählt, ihre Verlobten müssten in den Krieg, die jungen Herren reisen ab, um dann als Fremde maskiert und von Don Alfonso eingeführt wieder zu kommen. Dann machen sie sich daran, die Braut des jeweils anderen zu verführen, was ihnen – zu ihrem Entsetzen – auch gelingt. Als man beim Wechsel-das-Bäumchen-Spiel zum Höhepunkt kommt – nämlich der Hochzeit der Damen mit ihren ausländischen Verehrern – hat Don Alfonso seine Wette gewonnen, stoppt das Spiel und bringt die Jungen in ihrer „wahren“ Gestalt zurück. Es gibt noch eine kleine Auseinandersetzung, doch danach finden sich die „wahren“ Paare wieder zusammen und man beschließt „Schwamm drüber“.

Die Story ist mit Sicherheit nicht die gelungenste, die dem Dreamteam Mozart und Da Ponte je eingefallen ist. Die Verwechslungen folgen dem Konzept der Comedia del Arte und sind heute nicht mehr glaubhaft. Dementsprechend ist es ein Problem, die Cosi glaubwürdig auf die Bühne zu bringen.

Ursel Hermann versucht es, in dem sie die Mädchen zu Zeugen der Wette macht. Sie wissen also von Anfang an Bescheid und spielen – aus Gründen, die Frau Hermann nicht erklärt – mit. In Ursel Hermanns Vorstellung sind sie damit offenkundig von dummen, hereingelegten Schäfchen zu taffen Girls befördert. In den Augen der Zuschauer aber ergibt sich daraus, dass sie von vielleicht etwas oberflächlichen, aber durchaus sympathischen jungen Mädchen zu „real bitches“ werden.

Doch das ist nicht das einzige Problem mit diesem Regiekonzept. Das Größte ist, dass Mozarts Musik es nicht trägt. Ganz im Gegenteil: Im Fall dieser Cosi widersprechen sich Musik und Regie. Das beginnt in der Abschiedsszene, wenn die jungen Herren angeblich in den Krieg ziehen. Wenn die Mädchen wissen, dass es um einen Plot geht, ist ihr Schmerz nicht glaubhaft – und damit wird die Musik konterkariert, die eben diesen Schmerz sehr berührend darstellt.

Und so geht es weiter. Eine der wichtigsten, musikalisch schönsten Szenen in der „Cosi“ – und vermutlich einer der Gründe, warum diese doch eher alberne Geschichte zum Standardrepertoire jeden Opernhauses gehört – ist die zwischen Fioridiligi und Ferrando. Er weiß, dass sein Freund Gugliemo seine Braut Dorabella bereits für sich gewonnen hat. Und nun setzt er alles daran, Gugliemos Fioridiligis zu erobern. Und hier bekommt die Komödie durch Mozarts Musik plötzlich ungeheuren Tiefgang. Fioridiligi kämpft wirklich. Für sie ist das, was da passiert, existentiell. Sie stellt ihr ganzes Lebenskonzept in Frage, sie ist zerrissen, sie leidet. Und auch bei Ferrando geht es nicht mehr um die Wette. Er ist bereit, sein Leben daran zu setzen und in dem ist nicht nur „Ich will gewinnen“ und verletzte Eitelkeit, weil seine Dorabella ihn betrogen hat, da ist auch die Verwirrung seiner Gefühle. Er müsste schon sehr abgebrüht sein, wenn Fiorididiligis Kampf um die ihren ihn nicht ergreifen würde.

Diese Szene, die so zentral für „Cosi“ ist, in der Mozart seine ganze psychologische Meisterschaft, seine ganze Teife zeigt, wird beim Regiekonzept der Hermanns – um es mit der gebotenen Deutlichkeit zu sagen – vermasselt und verwässert. Man kann sie nicht sehen, ohne sich zu fragen, ob die beiden Regisseure gar nicht begriffen haben, was da eigentlich passiert oder ob es ihnen vollkommen wurst war.

Es gibt ganz sicher schlimmere Regietheater-Produktionen als diese Salzburger Cosi. Aber sie ist in dem symptomatisch für das Generalproblem: Den mangelnden Respekt vor der Werk und das fehlende Verständnis für das, was die Musik eigentlich ausdrücken will.

Was bleibt noch zu sagen? Über die Regie nur noch, dass die Kostüme häßlich und das Bühnenbild langweilig ist. Das Ei reißt es nicht raus.

Dennoch bedauere ich nicht, diese DVD im Schrank zu haben. Ich verwende sie nämlich als CD: Einlegen, Augen zu und mit Hochgenuss durch. Die Wiener Philharmoniker unter Manfred Honeck spielen Mozart auf höchstem Niveau. Er schwebt, er swingt, er geht in die Tiefe, er hat Schmelz, Charme und er ergreift.

Die Sänger sind, was man in Salzburg erwartet. Ana María Martínez brilliert als wunderbare Fioridiligi mit Tiefe und Wärme und perfekter Phrasierung; Sophie Koch ist eine zauberhafte Dorabella. Der lyrische Tenor Shawn Mathey als Ferrando könnte einen Eisberg zum Schmelzen bringen und Stéphane Degout ist ein viriler, jungenhafter Gugliemo, der Stimmkultur und Eleganz mitbringt. Sir Thomas Allen beweist, dass er nicht nur der Meister des Parlandos ist, sondern das manche Stimmen nicht altern, sondern höchsten reifen. Der einzige Schwachpunkt ist Helen Donath, deren Stimme manchmal ein wenig scharf wird.

von Sibylle Luise Binder

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